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Analyse eines literarischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag
Thema: Oliver Georgi (* 1977): Schluss mit den Phrasen! (2019; Auszug) Aufgabenstellung:- Analysiere den Artikel Schluss mit den Phrasen! von Oliver Georgi. Berücksichtige dabei die sprachlich-stilistische Gestaltung, die Leserlenkung und die Intention des Textes.
(42 Punkte)
- Der Sprachwissenschaftler Ekkehard Felder führt mit Bezug auf den politischen Sprachgebrauch aus: „Wiederkehrende Aufgaben können nicht immer in neue Worte gekleidet werden. Zum einen eröffnet uns das Sprachsystem nur einen gewissen Variationsspielraum, den die adressierten Zielgruppen stilistisch (noch) als angemessen empfinden. Zum anderen sind solche Variationen für den Sprecher beim Ausüben seiner Funktion aufwendig und für die Zuhörerschaft nicht so leicht erkennbar wie die Verwendung etablierter Sprachgebrauchsformen. […] Ein bestimmter Sprachgebrauch steht schließlich für die Kontinuität der vertretenen Politikinhalte und die Zuverlässigkeit der Politiker. Neue Formulierungen müssen sich im sprachlichen Wettkampf durchsetzen.“ Erläutere das Zitat und setze es zu den Ausführungen von Oliver Georgi in Beziehung. Nimm vor diesem Hintergrund abwägend Stellung zu der Frage, inwiefern Phrasen die politisch-gesellschaftliche Kommunikation fördern oder beeinträchtigen.
(30 Punkte)
Material
Oliver Georgi
Schluss mit den Phrasen! (2019; Auszug)
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Wenn Politiker reden, sind Phrasen nicht weit. Sie versprechen nach einer unangenehmen
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Affäre „schonungslose Aufklärung“, wollen das Desaster nach einer Wahlniederlage „scho-
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nungslos aufarbeiten“. Sie wollen „die Zukunft gestalten“ und gehen nach langem Hin und
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Her schließlich doch ein „belastbares Bündnis“ mit der Konkurrenzpartei ein, um „substan-
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zielle Ergebnisse“ für die „kleinen Leute“ zu erreichen. Sie wollen sich nach Niederlagen
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„ehrlich machen“ und die „Leitplanken ihres Handelns neu ausrichten“, weil es „an der Tat-
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sache nichts zu beschönigen“ gibt – „das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen“ – dass
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„die Dinge schnellstens versachlicht werden müssen“, „um Schaden vom Land abzuwenden“.
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Politiker aller Parteien lieben solche Floskeln und Stanzen, mit denen sie viel reden können,
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aber wenig sagen müssen. […]
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Auch die „schonungslose Aufklärung“ ist ein Beispiel dafür, eine Lieblingsfloskel von Politi-
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kern nach Wahlniederlagen und offenkundigen Verfehlungen. „Schonungslos“, das klingt
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nach erbarmungsloser Härte gegenüber eigenen Versäumnissen und denen des politischen
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Gegners, nach einem moralischen Impetus, dem man im Zweifel selbst die eigene Kar-
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riere unterordnen würde. In der Realität aber haben viele Wähler längst begriffen, dass auf
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die Ankündigung der „schonungslosen Aufklärung“ oder der „schonungslosen Aufarbeitung“
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oft nicht mehr viel folgt. Trotzdem bemühen Politiker jeder Couleur die Phrase weiter so
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inflationär, dass ihre Sinnentleerung längst offensichtlich ist.
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Für die Glaubwürdigkeit von Politikern sind derlei Phrasen verheerend. Warum nutzen sie
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sie weiterhin, obwohl den meisten Wählern die Inhaltslosigkeit dieser Sprache längst klar ist?
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Die einfachste Antwort auf diese Frage: Weil Phrasen bequem sind und man muss sich ihnen
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nicht genau festlegt. Wer an einem Wahlabend vor den Kameras schnell eine erste Stellung-
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nahme abgeben muss, eigentlich aber noch nicht viel erklären kann oder will, der greift eben
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in seinen Phrasenbaukasten und sagt, jetzt sei „Stabilität“ die oberste Prämisse und man müsse
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gemeinsam „an der Zukunft des Landes arbeiten“. Das ist inhaltlich so löchrig wie ein Schwei-
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zer Käse, klingt aber staatstragend, und man tritt niemandem auf den Schlips.
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Natürlich nutzen Politiker Phrasen aber auch, um den eigentlichen Sinn ihrer Worte zu über-
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tünchen und die Wähler bewusst im Ungefähren zu lassen – wie bei der „schonungslosen
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Aufklärung“. Selbst wenn man mitnichten schonungslose Aufklärung einer Affäre im Sinn
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hat, klingt die Phrase hehr, und der Politiker muss sich dann – zumindest rhetorisch – nichts
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vorwerfen lassen. Hinzu kommt ein weiterer, viel banalerer Grund: Viele Berufspolitiker
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haben über lange Jahre den Sprachgestus und die technokratischen Floskeln ihrer Vorgänger
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übernommen, ohne groß darüber nachzudenken. Wer als Jugendlicher in der Nachwuchsorga-
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nisation einer Partei beginnt und sich dann in der Politik hochdient, der wird irgendwann mit
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einiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls von „paritätischer Finanzierung“ oder der „doppelten
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Haltelinie“ sprechen – so wie alle anderen um ihn herum.
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Das Problem ist, dass viele Politiker sich der Entleerung ihrer Sprache nicht (mehr) bewusst
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sind – und auch nicht der Folgen, die sie für unsere Demokratie hat. Denn die Neigung zu
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hohlen Floskeln, die in den vergangenen Jahren auch durch den immer größeren Hang zum
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streitlosen Konsens in den großen Koalitionen deutlich wurde, ist fatal, weil sie die Entfrem-
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dung zwischen Politik und Bürgern verstärkt. Wenn Wähler sich ganz konkret um ihre stei-
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gende Miete sorgen oder um ihr Auskommen im Alter, die Politik aber lediglich nebulös da-
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von spricht, jetzt müsse man „die Zukunft gestalten“ und ein „Signal des Aufbruchs“ senden,
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dann wird diese Entfremdung auch sprachlich manifest. […]
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Es wird also höchste Zeit, dass die Politiker den Phrasen abschwören und authentischer, prä-
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ziser und auch wieder kontroverser formulieren. Trotzdem wäre es zu einfach, den Volks-
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vertretern allein die Schuld für ihre sprachliche Mutlosigkeit zu geben. Denn es liegt auch
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an den Wählern und Journalisten, dass die Phrasenhaftigkeit der politischen Sprache in den
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letzten Jahren zugenommen hat. Was die Wähler betrifft, hat das mit einer äußerst ambiva-
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lenten Haltung gegenüber Politikern zu tun: Alle wünschen sich „authentische Volksvertre-
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ter“, die „klare Kante“ zeigen und sich ein Stück weit vom politischen Einheitsbrei des als
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„langweilig“ empfundenen Sachpolitikers abheben. Wenn diese Politiker dann aber tatsäch-
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lich einmal kontroverser formulieren als gewohnt, polemisieren oder mit der Selbstironie
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über das Ziel hinausschießen […], dann bricht ein Sturm der Entrüstung los angesichts der
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Individualität, die der Politiker sich da herausnimmt. […]
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Wir wollen klare Worte und lieben die große Show, aber bitte nur solange es nicht zu kontro-
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vers wird. Damit nähren wir bei vielen Politikern die Überzeugung, im Zweifel sei es eher
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gefährlich, zu viel Authentizität und „klare Kante“ zu zeigen. Also ziehen sie sich lieber auf
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ihre ungefährlichen Plastik-Phrasen zurück.
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Der andere Grund, warum Phrasen immer beliebter sind, ist die zeitgenössische „Empörungs-
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demokratie“, wie sie der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen nennt. Die Beschleuni-
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gung des Nachrichtentakts durch Online-Medien und soziale Netzwerke hat dazu geführt,
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dass Politiker mittlerweile fast in Echtzeit Stellungnahmen abgeben müssen. Zwischen einem
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Ereignis und den ersten Reaktionen vergehen mitunter kaum noch fünf Minuten – viel Zeit
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zum Nachdenken bleibt da nicht. Gleichzeitig können einzelne, oft aus dem Kontext geris-
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sene und schnell hingeschriebene Sätze auf Twitter binnen kurzer Zeit einen Shitstorm aus
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lösen, der einen Politiker über Monate beschäftigen – und im schlimmsten Fall sogar seine
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Karriere ruinieren – kann. […]
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Es würde also zu kurz greifen, allein die Politiker für ihre Phrasen-Vorliebe verantwortlich
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zu machen – auch Wähler und Journalisten tragen eine Mitschuld daran. Die einen, weil sie
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ein Verhalten erwarten, das sie dann abstrafen, die anderen, weil sie die Phrasen der Politiker
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in vielen Fällen weiterverbreiten, ohne sie ausreichend zu hinterfragen.
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Was also ist zu tun, um das Dilemma aufzulösen? Die politische Auseinandersetzung muss
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wieder angriffslustiger und härter, aber zugleich differenzierter sein, ohne deshalb rücksichts
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los zu werden. Politiker müssen wieder mehr Mut haben, offen zu streiten, Missstände klar
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zu benennen und Widerspruch auszuhalten, anstatt Ratlosigkeit und Dissens mit einer Plastik
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sprache zu übertünchen. Sie müssen sich wieder trauen, auch dann authentisch zu sein und
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so zu formulieren, wenn sie sich damit angreifbar machen. Sie müssen eine authentischere
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und präzisere Sprache sprechen, die der Versuchung widersteht, diese Klarheit mit dem ver-
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meintlichen „Klartext“ der (Rechts-)Populisten zu verwechseln.
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Und die Wähler und Journalisten? Sie sollten sich der Tatsache bewusst werden, wie ambi-
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valent ihre Ansprüche an Politiker oft sind, wenn sie Authentizität fordern. Sie sollten hart
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näckig nachfragen, wenn die Plastiksprache wieder überhandnimmt, und den offenen, an der
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Sache orientierten Streit wieder schätzen lernen. Und auf Twitter nicht aus jeder Mücke einen
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Elefanten machen
Anmerkung zum Autor:
Kasimir Edschmid (eigentlich Eduard Schmid, * 1890 - † 1966) war ein deutscher Schriftsteller. Der Textauszug entstammt der Einleitung einer von Edschmid verantworteten Büchner-Werkausgabe. Aus: Kasimir Edschmid: Woyzeck. Shakespeare enfant. In: Georg Büchner: Gesammelte Werke. Hrsg. und eingeleitet von Kasimir Edschmid. München u. a.: Desch 1947, S. 24 - 31 Zitiert nach: Dietmar Goltschnigg (Hrsg.): Georg Büchner und die Moderne. Texte, Analysen, Kommentar. Band 2. 1945 - 1980. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2002, S. 139 - 144 (Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen der Textquelle.)
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Einleitung
- Oliver Georgis Artikel Schluss mit den Phrasen! (2019) setzt sich kritisch mit der Sprache von Politikerinnen und Politikern auseinander.
- Der Autor zeigt anhand zahlreicher Beispiele, dass politische Kommunikation in hohem Maße von Phrasen und Floskeln geprägt ist, die wohlklingend erscheinen, aber inhaltlich meist leer bleiben.
- Dadurch, so Georgi, entsteht eine gefährliche Entfremdung zwischen Politik und Bürgerinnen und Bürgern, da konkrete Sorgen nicht ernsthaft aufgegriffen, sondern rhetorisch überdeckt werden.
Hauptteil
Argumentationsgang- Der Argumentationsgang des Artikels ist klar aufgebaut und von zahlreichen Beispielen durchzogen. Gleich zu Beginn häuft Georgi typische Politikerphrasen an, etwa die „schonungslose Aufklärung“ (Z. 2), die Gestaltung der Zukunft (Vgl. Z. 3) oder das „belastbare Bündnis“ (Z. 4).
- Schon hier setzt er durch die ironische Reihung und die wiederholte Verwendung von Anführungszeichen deutliche Distanzierungszeichen. Bereits im Einstieg wird so verdeutlicht, dass Politikerinnen und Politiker zwar viel reden, aber wenig Substantielles sagen (Vgl. Z. 9 f.). An diese Sammlung schließt sich eine genauere Analyse der Formel „schonungslose Aufklärung“ (Z. 11) an, die Georgi als Lieblingsfloskel entlarvt, deren moralischer Klang im Kontrast zu ihrer faktischen Inhaltsleere steht (Vgl. Z. 12–18).
- Die Leitfrage „Warum nutzen sie sie weiterhin, obwohl den meisten Wählern die Inhaltslosigkeit dieser Sprache längst klar ist?“ (Z. 19 f.) führt Georgi zu einer Reihe von Begründungen. Phrasen sind zunächst bequem und unverbindlich; wer unter Zeitdruck eine Stellungnahme abgeben muss, greift zum „Phrasenbaukasten“, weil dieser zwar „inhaltlich so löchrig wie ein Schweizer Käse“ (Z. 25 f.) ist, aber doch „staatstragend“ (Z. 26) klingt (Vgl. Z. 21–26).
- Darüber hinaus dienen Floskeln auch der bewussten Verschleierung von Absichten, etwa wenn Politiker hinter hochtrabenden Begriffen wie „schonungslose Aufklärung“ (Z. 28 f.) in Wirklichkeit nichts dergleichen meinen (Vgl. Z. 27–31). Schließlich verweist der Autor auf die Sozialisation im Politikbetrieb: Wer sich in Parteien hochdient, übernimmt mit der Zeit automatisch den Sprachgestus der Vorgänger und verwendet „technokratische“ (Z. 32) Begriffe wie „paritätische Finanzierung“ (Z. 35) oder „doppelte Haltelinie“ (Z. 35 f.).
- Auf diese Analyse der Ursachen folgt eine Bewertung der Folgen. Georgi stellt heraus, dass vielen Politikerinnen und Politikern die Entleerung ihrer Sprache und deren Konsequenzen für die Demokratie gar nicht mehr bewusst sind. Besonders problematisch ist die Kluft, die dadurch zwischen Politik und Bevölkerung entsteht: Während Bürgerinnen und Bürger konkrete Sorgen um steigende Mieten oder Altersvorsorge haben, begegnet ihnen die Politik mit inhaltsleeren Wendungen wie „Signal des Aufbruchs“ (Vgl. Z. 43). Sprache wird so selbst zum Symptom der Entfremdung.
- In der Folge formuliert Georgi konkrete Forderungen. Politiker*innen müssten den Phrasen abschwören und wieder „authentischer, präziser und auch wieder kontroverser“ sprechen (Vgl. Z. 45 f.). Dabei bleibt er nicht bei einem simplen Politiker-Bashing stehen, sondern betont die Mitverantwortung anderer Akteure. Wählerinnen und Wähler verhielten sich ambivalent: Sie wünschten sich zwar „klare Kante“ (Z. 51), reagierten aber mit Empörung, sobald Politiker diese tatsächlich zeigten (Vgl. Z. 50–59). So trügen sie selbst dazu bei, dass Politiker im Zweifel lieber zu „Plastik-Phrasen“ (Z. 59) greifen. Auch Journalist*innen verfestigten die Phrasenkultur, indem sie politische Floskeln unkritisch „weiterverbreiteten“ (Vgl. Z. 72).
- Ein weiterer zentraler Aspekt ist die mediale Beschleunigung. Georgi spricht hier von einer „Empörungsdemokratie“ (Z. 60 f.), die durch soziale Netzwerke und Online-Medien befördert werde. Da Politiker heutzutage nahezu ohne zeitlichen Abstand auf aktuelle Ereignisse reagieren müssten, bleibe ihnen kaum Raum für eine gründliche Reflexion (Vgl. Z. 61–65). Zudem könne ein unbedacht formulierter Satz, der aus dem Zusammenhang gerissen wird, innerhalb kürzester Zeit zu massiver öffentlicher Empörung führen und im Extremfall sogar die berufliche Laufbahn gefährden (Vgl. Z. 65–68). Diese Dynamik begünstige, dass Politiker verstärkt auf allgemein gehaltene und unverbindliche Aussagen zurückgriffen, um Angriffsflächen zu vermeiden.
- Im Schlussteil des Artikels weitet Georgi den Blick und formuliert konkrete Handlungsaufforderungen. Die politische Auseinandersetzung müsse wieder „angriffslustiger und härter, aber zugleich differenzierter“ (Z. 74) werden. In eindringlicher Anapher betont er, dass Politiker mutiger werden und Widerspruch aushalten müssten (Vgl. 75 f.), anstatt Differenzen mit Plastikphrasen zu überspielen (Vgl. Z. 75–80). Zugleich fordert er von Wählerinnen und Journalisten, ihre eigene Rolle kritisch zu reflektieren: Sie müssten Floskeln beharrlicher hinterfragen und aufhören, auf Plattformen wie Twitter jede Äußerung zu skandalisieren (Vgl. Z. 81–85).
- Die sprachlich-stilistische Gestaltung des Textes unterstützt die Argumentation eindrucksvoll. Besonders prägnant ist die Akkumulation von Politikerphrasen zu Beginn, die beim Leser gezielt Ermüdung und Überdruss hervorrufen soll – genau die Wirkung, die Floskeln auch im politischen Alltag haben.
- Durchgängig arbeitet Georgi mit Metaphern wie dem „Phrasenbaukasten“ (Z. 24.) oder dem Vergleich mit dem „Schweizer Käse“ (Vgl. Z. 25 f.), die die Inhaltsleere anschaulich illustrieren. Wertende Bilder wie „Plastik-Phrasen“ (Z. 59) verdeutlichen zusätzlich die Künstlichkeit und Austauschbarkeit politischer Sprache.
- Auffällig ist zudem der Wechsel zwischen sachlich-journalistischen Passagen und umgangssprachlichen Wendungen („auf den Schlips [treten]“, Z. 26; „Shitstorm“, Z. 66), wodurch der Text an Lebendigkeit und Leserfreundlichkeit gewinnt. Rhetorische Fragen, Hypophoren sowie Dreierfiguren („authentischer, präziser [...] kontroverser“, Z. 45 f.) strukturieren die Argumentation und erhöhen ihre Überzeugungskraft.
- Die Leserführung ist stark ausgeprägt. Durch Signalfragen und Übergangsmarker wie „Warum…?“ (Z. 19), „Hinzu kommt…“ (Z. 31) oder „Und die Wähler und Journalisten?“ (Z. 81) wird der Text klar gegliedert. Gleichzeitig bindet Georgi die Leserschaft über inklusive Formulierungen wie „wir“ (Vgl. Z. 56 f.) aktiv ein, sodass Verantwortung nicht einseitig auf Politiker projiziert, sondern als gemeinsame Aufgabe verstanden wird. Damit entsteht ein dialogisches Verhältnis, in dem die Leser*innen nicht nur Konsumenten, sondern auch Adressaten konkreter Handlungsanweisungen sind.
- Die Intention des Artikels besteht darin, politische Sprache wieder zu schärfen und die demokratische Verständigung zu stärken. Georgi fordert Politikerinnen und Politiker dazu auf, mutiger, präziser und streitbarer zu kommunizieren, ohne dabei populistischem „Klartext“ zu verfallen (Vgl. Z. 80).
- Gleichzeitig adressiert er die Mitverantwortung der Wähler*innen und Journalist*innen, die durch ihre Reaktionen und Verhaltensmuster zur Phrasenkultur beitragen. Damit geht es dem Autor nicht nur um Kritik, sondern auch um einen Appell zur aktiven Mitgestaltung einer lebendigen und offenen politischen Debattenkultur.
Fazit
- Zusammenfassend entlarvt Georgi die systemische Verbreitung politischer Floskeln als Ausdruck von Bequemlichkeit, Tradierung und medialem Druck.
- Seine Analyse zeigt, wie dadurch Entfremdung zwischen Politik und Bürgerinnen entsteht, die Demokratie geschwächt wird und Vertrauen verloren geht.
- Die sprachliche Gestaltung mit Beispielen, Metaphern und rhetorischen Figuren macht die Kritik zugleich anschaulich und eindringlich.
- Im Zentrum steht die Forderung nach mehr Authentizität, Präzision und Streitkultur in der politischen Sprache, aber auch nach größerer Selbstreflexion von Wählerinnen, Wählern und Medien. Damit formuliert der Artikel einen normativen Anspruch: eine demokratische Kommunikationskultur, die nicht durch Plastikphrasen, sondern durch Offenheit und Klarheit geprägt ist.
Teilaufgabe 2
Überleitung
- Das von Ekkehard Felder angeführte Zitat beleuchtet eine andere Perspektive auf den politischen Sprachgebrauch, als sie Oliver Georgi in seinem Artikel Schluss mit den Phrasen! (2019) entfaltet.
- Während Georgi vor allem die Problematik von Floskeln und Phrasen betont, verweist Felder darauf, dass wiederkehrende Aufgaben und Inhalte zwangsläufig auch sprachlich wiederholt und in festen Mustern ausgedrückt werden müssen.
- Politische Kommunikation ist somit nicht nur Ausdruck individueller Originalität, sondern auch ein Medium der Verlässlichkeit und Kontinuität. In der Zusammenschau eröffnen sich Spannungsfelder, die es erlauben, Chancen und Risiken des Phrasengebrauchs für die demokratische Kommunikation kritisch abzuwägen.
Hauptteil
- Felders Kernaussage lässt sich in drei Dimensionen gliedern. Erstens weist er darauf hin, dass das Sprachsystem selbst einen begrenzten Variationsspielraum bietet. Politische Rede bewegt sich in einem institutionellen Rahmen, in dem bestimmte Formulierungen von den Adressaten als stilistisch angemessen empfunden werden. So erwarten Bürgerinnen und Bürger von Politiker*innen beispielsweise feste Wendungen wie „Stabilität sichern“ oder „Verantwortung übernehmen“, weil diese an etablierte politische Traditionen anknüpfen und eine gewisse Erwartungssicherheit schaffen. Zweitens hebt Felder hervor, dass sprachliche Innovation für den Sprecher aufwendig und für die Zuhörer schwerer erkennbar ist.
- Standardisierte Formulierungen wie „Wir brauchen einen starken europäischen Zusammenhalt“ erfüllen daher eine Orientierungsfunktion, weil sie auch in komplexen Sachlagen leicht verstanden werden. Drittens betont Felder, dass bestimmte Sprachgebrauchsformen für die Kontinuität politischer Inhalte stehen. Wer etwa wiederholt von „sozialer Gerechtigkeit“ spricht, signalisiert Verlässlichkeit und Konsistenz im eigenen politischen Profil. Damit werden Phrasen zu einem Instrument politischer Markenbildung, die Vertrauen erzeugen kann.
- Oliver Georgi hingegen nimmt eine stärker kritische Position ein. Er zeigt auf, dass die Häufung solcher festgefügten Wendungen zur Entleerung politischer Sprache führt. Während Felder den Wiedererkennungswert hervorhebt, warnt Georgi vor der Gefahr, dass Bürger*innen die inhaltsleeren Phrasen irgendwann durchschauen und Politik als abgehoben oder unehrlich wahrnehmen (Vgl. Georgi, Z. 37–44).
- Auch wenn beide Autoren das gleiche Phänomen beschreiben, akzentuieren sie es unterschiedlich: Felder deutet Phrasen als notwendige Routinen, Georgi als Bequemlichkeits- und Vermeidungsstrategie.
- Abwägend betrachtet lässt sich feststellen, dass Phrasen in der politisch-gesellschaftlichen Kommunikation sowohl förderliche als auch beeinträchtigende Wirkungen entfalten können. Förderlich sind sie, wenn sie als wiedererkennbare sprachliche Marker Orientierung und Vertrauen stiften.
- Besonders in Krisensituationen wirken vertraute Formeln wie „Wir stehen zusammen“ stabilisierend und können die Gesellschaft einen. Zudem entlasten sie die Kommunikationspraxis, da Politikerinnen und Politiker komplexe Inhalte schnell und adressatengerecht auf den Punkt bringen müssen.
- Beinträchtigend wirken Phrasen allerdings dann, wenn sie nicht mehr mit konkreten politischen Inhalten gefüllt werden, sondern zur bloßen Hülse verkommen. In solchen Fällen entsteht eine Diskrepanz zwischen den Sorgen der Bevölkerung und der politischen Kommunikation, die das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben kann. Georgi spricht hier von „Plastiksprache“ (Z. 59), die Authentizität vortäuscht, aber Distanz erzeugt. Darüber hinaus verstärkt die mediale Beschleunigung den Rückgriff auf Floskeln, wodurch Diskussionen oberflächlicher und kontroverse Auseinandersetzungen gemieden werden (Vgl. Georgi, Z. 63–68).
- Im Ergebnis zeigt sich, dass Phrasen in der politischen Kommunikation ambivalent sind. Sie können sowohl integrativ und vertrauensbildend als auch entfremdend und demokratiegefährdend wirken. Entscheidend ist daher der Kontext: Werden sie verantwortungsvoll eingesetzt und mit konkreten Maßnahmen hinterlegt, erfüllen sie eine konstruktive Funktion; dienen sie hingegen nur der inhaltslosen Rhetorik, blockieren sie echte Verständigung.
Schluss
- Insgesamt lässt sich festhalten, dass Ekkehard Felders Analyse die funktionale Seite des Phrasengebrauchs betont, während Oliver Georgi vor allem dessen Risiken hervorhebt. Eine abwägende Position sollte beide Perspektiven berücksichtigen: Politische Sprache darf sich nicht völlig von wiederkehrenden Formeln lösen, da diese Kontinuität und Verständlichkeit gewährleisten.
- Zugleich muss die Politik aber aufpassen, dass diese Formeln nicht zur Leerformel verkommen und das Vertrauen in die Demokratie erodieren. Phrasen sollten daher nicht abgeschafft, sondern verantwortungsvoll eingesetzt und immer wieder mit konkreten Inhalten gefüllt werden.
- Nur so kann politische Sprache ihre doppelte Funktion erfüllen: Orientierung bieten und zugleich lebendige, kontroverse und inhaltlich substanzielle Debatten ermöglichen.