Lösung
1. Einleitung
Bei der Kurzgeschichte „Mensch, Mika!“ von Eva Wachter handelt es sich um einen humorvollen und anschaulichen Poetry Slam Text. Wachter beschreibt in der Geschichte, wie der Ich-Erzähler als Autofahrer in die Rolle des Ex-Rennfahrers Mika Häkkinen schlüpft und dann jäh von der Polizei bei seinem aufregenden Rennen unterbrochen wird. Der Autofahrer beweist in der Kurzgeschichte seine blühende Fantasie. Obwohl er sich eindeutig im normalen Auto-Verkehr befindet, bildet er sich ein, er wäre auf einer Rennstrecke und hört sogar einen Kommentator seinen rasanten Fahrstil loben. Er überholt Wagen um Wagen, bis er am Ende doch von der Polizei gestoppt wird.
2. Hauptteil
Der Text beginnt mit einem Ausruf des Ich-Erzählers: „Ich bin Mika Häkkinen.“ (Z. 1) und läutet damit gleichzeitig einen inneren Monolog ein, denn tatsächlich spricht der Ich-Erzähler während der gesamten Kurzgeschichte nur mit sich selbst. Als Häkkinen, dem berühmten Rennfahrer, stellt er sich dem Leser vor, während er in der Geschichte eigentlich an der roten Ampel wartet. Er scheint ungeduldig zu sein, denn seine Finger tippen gespannt und voller Vorfreude auf dem Lenkrad (vgl. Z. 2-3). Sobald die Ampel umschaltet, „gilt das unerbittliche Gesetz der Straße“ (Z. 5f). Mit dieser Phrase, die an gesetzlose Motorradfahrer oder freiheitsliebende Cowboys erinnert, schlüpft der Ich-Erzähler in die Identität, die er sich als Mika Häkkinen vorstellt. Er ist jetzt ein rücksichtsloser und abenteuerlustiger Rennfahrer.
Die Wagen vor ihm werden personifiziert, denn er bezeichnet sie als „behäbig“, wie es alte oder schwerfällige Menschen und Tiere sind. Er bedient sich zahlreicher Hyperbeln: er schießt in die Lücken zwischen den anderen Autos hinein (vgl. Z. 12), das Lob des Kommentators im imaginären Hintergrund für ihn und seinen Fahrstil sind „Balsam für seine Seele“ (Z. 24), was gleichzeitig auch eine Redewendung ist, die aus sprachlicher Sicht im Vergleich zu der eigentlichen Ausdrucksweise des Autfahrers hervorsticht. Denn tatsächlich ist es eine eigentlich literarische Metapher, die der Fahrer benutzt, obwohl er überwiegend umgangssprachlich denkt.
Die Akkumulation in den Zeilen 25 bis 29 verdeutlichen dies: „Die nächste Schikane erfordet jedoch meine höchste Konzentration, kurz abbremsen, scharf rechts, wieder aufs Gas, dann schnell links und auf die Gerade brettern.“ Die Reihung deutet darauf hin, dass der Fahrer angespannt ist, da der Satz parataktisch aufgebaut wurde, wie auch ein großer Teil des Textes. Ebenso scheint er sich zu steigern, wie im Rausch, denn die Klimax findet sich im darauffolgenden Satz, der auch eine Exclamatio darstellt: „Wow, so lässt es sich leben!“ (Z. 30). So wirkt der Text auch umgangssprachlich, weil sich der Ich-Erzähler der Ironie bedient. So heißt es in Zeile 14-15: „Welch Beschleunigungswunder, ja da staunt ihr, Kameraden, denke ich schmunzelnd.“ Die direkte Anrede an die fiktiven Rennfahrergegner fällt auch auf, weil auch hier ein anderes sprachliches Register, als eigentlich im Text üblich, benutzt wurde. Die Begriffe „Kameraden“ und „Welch“ sind eindeutig altmodisch und stehen im Gegensatz zu den Anglizismen, wie „ Go“ (Z. 8), „ Wow“ (Z. 30) oder auch „ Sound“ (Z. 60). Die Anglizismen und der teilweise sogar stark umgangssprachlichen Ausdrucksweise (Z. 42 ff: „Alter, willst du Krieg, kannst du haben, bitteschön! Du bist sowieso hässlich, was willst du überhaupt auf der Rennstrecke?“). Auch bedient er sich einer rhetorischen Frage und unterstreicht damit seine Selbstgefälligkeit (Vgl. 45).
Der Fahrer geht in seiner Rolle auf, wie der Vergleich in Zeile 31 bis 34 verdeutlicht, denn der satte Sound seines Motors dröhnt in seinen Ohren wie Musik. Er will einen weiteren Wagen überholen, allerdings ist er nun auf einer kurvenreichen und schwierigen Strecke, wie der Kommentator im Hintergrund in der direkten Rede anstachelt (Vgl. Z. 38- 40).
Angestachelt bedient sich der Ich-Erzähler im folgenden Abschnitt dem Motiv der Jagd. Er pirscht, ein Verb das in der Jägersprache genutzt wird für anschleichen, sich an den Windschatten des anderen Gegners (Vgl. Z. 41). Wie ein Jäger pirscht der Ich-Erzähler an das andere Auto heran, das sich wie das Jagdwild im Windschatten aufhält.
Er wird wütend und vulgär, denn er bezeichnet den anderen als „Alter“ (Z. 42 ) und „hässlich“ (Z. 44). Beides Begriffe, die man auch in der Jugendsprache wiederfindet. In der nächsten Kurve „röhrt“ (Z. 47) er an dem anderen Wagen vorbei. Auch röhren ist ein Begriff aus der Jagdsprache, allerdings hat er in diesem Fall die Rolle gewechselt: War er noch der Jäger, röhrt er nun wie ein großer, starker Hirsch. Er überholt den Anderen, der mit einer Übertreibung reagiert und einen „entgeisterten Gesichtsausdruck“ (Z. 48) und macht ihn mit einem Diminutiv zum „Alterchen“ (Z. 51). Daraufhin wird er mit einer Hyperbole und Phrase überschwänglich gelobt: „‚Wie aus dem Lehrbuch‘, jubelt der Experte frohlockend.“ (Z. 52f).
Im Weiteren wird der Ich-Erzähler vom Kommentator vom Rennsport in den Bereich des Fußballs versetzt. Denn die Rede ist von dem „Verfolgerfeld“ (Z. 58).
Kurz vor dem unvermeintlichen Ziel und Ende des fiktiven Rennens des Ich-Erzählers, wird er nocheinmal vom Kommentator mit einer übertriebenen Phrase, nämlich „Das ist das beste Rennen in seinem Leben“ (Z. 60-61) aufgebaut, wobei der nach dieser Aussage folgende Zusatz „altklug“ (Z. 62) ironisch wirkt und vielleicht verrät, dass die Rückkehr in die Realität und damit das Ende der Kurzgeschichte nicht mehr weit ist. Denn dann rast der Fahrer auch schon „mit Vollgas durch die letzte Kurvenfolge vor der Ziellinie“ (Z. 63 f). Auch an dieser Stelle findet sich eine Akkumulation, denn der Fahrer steht mehr denn je unter Stress und muss die Ziellinie erreichen (Vgl. 62 ff), bis hin zur Klimax und gleichzeitig auch Phrase dieser Steigerung: „Bremsen hält nur auf!“ Der nächste Satz ist eine Ellipse (Vgl. Z. 67). Zwar ist sein Rennen an dieser Stelle vorbei, denn er muss wahrscheinlich an den Standstreifen fahren, wo er meint, dass eine Frau ein Interview mit ihm halten will. Noch ganz berauscht von seinem Höhenflug, antwortet er auf Englisch mit einem von ihm ausgedachten Dialekt, in dem das „R“ betont ist: „It was a harrd rrace“ (Z. 77). Sein, wie er glaubt, „unwiderstehliches Grinsen“ (Z. 78) spricht Bände und Aussage und Mimik sind ganz im Sinne der im Text verwendeten Hyperbolen im Text.
Sein Tagtraum endet jäh mit dem ironischen „Schön, und jetzt ihre Fahrzeugpapiere, bitte!“ (Z. 79- 80) der Verkehrskontrolle.
3. Schluss
Die vorliegende Kurzgeschichte kann man auch als Tagtraum eines jungen Autofahrers mit übertriebener Selbsteinschätzung sehen. Der Leser taucht ein in die Gedanken eines Möchtegern-Star-Rennfahrers, der glücklicherweise trotz seiner waghalsigen Manöver keinen Unfall verursacht. Obwohl er sich einbildet, dass er wie Mika Häkkinen fährt, heißt das nicht, dass er es auch ist.
Auch scheint er das Autofahren mit einer Jagd zu verwechseln, die als solche in der Regel tödlich endet. Denn erreicht der Jäger sein Ziel nach seiner aufregenden Jagd und trifft auf das Wild, erschießt er es meist. Eine Jagd kann aufregend klingen und der Adrenalinstoß mag verlockend sein, doch handelt es sich dabei nicht um ein Spiel. In der Kurzgeschichte macht aber genau das der Ich-Erzähler. Er verwechselt das Autofahren mit einem Spiel.
Rücksichtslos und angestachelt von einem ihn bejubelnden imaginären Kommentator rast er durch die Straßen und Kurven und wird zu guter Letzt von einer Polizeikontrolle gestoppt. Wie und warum genau erfährt der Leser nicht. Zu fixiert ist der Ich-Erzähler auf sein Wettrennen, in das er andere Autofahrer unfreiwillig miteinbezieht.
Die Poetry Slam Autorin will mit ihrem Text den Leser nicht nur amüsieren, sondern auch den Spiegel vor das Gesicht halten.
So mancher Autofahrer kam sich schon wie ein verkannter Rennfahrer vor und ist durch die Straßen unerlaubterweise schnell und rücksichtslos gefahren und hat die Realität mit einem Traum verwechselt. Bei manchen sind diese Höhenflüge gut ausgegangen und bei manchen vielleicht nicht. So oder so war das Ende so einer rasanten Fahrt in manchen Fällen genauso abrupt wie das Ende dieser Kurzgeschichte, in der die Wirklichkeit nur ein Satz lang ist, der denn Autofahrer aus seinem Rennfahrertraum reißt.
In diesem Fall wird der Autofahrer von einer Polizistin gestoppt, die symbolisch für die wiedereintretende Ordnung steht. Ein versteckter Hinweis der Autorin, dass es gut und real ist, wenn alles seine Ordnung hat, übertrieben und maßlos hingegen ein rücksichtloses und überzogenes Verhalten ist.