Lerninhalte in Deutsch
Inhaltsverzeichnis

Schreiben

Der zweite Prüfungsteil enthält zwei Wahlthemen, aus denen eines von dir ausgewählt und bearbeitet werden muss!

Wahlthema 1

  • Lies bitte zunächst den Text, bevor du die Aufgabe bearbeitest.

  • Schreibe einen zusammenhängenden Text.

Aufgabenstellung

Analysiere den vorliegenden Anfang des Romans Wolf von Saša Stanišić.

Gehe dabei so vor:

  • Schreibe eine Einleitung, in der du Textsorte, Titel, Autor und Erscheinungsjahr benennst, das Thema formulierst und den Inhalt zusammenfasst.

  • Stelle dar, auf welche Weise die Mutter ihren Sohn Kemi vom Aufenthalt im Ferienlager zu überzeugen versucht, und erläutere, aus welchen Gründen sich Kemis Einstellung wandelt und mit welchen Gefühlen er ins Ferienlager aufbricht.

  • Untersuche, durch welche erzählerischen Mittel das Geschehen den Lesenden nahegebracht wird und wie durch sprachliche Mittel Kemis Sicht auf das Ferienlager deutlich wird (mögliche Aspekte: Wortwahl, Satzbau, stilistische Mittel).

  • Verfasse einen inneren Monolog aus der Sicht der Mutter nach der Abfahrt Kemis:

    – Welche Gedanken hat sie, als sie noch einmal über die Diskussion mit Kemi im Vorfeld der Abreise nachdenkt?

    – Was denkt sie über Kemis Verhalten und ihre Beziehung zu ihm?

    Beachte die Form des inneren Monologs und berücksichtige die Informationen, die der Textauszug gibt.

Material

Saša Stanišić: Wolf (Textauszug)

Beim Ich-Erzähler handelt es sich um einen Jungen namens Kemi.

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Mutter und ich machen Salat. Ich liebe es, mit Mutter Salat zu machen, wir reden dann nur über den
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Salat. Wir sind komplett für den Salat da.
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Heute ist es anders. Heute beginnt Mutter ohne Not einen Satz mit „übrigens“. Sätze, die meine
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Mutter mit „übrigens“ beginnt, enden nicht gut für mich.
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„Übrigens“, sagt also meine Mutter und schält den Knoblauch, „ich habe dich zu einem Ferienlager
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angemeldet.“
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„Sie belieben wohl zu scherzen?“, sage ich in die Gurke wie in ein Mikro und halte ihr dann das
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Gurkenmikro hin. „Erste Ferienwoche. Ich krieg da nicht frei. Gib mal bitte die Knoblauchpresse.“
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Ich reiche ihr die Presse und beschließe, die Sache ebenfalls ernst zu nehmen. „Ich kann doch zu
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Oma“, schlage ich vor.
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„Oma macht Malkurs in Malente.“ Mutter presst den Knoblauch mit Gewalt in die Soße. „Außerdem:
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Ein bisschen Natur wird dir guttun.“
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„Natur? Mir? Mama, seit wann kennen wir uns?“
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„Abende am Lagerfeuer, Folienkartoffeln in der Glut?“
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„Rauch in den Augen, die Zunge verbrannt? Und bitte. Es gibt doch kein traurigeres Feuer als eines,
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in dem Folienkartoffeln braten!“
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„Hör zu“, sagt Mutter und sieht mich an. „Es ist nur für eine Woche. Das Ferienlager liegt mitten im
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Wald und –“ „Im Wald? In den Wald geh ich auf keinen Fall.“
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„Fast alle aus deiner Klasse kommen mit“, sagt Mutter.
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„Fast alle aus meiner Klasse sind mir komplett egal“, sage ich.
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„So eine Woche kann das ja ändern“, sagt Mutter.
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„Warum sollte ich das ändern wollen?“, sage ich.
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Aus ihrer Küchenschürze hext Mutter eine grelle Ferienlager-Broschüre. Sie trägt die Überschrift:
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ABENTEUER WALD
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ABENTEUER MENSCH
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Vorne zeigt ein Foto ein paar Hütten auf einer Waldlichtung.
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„Guck, wie hübsch die Bäume sind“, sagt Mutter.
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„Ich finde Bäume nur als Schrank super“, sage ich.
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Mutter wischt sich mit dem Handgelenk eine Strähne aus dem Gesicht. Die Geste macht, dass sie
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komplett müde aussieht.
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Ich seufze und klappe die Broschüre auf. Der Waldbroschürenwald sieht aus, als hätte jemand gerade
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durchgesaugt, und die Waldbroschürenlichtung, als hätte jemand das Gras gekämmt. Ich wette, die
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Hütten auf der Lichtung wurden extra sauber geschrubbt für die Fotos. Wüsste man nicht, was für
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heimtückische Zeitgenossen Wälder sind, könnte man sie wegen solcher Broschüren für komplett
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harmlos halten.
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Keine Brennnesseln, kein dorniges Dickicht – ich meine, allein schon das Wort „Dickicht“!
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Auch Insekten sind nicht zu sehen, keine Zecken, keine Mücken. Und Mücken, Mücken sind das
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Letzte. Es wurden mal tausend Leute statistisch befragt, was sie gern aussterben lassen würden, wenn
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sie es könnten, und jetzt rate mal, auf welchem Platz die Mücke gelandet ist?
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Richtig.
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Ich gebe Mutter die Broschüre zurück. „Sorry“, sage ich, „aber das ist wirklich nichts für mich.“
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„Sorry“, sagt Mutter, „aber wir diskutieren das nicht. Olivenöl, bitte.“
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„Entscheidungen, die mich betreffen“, sage ich, „wollten wir doch diskutieren.“
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„Diese Entscheidung betrifft vor allem mich“, sagt Mutter leise und mehr zur Salatsoße als zu mir.
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„Also: Entweder ist es das Ferienlager oder die Ferienbetreuung an der Schule.“
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Das sitzt. Sie weiß, wie komplett ich die Ferienbetreuung hasse.
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Mutter schneidet Schnittlauch. „Ich habe auch schon Pläne gemacht. Du weißt doch, wie das ist, das
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... alles“, fügt sie nun hinzu mit einer Stimme, als täte der Lauch ihr leid.
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Ich weiß es, natürlich weiß ich es. Seit wir zu zweit sind und alles zu zweit wuppen, muss Mutter
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superviel arbeiten. Ihr bleibt wenig Zeit und Kraft für sich.
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Dass sie Pläne gemacht hat, Pläne ohne mich, finde ich okay. Mütter sind okay. Ist auch echt nicht
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einfach mit mir. Neulich hab ich versucht, ein T-Shirt im Toaster zu trocknen.
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„Zeig noch mal“, sage ich und deute auf die Broschüre, als könnte es da wirklich etwas geben, das
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mich interessiert.
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Selbstverständlich findet die Abfahrt zu einer Uhrzeit statt, wo man alles, was nicht Schlafen ist, unter
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Strafe stellen müsste. Treffpunkt ist ein grauer Busparkplatz am grauen Stadtrand. Ja, es wird Bus
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gefahren, dreihundert Kilometer Schaukelei in der Atemluft von vierzig Gleichaltrigen. Ich hoffe, es
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gibt genug Kotztüten.
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Mutter hatte leider recht. Fast alle in meiner Stufe scheinen in den Wald zu wollen, was ist nur los
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mit der Jugend von heute? Ausnahme sind Amir, Eset und Özlem, die wahrscheinlich schön in der
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Türkei chillen bei Oma und Opa.
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Ein Elternpulk hat sich um eine junge Frau mit Dreadlocks und einen jungen Mann mit Ziegenbart
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versammelt – vermutlich Betreuer, die eine letzte Sprechstunde halten. Mutter ist nicht dabei und hat
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sich auch nicht unter die anderen Eltern gemischt. Sie lehnt an unserem Auto und raucht. Sonst hat
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oft jemand Mitleid mit ihr, so als Alleinerziehender, und stellt sich dazu, fragt, wie es geht, ob sie
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was braucht. Mutter mag das gar nicht, glaub ich. Jetzt kommt niemand. Vielleicht, weil sie raucht?
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Alleinerziehend und alleinrauchend ist den Leuten dann doch zu viel.
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Vielleicht raucht Mutter, damit keiner kommt?
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Ich fänds okay. Und wünsche mir, dass doch jemand rübergeht zu ihr.
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Sie hat mich am Fenster entdeckt und winkt. Ihre Hand sieht froh aus. Weil ich weggehe, denke ich.
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Kompletter Quatsch natürlich. Mutter lächelt nämlich für mich und nicht für sich. Behaupte ich jetzt
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einfach als Lächel-Experte.
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Ich muss schlucken und weiß gar nicht, wieso. Weil ich Mutter nicht jetzt, aber sicher bald vermisse?
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Würde ich natürlich nie zugeben, du spinnst ja. Und winke dann doch zurück.

Aus: Saša Stanišić: Wolf. Hamburg: Carlsen Verlag 2023, S. 11 – 20 (Text gekürzt und adaptiert)

Wahlthema 2

Lies bitte zunächst die Aufgabe und dann die Materialien aufmerksam, bevor du mit dem Schreiben beginnst.

Situation:

Anlässlich des „Welttages des Buches“ befasst sich eine Sonderausgabe der Schülerzeitung, die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern lesen, mit dem Thema „Bücher lesen in der digitalen Welt“.

Du bist gebeten worden, für diese Ausgabe einen informierenden Text über „BookTok“ zu verfassen. Bei deiner Recherche bist du vorab auf einige Materialien gestoßen, die dir dabei helfen, dich vertieft mit dem Thema zu beschäftigen (M 1 – M 6).

Aufgabenstellung

Verfasse auf der Grundlage der Materialien M 1 bis M 6 einen informierenden Text über das Thema „BookTok“. Schreibe nicht einfach aus den Materialien ab, sondern achte auf eine eigenständige Darstellung in einem zusammenhängenden Text.

Gehe dabei so vor:

  • Formuliere für deinen Text eine passende, zum Lesen anregende Überschrift.

  • Stelle einleitend dar, wer BookTok nutzt und welche Merkmale die auf BookTok besprochenen Bücher aufweisen.

  • Erkläre, was in BookTok-Videos gezeigt wird und wie solche Videos gestaltet werden.

  • Erläutere, wie Buchhandel und Verlage auf den Erfolg von BookTok reagieren und welche Auswirkungen BookTok auf den Verkauf von Büchern hat.

  • Setze das Phänomen ‚BookTok‘ zu den Veränderungen in Beziehung, die sich aus der Nutzung digitaler Medien für das Lesen und den Umgang mit Literatur ergeben.

  • Beurteile anhand der Materialien und eigener Überlegungen, inwieweit BookTok für Autorinnen und Autoren sowie Leserinnen und Leser bereichernd sein kann.

M 1a: Tobias Rüther: Die Rückkehr des Lesens

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Steif geht es auf TikTok nicht zu. Auf dieser Plattform werden das Buch und das Lesen unter den
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Jüngeren wie eine Party gefeiert. Sie empfehlen sich Bücher, sie zeigen stolz die vor, die sie schon
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gelesen haben oder noch lesen wollen, sie schwärmen, sie jubeln, sie teilen ihre Leidenschaft mit
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allen. Und es werden immer mehr. Das Zauberwort heißt „BookTok“. Unter diesem Hashtag ver-
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sammeln sich nach neuesten Zahlen 29,7 Millionen Beiträge weltweit.
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Diese neue Lesebegeisterung kommt aus dem Digitalen. Die Realität ist dann analog. Die BookTok-
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Influencer/-innen wedeln jedenfalls nicht mit digitalen Lesegeräten vor der Kamera herum, sondern
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mit gebundenen Büchern. Das Buch wird geradezu zum Lustobjekt und ein Buch bleibt ein Erken-
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nungsmerkmal seiner Besitzerin oder seines Besitzers – beispielsweise auch bei einem neunzehn-
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jährigen jungen Mann, der einen Selbsthilfe-Ratgeber liest, der beim jungen Publikum sehr erfolgreich
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ist. Meist kommen die großen BookTok-Hits aber aus den Sparten Jugendbuch oder „New Adult“:
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Es sind Geschichten vom Erwachsenwerden, von gebrochenen und gekitteten Herzen, Geschichten,
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die nah an der Lebenswelt derjenigen spielen, die sie lesen. In den Buchhandlungen sind es laut einer
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Berliner Buchhändlerin „überwiegend Mädchen und junge Frauen, die vor den BookTok-Regalen
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stehen bleiben und sich gegenseitig Bücher zeigen, die sie gelesen haben und noch lesen wollen.“
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Aber sie erzählt auch von einem Teenager, der seiner überraschten Mutter einen Roman zeigte, der
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zu den wichtigsten der vergangenen dreißig Jahre in Amerika gehört.

Aus: Tobias Rüther: Die Rückkehr des Lesens. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17.03.2024, S. 1 (Text gekürzt und adaptiert)

M 1b: Kitti Toth: TikTok trifft Literatur: BookTok

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BookTok ist eine Community auf der Social-Media-Plattform TikTok mit einer großen Reichweite
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und enormem Einfluss auf Buchverkäufe und Lesetrends. „2019 wurden 250 000 Verkäufe im Zu-
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sammenhang mit #BookTok registriert. 2022 waren es bereits 4,7 Millionen verkaufte Bücher“, wie
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man in einem Fachmagazin der Buchbranche nachlesen kann.
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BookTok ist eine Gemeinschaft aus Menschen, die Bücher lieben oder sich für das Lesen inspirieren
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lassen wollen. BookToker/-innen erstellen kurze und kreativ gestaltete Videos, die meistens zwischen
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15 und 60 Sekunden lang sind. Diese Videos können Buchzusammenfassungen mit ausführlichen
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Rezensionen, Lesetipps, Auseinandersetzungen mit Figuren in Erzähltexten oder unterhaltsame Trends
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rund um das Lesen beinhalten. Bei den TikToks sind visuelle Effekte, Hintergrundmusik und eine
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persönliche Bindung zu den Büchern von Bedeutung, denn hierdurch sollen die Zuschauenden
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gefesselt und inspiriert werden.
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BookToker/-innen nutzen themenbezogene Hashtags, um die Sichtbarkeit ihres jeweiligen Videos
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zu erhöhen. Durch diese Hashtags kann man gezielt nach bestimmten Inhalten suchen. Der Austausch
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zwischen BookToker/-innen und ihren Zuschauenden wird durch die Kommentarfunktion von TikTok
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gefördert. Somit bietet BookTok eine Plattform, auf der sich alle Menschen, die Bücher lieben, ver-
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netzen können.
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Die Nutzer und Nutzerinnen sollen durch die Buchrezensionen auf BookTok beeinflusst werden. Wenn
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ein Buch auf TikTok im Trend ist und die BookToker/-innen es weiterempfehlen, wird das Buch auf-
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grund dieser Empfehlungen gekauft werden. Durch den entstandenen Trend, so erzählt Buchhändlerin
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Emma, komme es jedoch oft zu Enttäuschungen, da die Erwartungen an die Bücher durch die Videos
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stark hochgeschraubt würden.
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Auch viele Buchhandlungen schauen sich die Videos auf BookTok an. Sie orientieren sich daran, was
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gerade im Trend ist, um zu entscheiden, welche Bücher sie verstärkt bestellen sollen. Eine Heraus-
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forderung für die Buchhandlungen, so Emma, sei die begrenzte Vielfalt der Bücher bei BookTok.
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Es gebe zwar BookToker/-innen, die Bücher aus verschiedenen Genres vorstellen, jedoch seien es oft
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dieselben Kategorien. Die häufigsten Genres auf BookTok seien zurzeit Romance, Dark Romance
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und Romantasy. Romance behandelt romantische Geschichten, Dark Romance integriert düstere
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Elemente in die Liebesgeschichte, während Romantasy eine Kombination von Liebe und Fantasy ist.
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„Es ist nicht schlecht, dass wir immer etwas haben, was gut läuft. Aber wir haben auch vieles, was
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nicht in das BookTok-Genre passt oder nie diese Aufmerksamkeit bekommt“, erzählt Emma. Deshalb
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sei die Aufgabe der Buchhandlungen zu schauen, wie man den Büchern, die nicht auf BookTok im
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Trend sind, ebenfalls Aufmerksamkeit verschafft.
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Ein gutes Beispiel, wie man das erreicht, zeigt eine große Buchhandelskette in Deutschland. Sie
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veröffentlicht auf ihrem eigenen TikTok-Account unter anderem Videos, in denen Mitarbeiter und
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Mitarbeiterinnen aus verschiedenen Altersgruppen ihre Lieblingsbücher vorstellen. Somit bekommen
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die Nutzer und Nutzerinnen einen großen Überblick über Bücher und Genres, die sonst auf BookTok
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nicht im Trend sind.

Aus: Tiktok trifft Literatur: das Phänomen BookTok, 11.12.2023 (Zugriff: 28.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert, Überschrift geändert)

M 1c: Abbildung: BookTok und das Lesen von Literatur

Buchhandlung mit Lesenden, Regalbeschriftungen (Neu, Romance, Klassiker) und großem Smartphone‑Spiegel.Buchhandlung mit Lesenden, Regalbeschriftungen (Neu, Romance, Klassiker) und großem Smartphone‑Spiegel.

M 2: Isabella Caldart: BookTok: Die Jugend, sie liest noch

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Buchhandlungen und Verlage lassen die BookTok-Accounts von denjenigen gestalten, die TikTok
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auch privat nutzen. Wie in einer Buchhandlung in Niendorf, deren Konto von einer Auszubildenden
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betreut wird – ein Konto, dem mehr als 4 000 Menschen folgen. Die Buchhandlung ist online so beliebt
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nicht nur dank des Charmes ihrer Angestellten, die unerschrocken vor der Kamera ihre Buchtipps
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präsentieren oder für Challenges durch den Laden sausen, sondern auch, weil die Auszubildende
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weiß, was das junge Publikum auf TikTok will.
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Denn genau das ist der große Vorteil von BookTok für die Buchbranche: dass die Plattform primär
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von jungen Menschen genutzt wird. „In meinem Umfeld kennen viele Leute Bücher nur von TikTok“,
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weiß der 20-jährige Josia Jourdan. Und so können sie zum Lesen bewegt werden – dort, wo Literatur-
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kritik oder Marketing bisher versagen.
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TikTok ist aber schon lange keine Plattform für die ganz jungen Leute mehr, immer mehr Menschen
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aus älteren Generationen nutzen ebenfalls die App. Dieser Wandel schlägt sich auch auf BookTok
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nieder: Bei einer Milliarde aktiver Nutzer und Nutzerinnen, die die App inzwischen zählt, ist es wenig
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überraschend, dass auch die Geschmäcker sehr divers sind, denn auch „erwachsenere“ Literatur, vor
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allem die Klassiker, finden immer mehr Einzug. Die Verlage reagieren darauf: Es werden langsam
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mehr Bücher beworben, die nicht in den Young Adult-Bereich fallen. Man müsse da aber vorsichtig
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vorgehen, so die Marketing-Leiterin eines Münchner Verlags. Wenn sie sich zu weit vom Geschmack
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ihres Publikums lösten, schaue sich das niemand an. Dass immer mehr große Literaturverlage bei
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TikTok sind, wertet sie als Zeichen für einen Wandel in der Buchbranche. Und dass die App vor ein
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20 paar Monaten ihre Funktion umgestellt hat und nicht mehr nur ganz aktuelle Videos ausspielt, kann
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der Buchbranche zum Vorteil dienen.
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BookTok wird für Verlage und Buchhandlungen als nachhaltiges Marketinginstrument eingesetzt,
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um nicht nur mit Trends zu gehen, sondern langfristig ganz unterschiedliche Bücher auf der Plattform
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im Gespräch zu halten. „Wir sehen das auch als Möglichkeit zur Literatur-, vor allem zur Klassiker-
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vermittlung“, sagt etwa Lena Wehbring-Wolf vom Reclam-Verlag.

Aus: BookTok: Die Jugend, sie liest noch, 19.02.2023 (Zugriff: 28.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert)

M 3: Jennifer Heinzel: Wie BookTok die Buch-Welt revolutioniert hat

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BookTok ist mittlerweile mehr als nur ein kleiner Trend, der bald wieder verschwindet. Seit Jahren
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laden immer mehr junge Menschen über diese Plattform Videos von sich ins Netz und zeigen damit
3
ihre Liebe zum Lesen. Sie sprechen über ihre Lieblingsbücher, halten die schönsten Cover in die Höhe
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oder spielen Szenen aus den jeweiligen Büchern nach. Sie geben den Inhalt wieder und vernetzen
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sich so mit anderen, die diese Bücher ebenfalls gelesen haben. Und manchmal geht ein solches Video
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viral. Eine riesige Nachfragewelle entsteht.
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Auch für unbekannte Neulinge mit dem Traum, einen Bestseller zu schreiben, ist BookTok eine wahre
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Chance. Eine angehende Autorin, die ebenfalls versucht, ihr Buch auf BookTok zu vermarkten, ist
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Verena Macziejek. Sie hat weder eine Agentur noch einen Verlag im Rücken. Stattdessen setzt sie
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bei der Vermarktung nur auf BookTok. „Es bietet mir einfach ein großes Publikum mit Interessierten,
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von denen ich weiß, dass das meine Zielgruppe ist“, erklärt die angehende Autorin und fügt hinzu:
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„Es gibt mir auch die Chance, Marketing zu betreiben, ohne dabei ein Budget aufzuwenden. Das ist
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sehr praktisch.“
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Auch Verlage und Buchhandlungen haben das Medium bereits für sich entdeckt. Wer auf BookTok
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landet, kommt nicht darum herum, die Videos mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen einer großen
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Buchhandelskette zu sehen, den kleinen Stars der deutschen BookTok-Community. Sie zeigen sich
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bei ihrer alltäglichen Arbeit, stellen Bücher aus der Buchhandlung vor, sie interviewen Kunden und
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Kundinnen und produzieren vor Ort Videos zu den neuesten Lese-Trends.
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Die Social Media-Teamleiterin dieser Buchhandelskette, Carolin Yildiz, äußert sich klar positiv zur
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Thematik BookTok und sagt: „Das Lesen ist wieder cool geworden, junge Menschen halten sich gerne
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und regelmäßig in den Buchhandlungen auf und teilen innerhalb der Community ihre Begeisterung
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für Bücher.“ Außerdem betont sie, dass BookTok einen maßgeblichen Einfluss auf die gesamte
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Buchbranche habe, was die Buchhandlung an ihrem alltäglichen Geschäft vor Ort beobachten kann.
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„Das Publikum in den Filialen ist jünger geworden, andere Titel und Inhalte in der Beratung sind
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gefragt“, erklärt Carolin Yildiz. In fast jedem Buchhandel gibt es mittlerweile Aufsteller oder Regale
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mit Büchern, die den Trends von BookTok gewidmet werden.

Aus: Wie BookTok die Buch-Welt revolutioniert hat, 10.07.2023 (Zugriff: 25.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert)

M 4: Leila Herrmann und Eva Pramschüfer: Das Phänomen #booktok: „Es geht einigen einfach nur darum, neue Bücher in die Kamera zu halten“

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Der Überkonsum und die überzogene Fokussierung auf die Ästhetik bei BookTok sind laut
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TikTokerin Esra ein Problem. „Manche Leute auf TikTok haben einen Stapel von 800 ungelesenen
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Büchern. Es geht einigen einfach nur darum, neue Bücher in die Kamera zu halten.“ Esra kritisiert,
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dass sich BookTok oft von dem wegbewegt, worum es eigentlich gehen soll: dem Lesen. Es werde
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über Coverfarben und Leseziele gestritten und das Aussehen der Bücher immer mehr in den Vorder-
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grund gerückt.
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Dass für junge Menschen die Hürde geringer wird, auch die auf TikTok beworbene klassische Welt-
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literatur von längst verstorbenen Autorinnen und Autoren in die Hand zu nehmen, ist erfreulich.
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Dennoch betreibt TikTok Agenda-Setting: Es gibt vor, was gekauft und gelesen wird und geht sogar
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noch einen Schritt weiter – es bestimmt, was in das Verlagsprogramm aufgenommen wird.
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„Mir macht es Angst, wenn der Algorithmus über den Bildschirm hinaus in unser reales Leben tritt
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und wir alle gleich werden“, sagt Vielleserin Jasmine Lichtman. „Man ist entweder Mädchen A,
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Mädchen B, Mädchen C, je nachdem, was der Algorithmus einem vorgibt. So werden alle in gewisser
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Weise zur gleichen Person“, sagt sie. Für unabhängige kleine Verlage und kleine Buchläden ist es aber
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sehr wichtig, dass Leser und Leserinnen sich nicht nur von BookTok beeinflussen lassen, da sonst
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die großen Verlage und Autoren und Autorinnen immer größer und die kleinen vollends unsichtbar
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werden.

Aus: „Es geht einigen einfach nur darum, neue Bücher in die Kamera zu halten“, 19.02.2024 (Zugriff: 25.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert)

M 5: Henning Jauernig: Schreien, wimmern, Bücher kaufen

1
Auf TikTok laden Leserinnen Videos hoch, in denen sie ihre Gefühlsachterbahn bei der Lektüre
2
inszenieren: schreien, wimmern, schluchzen. Andere Formate kommen etwas näher an das heran,
3
was traditionelle Literaturkritiker/-innen unter einer Rezension verstehen. In ruhigeren BookTok
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Videos erstellen junge Frauen Rankings ihrer liebsten Reihen oder zeigen Bände, in denen sie mit
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bunten Klebezettelchen Lieblingsstellen markiert haben. Keine Werbekampagne könnte das Produkt
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‚Buch‘ emotionaler in Szene setzen. Ausgerechnet die Videoschnipsel-Plattform TikTok, die dafür
7
verschrien ist, die Aufmerksamkeitsspanne jüngerer Menschen zu verkürzen, beschert dem Buch
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eine rasende Nachfrage.
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Die Kundinnen shoppen die Bücher meist vollkommen analog im Laden. Aus Sicht der Verlage und
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Buchhandlungen gestaltet sich die Sache so: Zwar wird auf BookTok nur selten anspruchsvollere
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Literatur besprochen. Doch etwas Grundsätzliches ist erreicht: Die jungen Menschen lesen wieder,
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auch mehrere Hundert Seiten am Stück.
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Einige Verlage stehen in engem Austausch mit der BookTok-Community und liefern, was sich die
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Kunden und Kundinnen wünschen. Kürzlich beispielsweise einen Ratgeber, der erklärt, wie man selbst
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ein Buch schreibt. Besonders angesagt: Farbschnitte, also Bücher mit bemalten Schnittkanten. Um
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den Inhalt geht es dabei weniger.
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Manchmal kann der Trend selbstzerstörerisch für die Verlage werden. An auf BookTok erfolgreiche
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Autoren und Autorinnen werden immer höhere garantierte Honorare gezahlt, heißt es von Insidern.
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Auch mit BookTok bleibt das Verlagsgeschäft aber großen Unsicherheiten unterworfen. Die exakten
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Algorithmen von TikTok sind schwer zu durchschauen. Und es ist kaum vorherzusehen, welcher
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Titel als nächster zum Hype werden wird. Und so passiert es, dass deutsche Verlage Bücher einkaufen,
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die in den USA durch BookTok sehr erfolgreich waren – und hierzulande zum Flop werden.

Aus: Schreien, wimmern, Bücher kaufen, 07.05.2024 (Zugriff: 25.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert)

M 6: Gerhard Lauer: Lesen im digitalen Zeitalter

1
Im digitalen Leben wird alles anders, auch das Lesen, so sagt man. Es werde nicht mehr so viel wie
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früher gelesen, und vor allem werde nicht mehr gründlich gelesen, so der gefühlte Konsens über einen
3
Wandel, wenn nicht eine Revolution im Bereich der Mediennutzung.
4
Man kann jedoch die Geschichte vom Ende von Buch und Lesen umgekehrt als Geschichte vom An-
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fang des neuen Lesens neuer Bücher erzählen. Lesen stirbt weder aus noch verschwinden die Bücher.
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Die digitale Transformation verwandelt vielmehr jedes Buch in eine Datei und jeden Leserkommen-
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tar in Daten. Wer schreibt, schreibt zunächst kein Buch, sondern eine Datei. Die kann ungemein leicht
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geteilt werden, in andere Formate überführt oder mit anderen Medien verknüpft und in die ganze Welt
9
versendet werden. Die Datei ist nicht mehr an ihren Träger, das Buch, gebunden. Sie kann verviel-
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fältigt und in Foren für Fanfiction geteilt, besprochen und umgeschrieben oder in einem Selbstver-
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lag für 99 Cent zum Download angeboten werden. Viele aber werden nur lesen, immersiv lesen und
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sich von der Geschichte tragen lassen.
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Verändert hat sich jedoch, dass nicht mehr das Buch im Mittelpunkt steht, sondern die vielen Erschei-
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nungsformen dessen, was man Buch genannt hat. Das Buch als digitale Datei hat die notwendige
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Freiheit, fast alles werden zu können. Die Bedingungen dafür sind günstig, der Hunger nach Geschich-
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ten ist geblieben, das moderne, selbstvergessene Lesen ist gewachsen und die Formate, die Bücher
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annehmen können, sind mehr geworden. Wir können mehr denn je Leserinnen und Leser sein.
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Die Zukunft hat den Nachteil, notorisch ungewiss zu sein, und so sind alle Vermutungen, was das
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digitale Zeitalter noch für uns bereithält, mehr als vorläufig. Deutlich sollte jedoch sein, dass die
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digitale Gesellschaft notwendig eine lesende Gesellschaft ist. Vielleicht geht gerade das Zeitalter
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des Buches, wie wir es kannten, zu Ende. Aber das des Lesens beginnt erst.

Information zum Autor: Gerhard Lauer (geb. 1962) ist ein deutscher Literaturwissenschaftler und Professor für Buchwissenschaft an der Universität Mainz. Sein Buch Lesen im digitalen Zeitalter erschien im Jahr 2020, als es den BookTokTrend noch nicht gab.

Aus: Gerhard Lauer: Lesen im digitalen Zeitalter. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2020, S. 9, S. 224 – 226, S. 234 (Text gekürzt und adaptiert)

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