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Aus: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. SchulLV, Karlsruhe 2023.
  Analyse eines literarischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag
Thema: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise Aufgabenstellung:- Analysiere den vorliegenden Auszug aus Gotthold Ephraim Lessings Drama Nathan der Weise im Hinblick auf die Darstellung der Figuren und ihrer Beziehung – auch unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Beziehung zu der in dieser Szene abwesenden Recha. 
      (45 Punkte)
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       Der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal (* 1874 - † 1929) kommentiert in einem Essay bezogen auf Lessings Dramen:
       „Lessing hat ausgezeichnete Rollen geschrieben [...]. Aber diese Rollen stehen nicht für sich; [...] so machen die Rollen einander wechselweise noch stärker, als jede für sich schon wäre.“
       Untersuche mit Blick auf den vorliegenden Dramenauszug, inwieweit die Figuren Nathan und Tempelherr durch die jeweils andere an Kontur gewinnen. Beziehe dies auch auf die gesamte Dramenhandlung. Erläutere abschließend, inwiefern der Handlungsstrang um die beiden Figuren zum Charakter des Stücks als aufklärerisches Erziehungsdrama beiträgt. 
      (27 Punkte)
     2
     
    
    
      Nathan und der Tempelherr.
     
    
     3
     
    
      Nathan:
     
    
     4
     
    
    
      Wie? seid Ihr's?
     
    
     5
     
    
      Tempelherr:
     
    
     6
     
    
      Ihr habt
     
    
     7
     
    
    
      Sehr lang' Euch bei dem Sultan aufgehalten.
     
    
     8
     
    
      Nathan:
     
    
     9
     
    
      So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn
     
    
     10
     
    
      Zu viel verweilt. Ah, wahrlich, Curd; der Mann
     
    
     11
     
    
      Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten.
     
    
     12
     
    
      Doch laßt vor allen Dingen Euch geschwind
     
    
     13
     
    
    
      Nur sagen ...
     
    
     14
     
    
      Tempelherr:
     
    
     15
     
    
    
      Was?
     
    
     16
     
    
      Nathan:
     
    
     17
     
    
      Er will Euch sprechen; will,
     
    
     18
     
    
      Daß ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet
     
    
     19
     
    
      Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn
     
    
     20
     
    
      Erst etwas anders zu verfügen habe:
     
    
     21
     
    
    
      Und dann, so gehn wir!
     
    
     22
     
    
      Tempelherr:
     
    
     23
     
    
      Nathan, Euer Haus
     
    
     24
     
    
    
      Betret ich wieder eher nicht ...
     
    
     25
     
    
      Nathan:
     
    
     26
     
    
      So seid
     
    
     27
     
    
      Ihr doch indes schon da gewesen? habt
     
    
     28
     
    
      Indes sie doch gesprochen? Nun? Sagt: wie
     
    
     29
     
    
    
      Gefällt Euch Recha?
     
    
     30
     
    
      Tempelherr:
     
    
     31
     
    
      Über allen Ausdruck!
     
    
     32
     
    
      Allein, sie wiedersehn das werd ich nie!
     
    
     33
     
    
      Nie! nie! Ihr müßtet mir zur Stelle denn
     
    
     34
     
    
      Versprechen: daß ich sie auf immer, immer
     
    
     35
     
    
    
      Soll können sehn.
     
    
     36
     
    
      Nathan:
     
    
     37
     
    
      Wie wollt Ihr, daß ich das
     
    
     38
     
    
    
      Versteh?
     
    
     39
     
    
      Tempelherr (nach einer kurzen Pause ihm
     
    
     40
     
    
      plötzlich um den Hals fallend):
     
    
     41
     
    
    
      Mein Vater!
     
    
     42
     
    
      Nathan:
     
    
     43
     
    
    
      Junger Mann!
     
    
     44
     
    
      Tempelherr (ihn ebenso plötzlich wieder lassend):
     
    
     45
     
    
      Nicht Sohn?
     
    
     46
     
    
    
      Ich bitt Euch, Nathan!
     
    
     47
     
    
      Nathan:
     
    
     48
     
    
    
      Lieber junger Mann!
     
    
     49
     
    
      Tempelherr:
     
    
     50
     
    
      Nicht Sohn? Ich bitt Euch, Nathan! Ich beschwör
     
    
     51
     
    
      Euch bei den ersten Banden der Natur!
     
    
     52
     
    
      Zieht ihnen spätre Fesseln doch nicht vor!
     
    
     53
     
    
      Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! Stoßt mich
     
    
     54
     
    
    
      Nicht von Euch!
     
    
     55
     
    
      Nathan:
     
    
     56
     
    
    
      Lieber, lieber Freund! ...
     
    
     57
     
    
      Tempelherr:
     
    
     58
     
    
      Und Sohn?
     
    
     59
     
    
      Sohn nicht? Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn
     
    
     60
     
    
      Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter
     
    
     61
     
    
      Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte?
     
    
     62
     
    
      Auch dann nicht einmal, wenn in eins zu schmelzen,
     
    
     63
     
    
      Auf Euern Wink nur beide warteten?
     
    
     64
     
    
    
      Ihr schweigt?
     
    
     65
     
    
      Nathan:
     
    
     66
     
    
    
      Ihr überrascht mich, junger Ritter.
     
    
     67
     
    
      Tempelherr:
     
    
     68
     
    
      Ich überrasch Euch? überrasch Euch, Nathan,
     
    
     69
     
    
      Mit Euern eigenen Gedanken? Ihr
     
    
     70
     
    
      Verkennt sie doch in meinem Munde nicht?
     
    
     71
     
    
    
      Ich überrasch Euch?
     
    
     72
     
    
      Nathan:
     
    
     73
     
    
      Eh' ich einmal weiß,
     
    
     74
     
    
      Was für ein Stauffen Euer Vater denn
     
    
     75
     
    
    
      Gewesen ist!
     
    
     76
     
    
      Tempelherr:
     
    
     77
     
    
      Was sagt Ihr, Nathan? was?
     
    
     78
     
    
      In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts
     
    
     79
     
    
    
      Als Neubegier?
     
    
     80
     
    
      Nathan:
     
    
     81
     
    
      Denn seht! Ich habe selbst
     
    
     82
     
    
      Wohl einen Stauffen ehedem gekannt,
     
    
     83
     
    
    
      Der Conrad hieß.
     
    
     84
     
    
      Tempelherr:
     
    
     85
     
    
      Nun, wenn mein Vater denn
     
    
     86
     
    
    
      Nun ebenso geheißen hätte?
     
    
     87
     
    
      Nathan:
     
    
     88
     
    
    
      Wahrlich?
     
    
     89
     
    
      Tempelherr:
     
    
     90
     
    
      Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd
     
    
     91
     
    
    
      Ist Conrad.
     
    
     92
     
    
      Nathan:
     
    
     93
     
    
      Nun so war mein Conrad doch
     
    
     94
     
    
      Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war,
     
    
     95
     
    
    
      Was Ihr; war Tempelherr; war nie vermählt.
     
    
     96
     
    
      Tempelherr:
     
    
     97
     
    
    
      O darum!
     
    
     98
     
    
      Nathan:
     
    
     99
     
    
    
      Wie?
     
    
     100
     
    
      Tempelherr:
     
    
     101
     
    
      O darum könnt' er doch
     
    
     102
     
    
    
      Mein Vater wohl gewesen sein.
     
    
     103
     
    
      Nathan:
     
    
     104
     
    
    
      Ihr scherzt.
     
    
     105
     
    
      Tempelherr:
     
    
     106
     
    
      Und Ihr nehmt's wahrlich zu genau! Was wär's
     
    
     107
     
    
      Denn nun? So was von Bastard oder Bankert!
     
    
     108
     
    
      Der Schlag ist auch nicht zu verachten. Doch
     
    
     109
     
    
      Entlaßt mich immer meiner Ahnenprobe.
     
    
     110
     
    
      Ich will Euch Eurer wiederum entlassen.
     
    
     111
     
    
      Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel
     
    
     112
     
    
      In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte!
     
    
     113
     
    
      Ihr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham
     
    
     114
     
    
      Hinauf belegen. Und von da so weiter,
     
    
     115
     
    
    
      Weiß ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwören.
     
    
     116
     
    
      Nathan:
     
    
     117
     
    
      Ihr werdet bitter. Doch verdien ich's? Schlug
     
    
     118
     
    
      Ich denn Euch schon was ab? Ich will Euch ja
     
    
     119
     
    
      Nur bei dem Worte nicht den Augenblick
     
    
     120
     
    
    
      So fassen. Weiter nichts.
     
    
     121
     
    
      Tempelherr:
     
    
     122
     
    
      Gewiß? Nichts weiter?
     
    
     123
     
    
    
      O so vergebt! ...
     
    
     124
     
    
      Nathan:
     
    
     125
     
    
    
      Nun kommt nur, kommt!
     
    
     126
     
    
      Tempelherr:
     
    
     127
     
    
      Wohin?
     
    
     128
     
    
      Nein! Mit in Euer Haus? Das nicht! das nicht!
     
    
     129
     
    
      Da brennt's! Ich will Euch hier erwarten. Geht!
     
    
     130
     
    
      Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie
     
    
     131
     
    
      Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie
     
    
     132
     
    
    
      Schon viel zu viel ...
     
    
     133
     
    
      Nathan:
     
    
     134
     
    
    
      Ich will mich möglichst eilen.
     
    Aus: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. SchulLV, Karlsruhe 2023.
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Einleitung
- Der vorliegende Textauszug stammt aus Lessings Drama Nathan der Weise, welches im Jahr 1779 veröffentlicht wurde.
- Zeitlich einzuordnen ist es in die Epoche der Aufklärung. Im Mittelpunkt des Werks steht der jüdische und wohlhabende Kaufmannssohn namens Nathan.
- Inhaltliche Schwerpunkte sind unter anderem der Humanismus, die Toleranz, der humanitäre Umgang mit Menschen sowie die Frage nach der wahren Religion, welche mithilfe der bekannten Ringparabel beantwortet werden soll.
Inhaltliche Analyse
- Der vorliegende Textausschnitt aus dem dritten Aufzug handelt davon, dass Nathan auf den Tempelherrn in der Nähe eines Klosters trifft und ihm dieser seine Gefühle gegenüber Recha offenbart. Er bittet um die Erlaubnis, sie heiraten zu dürfen. Nathan möchte mehr Informationen über den Vater und die Vergangenheit des Tempelherrn erhalten.
- In Hinsicht auf den Gesamtkontext ist zu sagen, dass Nathans Ziehtochter Recha durch den Tempelherrn aus Nathans brennendem Haus gerettet wurde.
- Innerhalb der Textstelle verlässt Nathan den Ort nach dem Gespräch und geht kurz nach Hause, während der Tempelherr auf ihn wartet. Hingegen möchte der Tempelherr, Nathan nicht in sein Haus folgen, da er von ihm kein eindeutiges Einverständnis bzgl. der Heiratserlaubnis seiner Ziehtochter erhalten hat.
- Nathan ist der Ziehvater von Recha, die er mit der christlichen Daja großzieht. Zu seiner Ziehtochter pflegt er ein sehr inniges Verhältnis. Als Witwer hat er einst alle seine Kinder verloren und schenkt der getauften Christin Recha nun besondere Wertschätzung und Liebe.
- Der christliche Tempelherr trägt den wahren Namen Leu von Filnek und den vermeintlichen Namen Curd von Stauffen. Zunächst meidet er den Kontakt zu Recha, da sie Nathans Ziehtochter und somit die Tochter eines Juden ist. Er scheint sehr intolerant hinsichtlich anderer Religionen zu sein, die nicht seine eigene sind. Später verliebt er sich sehr schnell in das Mädchen und möchte sie direkt heiraten.
- Nathan begegnet dem Tempelherrn gegenüber mit Wertschätzung und Verständnis, da dieser seiner Tochter das Leben gerettet hat.
- Der Tempelherr und Nathan unterscheiden sich hinsichtlich ihrer (Lebens-)Erfahrung und ihrer Intelligenz. Der weise und feinfühligere Nathan hat einen deutlichen Wissensvorsprung gegenüber dem Tempelherrn und ahnt schon früh, dass er und Recha verwandt sein könnten. Ebenfalls ist er im Gegensatz zum Tempelherrn emotional ausgeglichener und hat seine Emotionen unter Kontrolle.
- Der Tempelherr tritt häufig unbedacht und impulsiv auf. Ebenfalls tritt er nur bedingt reflektiert auf, da er sich bspw. einbildet und behauptet, dass Recha auf der gleichen Gefühlsebene wäre wie er selbst.
Sprachliche Analyse
- Es handelt sich um eine Dialogform, weshalb der Leser auf einen lebendigen Sprachgebrauch mit Enjambements trifft. (V. 10 f., 12 f., 27 f., 28 f.)
- Neben Zeilensprüngen werden im Verlauf des Textes auch noch weitere Stilmittel deutlich. Es ist eine häufige Verwendung von Interjektionen, die alleine im Satz stehen, zu erkennen. („Nie! nie!“ V. 33, „Gewiß!“ V. 122, „Geht!“ V. 129) Darüber hinaus gibt es unzählige weitere Ausrufe innerhalb von Ausrufesätzen (V. 21, V. 31, V. 32, 50 ff.).
- Neben Interjektionen verleiht der emotional-expressive Tempelherr seinen Empfindungen gegenüber Recha auch mithilfe von drängenden Fragen („Ihr schweigt ?“ V. 64, „Was sagt ihr, Nathan? was?“ V. 77) Ausdruck.
- Diese Funktion erfüllen auch die verwendeten Metaphern des Tempelherrn (z.B. „spätre Fesseln“ V. 52).
- Eine Diskussion und Auseinandersetzung wird ebenfalls durch die sprachliche Verwendung von Wortwiederholungen und Ellipsen (V. 34, V. 35) angezeigt. Auch die verwendeten Antithesen (V. 90 ff.) deuten auf einen lebhaften und diskussionsfreudigen Austausch zwischen Nathan und dem Tempelherrn hin.
Schluss
- Das Gespräch macht die Ambivalenz und Anspannung der Figurenbeziehung zwischen den beiden Männern deutlich.
- Ebenfalls wird klar, dass es sich um asymmetrische Gesprächspartner handelt. Nathan ist dem Tempelherrn hinschtlich seiner Souveränität sowie seines Wissens klar überlegen.
- Diese Art der Kommunikation liegt auch, wie in diesem Beispiel dann vor, wenn die Gesprächsbeteiligten qualitativ nicht gleichberechtigt sind und der Dialog in dieser Hinsicht nicht auf Augenhöhe stattfindet.
Zweite Teilaufgabe
Überleitung
- Innerhalb eines Essays von Hugo von Hofmannsthal über Lessings Werke spricht er über die Sonderstellung der Wechselwirkung zwischen den Figuren. Die Wechselwirkung der Rollen muss also mit in die Betrachtung der einzelnen Figuren einbezogen werden.
- Im Folgenden soll näher erläutert werden, inwiefern Hofmannsthals Zitat auf die Figuren Nathan und Tempelherr und ihre Figurenbeziehung innerhalb des zuvor interpretierten Textausschnitts sowie auf das gesamte Werk anzuwenden ist.
Inwieweit die Figuren Nathan und Tempelherr durch die jeweils andere an Kontur gewinnen
- Die beiden Charakter sind gegensätzlich angelegt, weshalb ihre eigenen Charakterzüge durch die des jeweils anderen noch deutlicher werden. Der Protagonist steht in einem ambivalenten Spannungsverhältnis zu seinem Antagonisten, dem Tempelherrn.
- Nathan geht die Dinge ruhig und gelassen an und hinterfragt gerne und viel. Weiterhin hält er sich auch während des Dialogs lieber bedacht und zurückhaltend im Hintergrund. Außerdem handelt er Nathan im gesamten Werk vernunftgeleitet.
- Im Gegensatz dazu lässt sich die impulsive und emotionale Art des Tempelherrn anführen, die durch die ausgeglichene Art Nathans deutlich verstärkt wird.
- Auch in Hinblick auf ihr Religionsverständnis unterscheiden sich die beiden Figuren: Nathan ist deutlich toleranter und verfügt über mehr Weitsicht und Humanität gegenüber dem häufig intoleranten, engstirnigen und konservativen Tempelherrn.
- Die Rettung von Recha ist jedoch durchaus als humanitäre Aktion anzusehen und man könnte sagen, dass es als eine Art Initiationserlebnis gilt. Nathan und der Tempelherr stehen in einem spannungsgeladenen Verhältnis zueinander. In Bezug auf die Konkurrenz zu Recha konfrontieren gegenläufige Weltanschauungen und Handlungsmotivationen miteinander. Dies bedeutet auch für Nathan, dass er in einem Schuldverhältnis zum Tempelherrn steht.
Der Charakter des Stücks als aufklärerisches Erziehungsdramas
- Der Protagonist Nathan zeichnet sich durch ein hohes Maß an Gelassenheit, Gleichmut und Weisheit aus und fungiert als das Sinnbild für einen aufgeklärten Menschen, da er eigenständig denkt, reflektiert und vernünftig handelt. Typisch für die Aufklärung definiert sich Nathan nicht über seine Religionszugehörigkeit.
- Seine praktizierte Toleranz bildet die Grundlage dafür, dass alle drei Weltreligionen gleichberechtigt und auf dieselbe Weise wertgeschätzt werden. Aus der Ringparabel geht hervor, dass Gott allen drei Religionen gleich viel Liebe entgegenbringt. Der aufgeklärte Protagonist orientiert sich in vorbildlicher Weise an den humanitären Lehren der Religionen und vertritt nicht die Auffassung, dass eine Religion mehr wert sei als eine andere.
- Unter anderem ist es auch der Auftrag aller drei Religionen, die Menschen zu erziehen, humanitäre Grundsätze zu lehren und sie zu aufeinander achtenden und wertschätzenden Menschen zu formen, die Nächstenliebe praktizieren. Hingegen verhindert Intoleranz Humanität.
- Im Mittelpunkt der aufklärerischen Erziehung steht somit auch die Bildung, welche der Aufklärung dient. Die reine Hinnahme von Glaubenssätzen, wie es zur Zeit des Absolutismus gängig war, steht nicht weiter im Vordergrund. Mithilfe der Vernunft lässt sich über starre und absolute Normen und Werte nachdenken.
Schluss
- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Figuren Nathan und der Tempelherr in jeglicher Hinsicht durch die jeweils andere Figur an Kontur gewinnen. Nicht zuletzt wird dies durch das gegensätzliche Figurenverhältnis in der Textstelle und im restlichen Drama deutlich.
- Nathan der Weise beinhaltet auf die Charakterzüge eines Erziehungsdramas. Dafür sprechen auch die sozialhistorischen Veränderungen der Aufklärungszeit. Erstmals konnte sich das Theaterpublikum mit den Inhalten der Stücke identifizieren und sich somit auch stückweise vom Adel absetzen.
- Im Zuge der Aufklärung rückt das Individuum in das Zentrum der Aufmerksamkeit und wird neu definiert. Die Wirkungsabsicht von Lessings Dramen bedient sich der sogenannten Mitleidsästhetik, welche diese erzieherische Funktion des Dramas erfüllt. Der Rezipient soll sich im besten Fall mit dem moralisch guten und aufgeklärten Helden identifizieren können.