Lerninhalte in Deutsch

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Materialgestütztes Schreiben eines argumentierenden Textes (Kommentar)

Thema: Demokratische Verständigung durch soziale Medien
Aufgabenstellung:

  • An deiner Schule wird eine Vortragsveranstaltung zum Thema „Soziale Medien – Risiken und Chancen“ vorbereitet. Du hast die Aufgabe übernommen, einen Vortrag zu halten, der sich an die Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft richtet.
  • Verfasse als Vortragstext einen argumentierenden Beitrag, in dem du dich mit der Frage auseinandersetzen, ob bzw. inwiefern durch soziale Medien eine demokratische Verständigung über gemeinsame gesellschaftliche Themen, Probleme und Ziele ermöglicht werden kann.
  • Nutze dazu die folgenden Materialien 1 bis 5 und beziehe unterrichtliches Wissen über Sprache in politisch-gesellschaftlichen Verwendungszusammenhängen sowie eigene Erfahrungen ein.
  • Wähle einen geeigneten Titel.
  • Verweise auf die Materialien erfolgen unter Angabe des Namens der Autorin bzw. des Autors und ggf. des Titels.
  • Dein Vortragstext ist als Fließtext zu verfassen und sollte ca. 900 Wörter umfassen.

Material 1
Zwischen Partizipationsversprechen und Algorithmenmacht. Wie soziale Medien politisches Handeln prägen (2022)
Jan-Hinrik Schmidt

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Das vorherige Kapitel hat deutlich gemacht, dass soziale Medien die Mechanismen und Mög-
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lichkeiten erweitern, sich über gesellschaftlich relevante Themen zu informieren und eine
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eigene Meinung zu bilden. Doch damit nicht genug: Bürgerinnen und Bürger können die
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sozialen Medien auch nutzen, um ihre eigenen Interessen und Ansichten zu äußern und andere
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Menschen zu aktivieren, sich ebenfalls zu engagieren. In dieser Hinsicht unterstützen soziale
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Medien also gesellschaftliche Teilhabe bzw. Partizipation […]:
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1. Sich positionieren: Menschen können an Debatten zu gesellschaftlich relevanten Themen
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teilhaben, indem sie selbst in den sozialen Medien Stellung beziehen und bestimmte poli-
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tische Haltungen offen nach außen signalisieren. Dies geschieht bereits niedrigschwellig,
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etwa durch den Beitritt zu spezifischen Gruppen oder Foren, durch die Angabe der eigenen
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politischen Überzeugung im Nutzerprofil oder ein entsprechend gestaltetes Profilbild.
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Selbst das „Liken“ oder „Faven“ von entsprechenden Inhalten kann solche Signale aus
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senden. Zum einen kann diese Handlung für die eigenen Kontakte sichtbar sein, zum ande-
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ren tauchen häufig „gelikte“ Inhalte in den Nachrichtenströmen anderer Nutzer auf und
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ziehen weitere Aufmerksamkeit auf sich.
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2. Sich einbringen: Soziale Medien erlauben es auch, in vielfältiger Art und Weise die eigene
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Meinung in Debatten und Entscheidungen einfließen zu lassen. Diese Form der Teilhabe
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schließt die Bezugnahme auf andere und eine Auseinandersetzung mit deren Positionen ein.
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Dies kann unterschiedlich ausführlich geschehen, etwa als kurze und möglicherweise unre-
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flektierte Reaktion in einem Kommentar oder Tweet, in Form einer länger andauernden
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Diskussion mit anderen, bis hin zum ausführlichen Ausdrücken eigener Standpunkte in
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einem eigenen Blog-Eintrag, Thread oder Video.
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3. Andere aktivieren: Die beiden genannten Arten von Teilhabe können in manchen Fällen
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auch darin münden, dass man andere Nutzer gezielt anspricht und zum Handeln bewegt. […]


Anmerkungen zum Autor:
Jan-Hinrik Schmidt (* 1972) erforscht digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) in Hamburg.
Aus: Schmidt, Jan-Hinrik: Zwischen Partizipationsversprechen und Algorithmenmacht. Wie soziale Medien politisches Handeln prägen. Hg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen. Erfurt 2022, S. 49f.
Material 2
Facebook, Twitter und Co. Social Media – Fluch und Segen zugleich. Zusammenfassung eines Radiointerviews des Deutschlandfunk Kultur mit der Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan (2020)
Nikita Dhawan

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[…] Es sei wichtig, die Geschichte des öffentlichen Raumes zu kennen, um den Kontext zu
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verstehen, sagt Dhawan. Die sozialen Medien seien ein virtueller öffentlicher Raum. Der Auf
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stieg des öffentlichen Raumes in Europa sei grundsätzlich eng mit dem Aufstieg der europäi-
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schen Aufklärung verbunden. Ein Beispiel seien die Kaffeehäuser, in denen sich die Männer
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des Bürgertums trafen, um über wichtige Themen zu diskutieren, was einen großen Einfluss
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für die Entstehung der Demokratie in Europa gehabt habe. Aus Sicht des Philosophen Jürgen
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Habermas sei der öffentliche Raum dadurch zu einer wichtigen Infrastruktur für die Aufklä-
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rung geworden. […]
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Der heutige virtuelle und digitale öffentliche Raum sei sehr viel demokratischer als seine
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Vorläufer. Doch obwohl er zugänglicher sei, seien immer noch ausschließende Mechanismen
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vorhanden. Einerseits würde dieser neue öffentliche Raum Möglichkeiten des Austausches
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schaffen, auf der anderen Seite aber auch die Reproduktion von Hate Speech, Antisemitismus,
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Rassismus und Sexismus ermöglichen. Dies mache Social-Media-Plattformen zu einer Art
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„Pharmakon“, das gleichzeitig Gift, Gegengift und auch Medizin sein könne.
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Dhawan beschreibt das so: „Ich denke, einer der Vorteile von Plattformen wie Twitter, Insta
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gram und Facebook ist, dass sich dort sehr viele Menschen schnell mobilisieren lassen. Tra-
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ditionelle Formen der Berichterstattung können zwar auch eine breitere Öffentlichkeit errei
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chen, aber nur mit Einschränkungen. Nehmen wir das Beispiel Zeitungen: Das Publikum muss
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sich Zeitungen leisten können, […] es muss die Zeit haben, die Zeitung zu lesen. […] Des-
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halb sagen viele Experten, dass die sozialen Plattformen schnell ein großes Publikum errei
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chen. Es wird aber auch darüber diskutiert, ob diese Form der Berichterstattung nicht auch
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zu oberflächlich ist.“
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Darum fordert Dhawan, dass es Möglichkeiten geben sollte, diese schnelle Mobilisierung und
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den Ideenaustausch in sozialen Netzen mit detaillierterer und nuancierterer Berichterstattung
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zu unterfüttern. Ein ermutigendes Ereignis, das Dhawan momentan in den sozialen Medien
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beobachtet, seien die Solidaritätsbekundungen nach dem Tod George Floyds. Diese zeigten,
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dass die Welt dem Schmerz und dem Leid anderer nicht gleichgültig gegenübersteht. Wir
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hätten eine globale Öffentlichkeit, die die Idee lebt, dass wir alle im selben Boot sitzen und
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Gewalt gegen eine Person nicht toleriert wird, meint die Politologin. […]
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Dhawan ist allerdings weniger optimistisch, dass die aktuellen Proteste in den USA schnell
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zu Änderungen im System führen könnten: „Ich glaube, dass alle, die gerade die Ereignisse
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verfolgen oder sich daran beteiligen, hoffen, dass diese eine Reform des Systems, wenn nicht
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gar eine Revolution auslösen werden. Aber wir wissen auch, wie schwer es ist, Strukturen
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wirklich zu verändern. […] Eine grundlegende Reform und Transformation, ganz egal, ob
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es um das Rechtssystem oder um soziale Beziehungen geht, ist ein schmerzhaft langsamer
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Prozess.“ […]


Anmerkungen zur Autorin:
Nikita Dhawan (* 1972) ist Politikwissenschaftlerin. Seit 2021 ist sie Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden.
Aus: Deutschlandfunk Kultur (06.06.2020): Facebook, Twitter und Co. Social Media – Fluch und Segen zugleich.
Material 3
Umfrageergebnisse aus der JIM-Studie (2023)

Abbildung


Aus: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs): JIM-Studie 2023, S. 52. 26.12.2023.
Material 4
Die Macht der Meinungen (2022)
Dirk Asendorpf

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Das Internet hat den öffentlichen Meinungsaustausch so stark verändert wie die Erfindung des
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Buchdrucks vor 500 Jahren, nur sehr viel schneller. Das klassische Telefon brauchte 75 Jahre,
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um 100 Millionen Nutzer*innen zu gewinnen, das Radio immerhin noch zwei Jahrzehnte. Bei
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Facebook waren es vier Jahre, Whatsapp und Instagram knackten die 100-Millionen-Marke
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nach zwei Jahren.
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Traditionelle Medien haben ihre Rolle als Gatekeeper des Nachrichtenstroms verloren. Fake
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News, Hass und Verschwörungstheorien überschwemmen die Internetportale und seriöser
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Journalismus verliert sein Geschäftsmodell.
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Jay Rosen ist einflussreicher Journalist und Medienwissenschaftler der New York University.
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Für die USA diagnostizierte er am Ende der Trump-Präsidentschaft den Verlust der Wahr-
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heitssuche als Grundlage öffentlicher Meinungsbildung. Stattdessen herrsche „the firehose
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of falsehood“, das Hochdruckverspritzen von Lügen wie durch einen Feuerwehrschlauch.
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„Man überschwemmt die Medien mit Lügen, verbreitet sie schamlos. Es geht nicht darum,
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jemanden zu überzeugen, sondern darum, die Menschen zu verwirren, zu überwältigen und
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aus der Öffentlichkeit zu vertreiben. Die Quantität der Argumente ist viel wichtiger als ihre
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Qualität. Das ist ‘the firehose of falsehood’“, erklärt Jay Rosen.
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Eine permanente und schnelle Wiederholung der Lüge entfaltet politische und psychologi-
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sche Macht. Wer etwas glauben machen will, findet auf den großen Internetplattformen das
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ideale Werkzeug dafür. Denn sie leben von möglichst vielen Klicks. Und eine dramatisierte
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Botschaft wird mehr geklickt als eine nüchterne oder gar differenzierte Nachricht – egal ob
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richtig oder falsch.
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„Wut schlägt Wahrheit, Emotion schlägt Faktizität.“ So fasst der Tübinger Medienwissen-
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schaftler Bernhard Pörksen die These für die deutsche Öffentlichkeit zusammen. Die Netz-
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utopie, nach der Meinungsfreiheit und Demokratie durch die Vielfalt der Stimmen im Inter-
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net quasi automatisch gestärkt würden, habe sich nicht verwirklicht.
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„Mehr Information macht uns gar nicht automatisch mündiger, sondern mehr Information er-
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höht die Chancen effektiver Desinformationen, weil man in diesem umherwirbelnden Infor-
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mationskonfetti dann auf das zurückgreift, was man vielleicht ohnehin glauben möchte und
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glauben will“, erklärt Bernhard Pörksen.
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Vor zehn Jahren wurde das Phänomen häufig als Filterblase beschrieben, weil uns die Algo-
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rithmen der Internetportale immer mehr von dem in die Timeline schaufeln, auf das wir gerne
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klicken. Daher würden wir kaum noch mit konträren Tatsachen oder Widerspruch konfron-
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tiert.
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Aber schon als sich über 500 Internetforscher*innen aus aller Welt im Herbst 2016 an der
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Berliner Humboldt-Universität versammelten, stieß die Filterblasen-Theorie auf Skepsis –
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auch bei Christian Katzenbach. Inzwischen ist der Medienwissenschaftler Leiter eines For-
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schungsprogramms zum Thema digitale Gesellschaft.
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„Es ist akademischer Konsens, dass Filterblasen durch soziale Medien nicht generell beför-
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dert werden. Wenn man Leute vergleicht, die viele soziale Medien benutzen, und Leute, die
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wenig soziale Medien benutzen, kommt immer das Ergebnis raus, dass Leute, die viele soziale
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Medien benutzen, vielfältigere Inhalte wahrnehmen, rezipieren als Leute, die wenig oder gar
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keine sozialen Medien nutzen. Und das widerspricht schon zentral der Filterblasen-These“,
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so Christian Katzenbach.
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Wie viele Fachleute möchte Katzenbach lieber von Echokammern sprechen: Soziale Netz-
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werke bringen Gleichgesinnte zusammen, die sich dann am Lagerfeuer ihrer gemeinsamen
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Überzeugungen gegenseitig bestätigen. Abgeschottete Blasen seien das aber nicht.


Anmerkungen zum Autor:
Dirk Asendorpf (* 1959) ist Journalist.
Aus: Dirk Asendorpf: Die Macht der Meinungen. In: SWR, 19.08.2022 (Zugriff: 26.12.2023).
Material 5
„Dialog ist die Mutter der Demokratie“. Auszug aus einem Interview mit dem Politikwissenschaftler Roland Roth (2019)

1
Dialog ist einer der Schlüsselbegriffe, wenn von Demokratie und Bürgerbeteiligung die Rede
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ist. Was ist in diesem Kontext mit Dialog gemeint?
3
Roland Roth: Dialog ist der Austausch von Meinungen, von Ideen und Vorstellungen, die
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sich im Gespräch entwickeln und verändern können. Dialog ist das Grundprinzip demokra-
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tischer Verständigung. Dialog setzt Empathie voraus, Dialog bedeutet, sich auf die Perspek-
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tiven des anderen einzulassen. Wenn das gelingt, kann es sein, dass man die eigenen Präfe-
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renzen und Vorstellungen verändert.
8
Wie steht es um die Dialogfähigkeit in der Gesellschaft?
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Der Dialog ist zu einem knappen Gut geworden. Das hat auch mit veränderten Arbeitsprozes-
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sen zu tun, die immer weniger auf Dialoge, auf Gespräche, auf Zusammenarbeit mit anderen
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Menschen angewiesen sind. Eine weitere Quelle ist die Mediatisierung in dem Sinne, dass
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Dialoge und Gespräche immer stärker medienvermittelt sind. Das hängt auch mit der Aus-
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breitung der neuen sozialen Medien oder eher „unsozialen“ Medien zusammen. Heute erset-
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zen alle möglichen Formen der Internet-Kommunikation zunehmend das direkte Gespräch
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von Angesicht zu Angesicht. Dadurch gehen zentrale demokratische Qualitäten verloren, zum
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Beispiel der Aufbau von Vertrauen, das für politische Kontexte besonders wichtig ist. Ich
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kann Vertrauen nur mit Menschen und zu Menschen entwickeln, wenn ich direkt mit ihnen
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kommuniziere. Ich kann das nicht abstrakt in irgendeinem medialen Zusammenhang tun, in
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dem Wut-Kommunikation, Vorurteile oder Vorbehalte dominieren.
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Es ist zentral für die demokratische Qualität des Dialogs, gute Argumente für die eigene Per-
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spektive, für die eigenen Vorschläge zu liefern, aber auch die Bereitschaft mitzubringen, nicht
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nur Meinungen auszutauschen und nicht nur ja oder nein zu irgendeiner Ansicht zu sagen,
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sondern sich genauer anzuhören: Weshalb ist die oder der Betreffende denn ganz anderer
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Ansicht als man selber? Dialog ist die Mutter der Demokratie. Je knapper diese Ressource
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im demokratischen Prozess ist, desto geringer ist die demokratische Qualität.
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Was ist notwendig, um Dialoge führen zu können, welche Kompetenzen und Ressourcen sind
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dafür nötig?
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Man muss den Dialog im Grunde genommen von klein auf lernen. Beteiligungsprozesse, in
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Kitas, in Kinderstuben aller Art, in der Familie, sind dafür notwendige Lernorte. Sich eine
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Meinung zu bilden, sie auch in der Auseinandersetzung begründen und andere überzeugen zu
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können, diese Grunderfahrung zu stärken, ist wesentlich. Weil sie auch bedeutet: Ich nehme
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mich selber ernst und werde ernstgenommen. Aber auch: Du bist mir wichtig genug, Dir
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zuzuhören, und ich gehe davon aus, dass Du etwas zu sagen hast, was für mich Bedeutung
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hat. Und von daher ist es sehr wichtig, Orte zu schaffen, an denen das möglich ist. Und das
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umso mehr, je heterogener und vielfältiger unsere Gesellschaften werden. […]


Anmerkungen zum Autor:
Roland Roth (* 1949) ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft.
Aus: Dialog ist die Mutter der Demokratie. Interview mit Roland Roth. In: mitarbeiten. Informationen der Stiftung Mitarbeit 3 (2019), S. 2 f. 26.12.2023

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