Gedichtinterpretation

Wie kann eine Gedichtinterpretation aussehen?

Wie eine Gedichtinterpretation im Genauen aussehen muss, kommt auf die Aufgabenstellung an. Es ist möglich, dass deine Aufgabe lediglich lautet, das Gedicht zu interpretieren. Dabei musst du die Hauptaussage des Gedichts herausarbeiten, wobei natürlich auch sprachliche und inhaltliche Details von dir untersucht werden sollen.
Häufiger findet sich jedoch die Aufgabe der Interpretation unter einem bestimmten Fokus. Ein solcher Aufgabe könnte lauten: Interpretieren Sie Paul Flemings Gedicht „An einen guten Freund“. Gehen Sie dabei besonders auf die Gestaltung der barocken Lebensauffassung ein. Hier musst du den Text unter Berücksichtigung des gesonderten Arbeitsauftrags untersuchen - seine Hauptaussage muss von dir dennoch erarbeitet werden.
Wie deine Gedichtinterpretation aussieht, bleibt dir überlassen. Grundsätzlich aber sollte sie eine Einleitung, einen Haupt- und einen Schlussteil enthalten. Die Einleitung sollte die wichtigsten Informationen über das Gedicht enthalten. Der Hauptteil bildet deine eigentliche Interpretation und kann entweder in verschiedene Abschnitte gegliedert oder in einem geschrieben werden. Der Übersichtlichkeit halber empfehlen wir dir, deinen Hauptteil zu gliedern - so läufst du keine Gefahr, einen wichtigen Aspekt zu vergessen! Mehr dazu erfährst du später in diesem Skript. Der Schluss sollte alle deine Erkenntnisse bündeln, hier kann auch deine eigene Meinung einfließen - an einer anderen Stelle ist dies nicht erlaubt! Am besten trennst du die einzelnen Bestandteile durch deutliche Absätze.

Die Einleitung: grober Umriss des Gedichts

Eine der wichtigsten Regeln zum Schreiben einer Interpretation oder von Aufsätzen allgemein ist es, dass du so schreiben sollst, dass auch eine fremde Person deinen Text versteht. Neben sachlichen Begründungen und der Schlüssigkeit deines Texts gehört dazu auch eine Einleitung, die entweder aus einem Satz oder mehreren kurzen Sätzen bestehen kann. Die Einleitung soll dem Leser deutlich machen, welches Gedicht du interpretierst und was das Thema des Gedichts ist. Deshalb solltest du das Gedicht mindestens zwei mal gelesen haben, bevor du deine Einleitung schreibst! Um die nötigen Informationen herauszuarbeiten, helfen dir die Angaben zu Autor und Erscheinungsjahr, die zumeist nach dem Gedicht stehen. Dazu sollst du noch die Gattung und die Epoche nennen, in die sich das Gedicht gegebenenfalls einordnen lässt.
\(\blacktriangleright\) Bestandteile der Einleitung
\(\checkmark\) Autor, Titel, Erscheinungsjahr und Gattung (siehe Punkt 1) des Gedichts genannt
\(\checkmark\) Thema bzw. Inhalt des Gedichts grob beschrieben
\(\checkmark\) Einordnung des Gedichts in eine Epoche \(\rightarrow\) Welche Epoche(n) werden mit dem Autor verbunden, ist das Thema oder die Gestalt des Gedichts typisch für eine der Epochen?
\(\blacktriangleright\) Beispiel für eine gute Einleitung
Goethes Gedicht „Pilgers Morgenlied / an Lila“, welches 1772 geschrieben wurde, ist an seine Darmstädter Freundin Luise von Ziegler, genannt Lila, gerichtet. Sich selbst vom „Wanderer“, wie sein Spitzname im Darmstädter Kreis lautete, zum Pilger erhöhend, schreibt er ihr von Wetzlar aus und bekundet, dass sie ihm Leidenschaft und Liebe gelehrt habe. [Anm. des Verfassers: Biographische Hinweise sind den Erläuterungen in der Prüfung entnommen.] Durch die Thematik und das Erscheinungsjahr lässt sich das Gedicht in die Epoche des Sturm und Drang einordnen, die der junge Goethe damals mitgestaltete.

Der Hauptteil: Inhalt, Form und Interpretation

Der Hauptteil einer Gedichtinterpretation ist sicher der größte Teil deiner Arbeit. Um dir die Übersicht zu erleichtern, teilen wir den gesamten Hauptteil nochtmal in drei Bereiche ein.

Hauptteil 1

Im ersten Teil des Hauptteils gibst du den Inhalt des Gedichts wieder. hierzu kannst du die einzelnen Strophen als Sinnabschnitte nutzen und den Inhalt Strophe für Strophe zusammenfassen. Achte dabei darauf, dass du nicht nacherzählst und dich wirklich kurz fasst. Außerderm solltest du unbedingt eigene Worte verwenden und im Präsens schreiben.

Hauptteil 2

In der Formanalyse solltest du dich wirklich auf äußere Elemente des Gedichts konzentrieren. Die äußere Form, die Vers- und Strophenaufteilung und eventuell eine Untergattung kannst du nennen. Das Metrum, das Reimschema und wichtige Metaphern und andere sprachliche Äußerungen, die sich durch das Gedicht ziehen, solltest du aufzählen.

Hauptteil 3

Der dritte Teil ist die eigentliche Interpretation. Hier solltest du Vers für Vers durchgehen und anch Auffälligkeiten schauen. Sprachliche Mittel, rhetorische Fragen, bildliche Elemente oder strukturelle Mittel wie Wiederholungen und Chiasmen können dir auffallen. Du sollst diese Besonderheiten aber nicht nur nennen, sondern auch im Zusammenhang des Gedichts deuten. Du kannst dabei schauen, was passiert mit dem Inhalt und dem Verständnis vom Text, wenn du Sätze umstellst oder Wörter durch Synonyme ersetzt. Dann wird oft klar, welche Funktion eine bestimmte Formulierung hat. Es ist wichtig, die Beziehung zwischen Sprache und Inhalt herzustellen und auch die beziehung zwischen Form und Inhalt zu betrachten.
Über diese genaue Textarbeit hinaus musst du immer Hintergrundwissen über den historischen Hintergrund, die Epoche, den Autor und das Zeitgeschehen mit einbeziehen.
Alle Erkenntnisse, die du im Text nennst, müssen mit direkten Zitaten (V. ...) oder indirekten Zitaten (vgl. V. ... ) belegt werden, nur dann ist eine Arbeit glaubwürdig bewiesen.

Der Schluss: Fazit und Einordnung

Den größten Teil der Arbeit hast du nun hinter dir. Der Schluss dient als Fazit deiner Interpretation. Bündle die wichtigsten Erkenntnisse, die du im Laufe deiner Interpretation gewonnen hast. Wie ist die Sprache des Gedichts im Allgemeinen? Was ist seine Aussage, wenn man das Gedicht in seiner Gesamtheit betrachtet? Was mag es für den Autor bedeutet haben, gehört das Gedicht einer Epoche an, falls ja, woran zeigt sich dies? Was macht das Gedicht einzigartig? Diese Fragen beantwortest du am Schluss deiner Interpretation. Am wichtigsten ist es, das Gedicht mit seinem Thema in Bezug zu setzen. Zusätzlich kannst du noch deine eigene Meinung miteinfließen lassen - wie denkst du über das Gedicht? Sei ruhig ehrlich, aber mache deutlich, dass es sich um deine persönliche Meinung handelt. Und selbstverständlich musst du auch hier auf eine angemessene Sprache achten. Wenn du willst, kannst du auch deine Ansicht erläutern, was das Gedicht auch in unserer Zeit aussagen könnte.
\(\blacktriangleright\) Bestandteile des Schlusses
\(\checkmark\) Die Gesamtaussage des Gedichts durch die Erkenntnisse deiner Interpretation zusammengefasst
\(\checkmark\) Ein Fazit über das Gedicht gezogen \(\rightarrow\) Dabei auf Sprache, Absicht des Autors und den Bezug zum Thema eingegangen
\(\checkmark\) Das Gedicht in eine Epoche eingeordnet und deine Einordnung begründet \(\rightarrow\) Welche Rolle spielt das Gedicht in der Epoche? Ist es ein typischer Vertreter der Epoche?
\(\checkmark\) (nicht notwendig, aber nie falsch) Deine eigene Meinung in angemessener Sprache dargelegt und der Frage nachgegangen, ob das Gedicht auch in der heutigen Zeit aussagekräftig ist
\(\blacktriangleright\) Beispiel für einen guten Schluss
Mithilfe einer Bildsprache, die auf biblische Motive und Motive aus der Natur zurückgreift, kreierte Goethe ein intensives und sehr persönliches Gedicht. Ob ihn eine wirklich romantische Liebe mit Luise von Ziegler verband, ist dem Autor dieser Interpretation nicht bekannt, doch ist es nach der Lektüre dieses Gedichts zu vermuten. Er schreibt ihr zu, Leidenschaft, Liebe und Optimismus in ihm erweckt zu haben, was schließlich sein ganzes Leben verändert habe.
Goethe preist die Werte des Sturm und Drang, die bereits erwähnte Leidenschaft und Bereitschaft, von ganzem Herzen zu lieben. Für Stürmer und Dränger gehörten diese nicht nur zum Leben dazu, sondern sind essentiell und das Wichtigste der menschlichen Existenz. Kein Wunder also, dass Goethe den angeblich von „Lila“ beeinflussten Entschluss, nach den Leidenschaften zu handeln, in pathetischer Sprache mit Bildern aus der Bibel schildert. Denn diese Liebe war für die Stürmer und Dränger schließlich die reine Manifestation des Göttlichen.

Checkliste

Kriterium Kontrollfrage(n)
Operator erfüllt? Habe ich die Aufgabenstellung verstanden und umgesetzt?
Einleitung In meiner Einleitung habe ich
Autor, Titel, Erscheinungsjahr und Gattung genannt
Thema und Inhalt grob umrissen
das Gedicht in eine Epoche eingeordnet
Hauptteil 1 In der Inhaltsangabe habe ich:
Inhalt des Gedichts knapp und in eigenen Worten verständlich wiedergegeben
Hauptteil 2 In der Formanalyse habe ich:
die äußere Form beschrieben
Metrum, Reimschema, sprachliche Auffälligkeiten genannt
die Einordnung in eine Gattung anhand der Formmerkmale begründet
Hauptteil 3 In der Interpretation habe ich:
jeden Vers beachtet und auf seine Aussage hin untersucht
die Beziehung zwischen Sprache und Inhalt erläutert
meine Thesen durch Zitate, mein Wissen über den Autor, seine Zeit, die Epoche und rhetorische Stilmittel begründet
Schluss In meinem Schlussteil habe ich:
meine Erkenntnisse aus der Interpretation genutzt und daraus ein Fazit zu Inhalt, Sprache und Themenbezug des Gedichts entwickelt
die Absicht des Autors genannt, meine Epocheneinordnung begründet
meine eigene Meinung eingebracht und die Aktualität des Gedichts diskutiert
meine eigene Meinung eingebracht und die Aktualität des Gedichts diskutiert
Stil Klare, verständliche Ausdrucksweise
Sachlich, aber nicht langweilig geschrieben, sondern sprachlich lebendig
Kein Nominalstil (alles groß geschrieben), aber auch keine ausschmückenden Adjektive
Keine Schachtelsätze
Ausdruck Ist mein Ausdruck treffsicher und bringe ich genau das zum Ausdruck, was ich sagen will?