Thema 2
Erörterung eines Sachtextes
Thema: Elisabeth Winkler und Benjamin Jakob: Unterrichtsbeginn kurz vor neun: Länger schlafen, besser lernen (2023) Aufgabenstellung: Erörtere die Vor- und Nachteile eines späteren Unterrichtsbeginns.- Stelle die Kernaussagen des Artikels von Winkler und Jakob dar.
- Setze dich ausgehend davon argumentativ mit der Überlegung auseinander, ob der Unterrichtsbeginn in Sachsen generell auf 8.45 Uhr festgelegt werden soll.
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Sich gegen sechs Uhr aus dem Bett quälen, 7.30 Uhr oder 8 Uhr in der ersten Unterrichts-
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stunde sitzen und dabei gegen schwere Augenlider kämpfen – das ist für die meisten Schü-
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lerinnen und Schüler in Sachsen Alltag. Doch seit einigen Jahren werden immer mehr Stim-
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men laut, die einen späteren Unterrichtsbeginn fordern, um dem Biorhythmus der Kinder und
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Jugendlichen gerecht zu werden und ihnen ein effektiveres Lernen zu ermöglichen. Erste
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Modellprojekte gibt es bereits – auch in Sachsen. […]
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„Der Biorhythmus ist unser eigenes Programmierungssystem. Er bestimmt unsere Leis-
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tungsfähigkeit“, erklärt Carolin Marx-Dick, die in Dresden eine Praxis für gesunden Schlaf
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betreibt und sich schon seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema auseinandersetzt. Sie er-
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zählt von sogenannten Chronotypen: „Die Eulen brauchen morgens ein bisschen länger, um
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in den Tag zu kommen, werden aber zum Abend hin richtig fit und leistungsfähig. Die Ler-
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chen sind das genaue Gegenteil, die springen morgens aus dem Bett, frisch und erholt,
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brauchen am Abend dann aber schneller ihre Erholungsphase.“
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Auch Kinder hätten schon einen Biorhythmus, der sich im Vorschulalter festige, sagt Marx-
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Dick. „Wenn man den Kindern diesen festen Rhythmus lässt, sind sie leistungsfähig, gut
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gelaunt und bleiben lange gesund.“ Der Schlafexpertin zufolge leiden besonders Jugendli-
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che unter dem frühen Schulbeginn, weil sich bei ihnen durch die hormonelle Umstellung in
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der Pubertät der Schlafrhythmus nach hinten verschiebt.
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„Es gibt im Teenager-Alter das sogenannte verzögerte Schlafphasen-Syndrom“, erklärt
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Carolin Marx-Dick. Die Jugendlichen würden erst später müde und hätten zudem ein erhöhte-
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tes Schlafbedürfnis: „Zwölfjährige, die gut um acht einschlafen konnten, werden dann zum
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Beispiel als 13-Jährige erst um elf müde. Und statt neun Stunden Schlaf brauchen sie jetzt
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vielleicht zwölf Stunden.“
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Das belegt auch die Studienlage: Forscher haben beobachtet, dass sich weltweit in der Pu-
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bertät der Schlafrhythmus nach hinten verschiebt. Gleichzeitig bekommen die Jugendlichen
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nicht genügend Schlaf, haben Forschende der Uni Marburg herausgefunden. „Viele Jugend-
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liche erleben zwei bis drei Jahre lang ein anhaltendes Schlafdefizit“, sagt Carolin Marx-Dick.
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Die Konsequenzen des Schlafmangels würden schnell sichtbar, sagt Carolin Marx-Dick. Der
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Expertin zufolge führt ein Schlafdefizit im Jugendalter nicht nur zu schlechten Schulleistun-
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gen, sondern auch zu psychischen Problemen: „Es gibt viele Schüler, die unter Angststö-
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rungen, ADHS und Zwangsstörungen leiden. Es gibt Schüler, die einen Burnout haben.“ […]
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In Sachsen gibt es für den Unterrichtsbeginn einen vorgegebenen Zeitkorridor. Dieser liegt
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nach Angaben des Kultusministeriums zwischen 7 und 9 Uhr. Wann in diesem Zeitraum die
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erste Stunde beginnt, ist den Schulen selbst überlassen. […]
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[Der Vater einer Siebtklässlerin] sieht den späteren Unterrichtsbeginn positiv: Die Unter-
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richtsqualität sei besser, seine Tochter könne jetzt manchmal auch morgens noch Hausauf-
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gaben erledigen und auch der Schulweg sei sicherer, weil seine Tochter dem morgendlichen
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„Stressverkehr“ entgehe. Davon profitiere nicht nur seine Tochter, sondern die ganze Fami-
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lie, sagte er MDR SACHSEN.
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Die Bilanz [eines] sächsischen Gymnasiums bestätigt positive Erfahrungen aus anderen
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Modellprojekten: So wurde zum Beispiel an einem Gymnasium in Aachen der Daltonplan
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eingeführt, bei dem die Schüler und Schülerinnen eigenverantwortlich entscheiden können,
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ob sie schon zur ersten oder erst zur zweiten Stunde in die Schule kommen. Bei der Evalua-
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tion des Modellprojektes durch Münchener Wissenschaftler gaben die Jugendlichen mehr-
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heitlich an, besser zu schlafen und in der Schule konzentrierter arbeiten zu können. […]
Anmerkungen zu den Autoren:
Elisabeth Winkler und Benjamin Jakob arbeiten als Journalisten für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Aus: Winkler, Elisabeth; Jakob, Benjamin: Unterrichtsbeginn kurz vor Neun: Länger schlafen, besser lernen. MDR SACHSEN online (11.01.2023) Zwischenüberschriften in der Textvorlage wurden entfernt. Sprachliche Fehler in der Textvorlage wurden ent- sprechend der geltenden Norm korrigiert.
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- Die Frage, ob der Unterrichtsbeginn in Sachsen einheitlich und verbindlich auf 8.45 Uhr festgelegt werden sollte, betrifft nicht nur die Schulen selbst, sondern auch Familien, den Nahverkehr, die Arbeitswelt und vor allem die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler.
- Der Artikel „Unterrichtsbeginn kurz vor neun: Länger schlafen, besser lernen“ von Elisabeth Winkler und Benjamin Jakob, erschienen im Jahr 2023, beschäftigt sich mit der Debatte um einen späteren Unterrichtsbeginn an Schulen in Sachsen.
- Studien zeigen, dass Jugendliche chronisch zu wenig schlafen – mit negativen Folgen für ihren Lernerfolg und ihre seelische Gesundheit.
- Ein späterer Schulbeginn könnte diese Probleme mildern. Doch ist eine solche Maßnahme wirklich sinnvoll und umsetzbar – oder überwiegen die praktischen Schwierigkeiten?
Hauptteil
Kernaussagen- Die Autoren beginnen mit einem anschaulichen Einstieg: Schülerinnen und Schüler quälen sich frühmorgens aus dem Bett, um bereits um 7:30 oder 8:00 Uhr in der Schule zu sitzen – oft noch müde und unkonzentriert (Vgl. Z. 1–3). Dieses Bild verdeutlicht die Alltagsrealität vieler Jugendlicher in Sachsen und unterstreicht die Aktualität des Themas.
- Anschließend wird die Meinung der Schlafexpertin Carolin Marx-Dick dargestellt. Sie erklärt den menschlichen Biorhythmus als „Programmierungssystem“ (Z. 7 f.), das sich je nach Chronotyp unterscheidet. Demnach gibt es „Eulen“ (Z. 10), die spät aktiv werden, und „Lerchen“ (Z. 11 f.), die morgens fit sind (Vgl. Z. 10–13).
- Schon im Kindesalter, so Marx-Dick, entwickelt sich ein individueller Schlaf-Wach-Rhythmus, der bei Jugendlichen in der Pubertät deutlich nach hinten verschoben sei (Vgl. Z. 14–18).
- Im Jugendalter komme es zudem häufig zu einem „verzögerten Schlafphasen-Syndrom“ (Z. 19), das durch ein erhöhtes Schlafbedürfnis gekennzeichnet sei. Während zwölfjährige Kinder früher einschlafen können, werden 13-Jährige abends erst später müde und brauchen nun etwa „zwölf Stunden“ (Z. 23) Schlaf (Vgl. Z. 21–23).
- Wird dieser Bedarf nicht gedeckt, droht ein dauerhaftes „Schlafdefizit“ (Z. 27), das sich nicht nur negativ auf die schulischen Leistungen auswirkt, sondern auch psychische Folgen wie „Angststörungen, ADHS“ (Z. 30) oder „Burnout“ (Z. 31 f.) verursachen kann (Vgl. Z. 28–31).
- Im Anschluss informieren die Autoren über die rechtlichen Rahmenbedingungen in Sachsen. Laut Kultusministerium dürfen Schulen ihren Unterrichtsbeginn innerhalb eines Zeitkorridors von 7 bis 9 Uhr selbst festlegen (Vgl. Z. 32–34). Einige Schulen haben davon bereits Gebrauch gemacht.
- Am Beispiel einer Familie wird aufgezeigt, welche Vorteile ein späterer Unterrichtsbeginn haben kann: Die Tochter eines Vaters kann morgens nun in Ruhe Hausaufgaben erledigen und gerät nicht mehr in den morgendlichen Berufsverkehr – was sowohl ihre Sicherheit als auch ihre Entspanntheit erhöht (Vgl. Z. 35–39). Der Vater betont, dass davon die gesamte Familie profitiere.
- Schließlich wird ein Modellversuch am Gymnasium Aachen vorgestellt. Dort wurde der Daltonplan eingeführt, bei dem Schüler selbst entscheiden, ob sie zur ersten oder zweiten Stunde erscheinen. Laut einer Evaluation gaben die meisten Jugendlichen an, besser schlafen und konzentrierter lernen zu können (Vgl. Z. 40–45).
- Ein entscheidendes Argument für eine spätere Anfangszeit ist die bessere Anpassung an den natürlichen Biorhythmus der Jugendlichen. Wie der Artikel zeigt, verschiebt sich der Schlafrhythmus in der Pubertät biologisch bedingt nach hinten, was bedeutet, dass Jugendliche später müde werden und ein größeres Schlafbedürfnis haben (vgl. Z. 16–23). Ein Unterrichtsbeginn um 8.45 Uhr würde diesem Umstand Rechnung tragen und den Schülern mehr Schlaf ermöglichen. Das wiederum fördert laut Studien die Konzentrationsfähigkeit, Lernbereitschaft und seelische Stabilität.
- Darüber hinaus würde ein späterer Schulbeginn auch zur Vermeidung gesundheitlicher Risiken beitragen. Die Schlafexpertin Carolin Marx-Dick warnt vor den Folgen eines chronischen Schlafmangels: Neben Leistungsproblemen in der Schule treten vermehrt Angststörungen, Burnout, ADHS und andere psychische Belastungen auf (Vgl. Z. 28–31). Es ist daher aus medizinischer Sicht dringend notwendig, den Schulalltag mit dem Schlafbedürfnis von Jugendlichen abzustimmen.
- Auch alltagspraktische Vorteile sprechen für den späteren Beginn. So hätten Schüler*innen morgens mehr Zeit für Frühstück, Vorbereitung oder Hausaufgaben (Vgl. Z. 36 f.). Der Schulweg würde entspannter verlaufen, da Stoßzeiten im Berufsverkehr vermieden werden. Dies erhöht nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Entspannung am Morgen – sowohl bei den Schüler*innen als auch bei den Eltern.
- Ein weiterer Aspekt ist die Stärkung des Familienlebens. Wenn Kinder später zur Schule gehen, ergibt sich ein Zeitfenster, in dem auch Eltern ihre Kinder bewusster begleiten können, z. B. bei der Vorbereitung auf den Tag oder beim Frühstück. Gerade für Familien, bei denen beide Eltern arbeiten, ist diese zusätzliche Zeit eine echte Entlastung.
- Zudem könnten kulturelle Teilhabe und Freizeitgestaltung erleichtert werden: Wer abends eine Veranstaltung besucht, geht später ins Bett – durch einen späteren Schulbeginn wäre dennoch ausreichend Schlaf möglich. Der Alltag der Schüler würde sich entspannen.
- Schließlich zeigen Modellversuche wie der Daltonplan in Aachen, dass es auch flexible Lösungen geben kann. Jugendliche dürfen selbst entscheiden, ob sie zur ersten oder zweiten Stunde kommen, und die Ergebnisse zeigen eine klare Verbesserung im Schlafverhalten und in der schulischen Konzentration (Vgl. Z. 40–45). Dieses Modell könnte auch in Sachsen als langfristige Perspektive dienen.
- Trotz der vielen Vorteile gibt es auch einige ernstzunehmende Gegenargumente. Zunächst stellt sich die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit. Wenn der Unterricht erst um 8.45 Uhr beginnt, verschiebt sich der gesamte Schulalltag nach hinten. Das betrifft nicht nur die Unterrichtszeiten, sondern auch die Hausaufgabenzeiten, AGs, Nachmittagsangebote und Fahrpläne des öffentlichen Nahverkehrs. Vor allem auf dem Land, wo Busse oft lange Fahrzeiten haben, könnten neue Probleme entstehen – etwa wenn Anschlussverbindungen nicht mehr passen oder Kinder bei Dunkelheit nach Hause müssen.
- Außerdem würde ein späterer Beginn den Nachmittagsbereich stark belasten: Viele Schülerinnen und Schüler haben Musikunterricht, Sporttraining oder Hobbys am Nachmittag. Wenn der Unterricht regelmäßig bis 16 oder 17 Uhr dauert, fehlt für diese Aktivitäten entweder die Zeit – oder sie verlagern sich in die Abendstunden, was wiederum zu späterem Zubettgehen führen kann.
- Ein weiteres Problem ist die fehlende Garantie für ausreichenden Schlaf. Nur weil die Schule später beginnt, heißt das nicht automatisch, dass Jugendliche auch früher ins Bett gehen oder tatsächlich länger schlafen. Der Effekt könnte durch spätes Aufbleiben mit Handy, Streaming oder Gaming zunichtegemacht werden. Hier braucht es auch Selbstdisziplin und Medienkompetenz, nicht nur einen späteren Wecker.
- Ein pauschaler Unterrichtsbeginn um 8.45 Uhr wäre außerdem ein Eingriff in die Entscheidungshoheit der Schulen. Sachsen erlaubt den Schulen bereits, ihre Anfangszeiten flexibel zu gestalten (Vgl. Z. 32–34). Eine landesweite Pflichtlösung könnte als bevormundend empfunden werden und würde keine Rücksicht auf regionale oder schulformspezifische Gegebenheiten nehmen.
- Zudem ist nicht jede Schülerin und jeder Schüler gleich: Frühaufsteher (Lerchen) fühlen sich bei einem früheren Schulbeginn wohler und könnten durch eine spätere Startzeit sogar in ihrem Rhythmus gestört werden. Ein einheitliches Modell wäre daher nicht für alle ideal – individuelle oder flexible Lösungen, wie der Daltonplan, erscheinen anpassungsfähiger.
Schluss
- Insgesamt zeigt die Diskussion, dass ein späterer Schulbeginn viele positive Effekte haben kann – insbesondere im Hinblick auf Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Familienleben. Dennoch ist eine generelle, landesweite Festlegung auf 8.45 Uhr problematisch, weil sie viele praktische Fragen offenlässt und die Vielfalt der schulischen und regionalen Rahmenbedingungen nicht ausreichend berücksichtigt.
- Statt einer starren Lösung wäre es sinnvoller, die bereits bestehende Flexibilität beizubehalten und gezielt zu erweitern. Schulen könnten in Zusammenarbeit mit Schülern, Eltern und Lehrkräften individuell entscheiden, welcher Rhythmus für sie am besten passt.
- Zusätzlich sollten Modelle mit individueller Startzeit wie der Daltonplan weiter erforscht und erprobt werden. Nur so lässt sich sicherstellen, dass alle Schülerinnen und Schüler – ob Früh- oder Spätaufsteher – unter möglichst idealen Bedingungen lernen können.