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HT 3

Analyse eines Sachtextes mit weiterführendem Schreibauftrag

Thema:
Thomas Eicher u.a.: Nur geträumt.
Aufgabenstellung:
  • Analysiere den vorliegenden Auszug aus dem Vorwort Nur geträumt eines Sammelbandes von literarischen Traumdarstellungen im Hinblick auf die den Träumen allgemein zugesprochene Bedeutung und ihre Funktion in der Literatur. Berücksichtige dabei die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten literarischer Träume.
    (36 Punkte)
  • „7. Juni 1938
    Der See hat auch schon bessere Zeiten gesehen, die Geranien leuchten in der Nacht, aber es ist ja ein Feuer, und getanzt wird sowieso immer, das Licht ver"
    Ordne den zitierten Traum des Protagonisten Franz vom Ende des Romans Der Trafikant in den Gesamtkontext ein und erschließe die Bildlichkeit dieses letzten Traumnotats unter Beachtung des Textzusammenhanges. Erläutere anschließend mithilfe der im Vorwort berücksichtigten Kriterien die Gestaltungsweise und mögliche Funktion des Traumzettels für den Romanabschluss.
    (36 Punkte)
Material
Nur geträumt. Vorwort (1997)
Thomas Eicher u.a.
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[...] Träume haben seit jeher etwas Faszinierendes an sich. Zu allen Zeiten haben sie die Auf-
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merksamkeit der Künstler und Literaten auf sich ziehen können. Sie gelten als Bereich mensch-
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licher Erfahrung, in dem die Wahrnehmungsfähigkeit gleichsam über sich selbst hinauswächst.
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In Träumen eröffnen sich Übergänge zur Transzendenz; das Individuum vermag hier zu Ein-
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sichten über sich selbst und die Welt zu gelangen, die sich dem Wachbewußtsein verschließen.
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Hier hat die künstlerische Inspiration Quelle und Ort. [...]
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Literarische Träume gibt es, seit es Literatur gibt. Struktur, Intention und Funktion haben sich
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bei ihnen im Laufe der Zeit ebenso geändert, wie dies bei der Literatur selber der Fall ist. [...]
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Träume können Einfluß auf die Handlung ausüben, wobei sie in unterschiedlichster Weise
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strukturbildend wirken können. Sie können sich genausogut auf die Atmosphäre auswirken,
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entweder für die handelnden Personen oder für den Leser, möglicherweise sogar für beide.
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Oder sie haben eine psychologische Funktion, wobei sie meistens ein Spiegelbild der augen-
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blicklichen inneren Situation des Träumers sind. [..]
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Versucht man die Darstellungsproblematik literarischer Träume mit den Spezifika der Gattun-
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gen zusammenzubringen, so scheinen insbesondere Erzähltexte für eine sprachliche Abbil-
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dung von Träumen prädestiniert. Aus diesem Grund kommt Schönau zu zwei Formen der
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Traumdarstellung. Er nennt zum einen den Traumbericht, der entweder von einer handelnden
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Figur oder von einem Erzähler erstattet wird, und zum anderen das Traumerlebnis, „an dem
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(in der personalen Erzählsituation) mittels der Innensicht dann der Leser unmittelbar teilne-
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hmen kann". [...]
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Obwohl Traumtexte sich alle auf das Träumen als anthropologische Konstante beziehen,
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nutzen sie diese doch in sehr unterschiedlicher Weise. Viele dieser Träume sind von dem,
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was wir als Traum empfinden, weit entfernt. Sie nutzen lediglich einige Möglichkeiten der
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Traumsituation um der Erweiterung der dichterischen Freiheit willen. Zu diesen erweiterten
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literarischen Möglichkeiten zählen die Aufhebung alläglicher logischer, räumlicher und chro-
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nologischer Beziehungen (Gegenstände können sprechen, Menschen können fliegen, Reisen
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durch Raum und Zeit), die Möglichkeit zu Sprüngen und Brüchen in der Handlung, eine Ver-
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änderung im kommunikativen Verhalten der Personen (Unsagbares wird sagbar), etc. Mit
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diesen erweiterten Darstellungsmöglichkeiten, die vom Leser aufgrund seiner eigenen Traum-
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erfahrung akzeptiert werden, kann durch die Traumform ein spannungssteigerndes, Aufmerk-
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samkeit erregendes Element in den Text eingebracht werden. Dabei ist jedoch zu unterschei-
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den zwischen Träumen, die als authentisch, d.h. ,traumrealistisch', erscheinen und solchen,
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die den Traum nur als literarische Darbietungsform nutzen. Obwohl die Authentizität eines
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artifiziellen Traumes natürlich vom subjektiven Leseerlebnis abhängig ist, lassen sich einige
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Merkmale als ,traumtypisch' festhalten. Hierzu zählen, neben den oben genannten durch die
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Traumform gegebenen erweiterten Darstellungsmöglichkeiten, die Identität von Träumen-
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dem und Traumfigur, die Aufhebung moralischer und gesellschaftlicher Konventionen und
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Tabus, ein Überwiegen von Bildwelt und Handlung und die Verwendung traumtypischer
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Motive (z.B. Fliegen, Fallen, Verfolgtwerden, Eingesperrtsein). Als traumuntypisch hingegen
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wird ein starkes Überwiegen der Sprache gegenüber der Handlung, der fehlende Bezug des
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Traums zum Träumer, eine komplizierte, mehrschichtige Handlung mit einer Vielzahl han-
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delnder Personen, die Vorausschau auf tatsächlich Eintretendes und der Zugang zu Informatio-
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nen und Wissen, die der Träumer nicht (auch nicht intuitiv) haben kann, empfunden. Zwi-
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schen diesen beiden Polen gibt es eine Vielzahl von Spielarten, wobei der Grad der Authen-
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tizität eines Traumes nicht zwangsläufig mit seinem literarischen ,Wert' übereinstimmen muß.
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[...]
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Träume eignen sich in besonderer Weise dazu, Erzähltes symbolisch und (leit-)motivisch zu
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verdichten. Nicht selten bilden sie Schaltstellen im Erzählvorgang, etwa indem sie die Figu-
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renzeichnung abrunden, Handlungsmotivationen offenlegen oder in anderen Kontexten bereits
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Entfaltetes durch eine Wiederaufnahme neu bewerten.

Aus: Thomas Eicher u. a.: Nur geträumt. Vorwort. In: Dies. (Hrsg.): Nur geträumt.
Traumtexte der deutschsprachigen Literatur seit der Aufklärung. Dortmund: projekt verlag 1997
(Studienprojekte - Projektstudien; 1), S. 9–18, hier: S. 9, 12, 13, 15, 18.
Zitat-Quelle: Robert Seethaler: Der Trafikant. Zürich - Berlin: Kein & Aber 2012, S. 250.

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