Schreiben
Der zweite Prüfungsteil enthält zwei Wahlthemen, aus denen eines von dir ausgewählt und bearbeitet werden muss!
Wahlthema 1
-
Lies bitte zunächst den Text, bevor du die Aufgabe bearbeitest.
-
Schreibe einen zusammenhängenden Text.
Aufgabenstellung
Analysiere den vorliegenden Anfang des Romans Wolf von Saša Stanišić.
Gehe dabei so vor:
-
Schreibe eine Einleitung, in der du Textsorte, Titel, Autor und Erscheinungsjahr benennst, das Thema formulierst und den Inhalt zusammenfasst.
-
Stelle dar, auf welche Weise die Mutter ihren Sohn Kemi vom Aufenthalt im Ferienlager zu überzeugen versucht, und erläutere, aus welchen Gründen sich Kemis Einstellung wandelt und mit welchen Gefühlen er ins Ferienlager aufbricht.
-
Untersuche, durch welche erzählerischen Mittel das Geschehen den Lesenden nahegebracht wird und wie durch sprachliche Mittel Kemis Sicht auf das Ferienlager deutlich wird (mögliche Aspekte: Wortwahl, Satzbau, stilistische Mittel).
-
Verfasse einen inneren Monolog aus der Sicht der Mutter nach der Abfahrt Kemis:
– Welche Gedanken hat sie, als sie noch einmal über die Diskussion mit Kemi im Vorfeld der Abreise nachdenkt?
– Was denkt sie über Kemis Verhalten und ihre Beziehung zu ihm?
Beachte die Form des inneren Monologs und berücksichtige die Informationen, die der Textauszug gibt.
Material
Saša Stanišić: Wolf (Textauszug)
Beim Ich-Erzähler handelt es sich um einen Jungen namens Kemi.
Aus: Saša Stanišić: Wolf. Hamburg: Carlsen Verlag 2023, S. 11 – 20 (Text gekürzt und adaptiert)
Wahlthema 2
Lies bitte zunächst die Aufgabe und dann die Materialien aufmerksam, bevor du mit dem Schreiben beginnst.
Situation:
Anlässlich des „Welttages des Buches“ befasst sich eine Sonderausgabe der Schülerzeitung, die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern lesen, mit dem Thema „Bücher lesen in der digitalen Welt“.
Du bist gebeten worden, für diese Ausgabe einen informierenden Text über „BookTok“ zu verfassen. Bei deiner Recherche bist du vorab auf einige Materialien gestoßen, die dir dabei helfen, dich vertieft mit dem Thema zu beschäftigen (M 1 – M 6).
Aufgabenstellung
Verfasse auf der Grundlage der Materialien M 1 bis M 6 einen informierenden Text über das Thema „BookTok“. Schreibe nicht einfach aus den Materialien ab, sondern achte auf eine eigenständige Darstellung in einem zusammenhängenden Text.
Gehe dabei so vor:
-
Formuliere für deinen Text eine passende, zum Lesen anregende Überschrift.
-
Stelle einleitend dar, wer BookTok nutzt und welche Merkmale die auf BookTok besprochenen Bücher aufweisen.
-
Erkläre, was in BookTok-Videos gezeigt wird und wie solche Videos gestaltet werden.
-
Erläutere, wie Buchhandel und Verlage auf den Erfolg von BookTok reagieren und welche Auswirkungen BookTok auf den Verkauf von Büchern hat.
-
Setze das Phänomen ‚BookTok‘ zu den Veränderungen in Beziehung, die sich aus der Nutzung digitaler Medien für das Lesen und den Umgang mit Literatur ergeben.
-
Beurteile anhand der Materialien und eigener Überlegungen, inwieweit BookTok für Autorinnen und Autoren sowie Leserinnen und Leser bereichernd sein kann.
M 1a: Tobias Rüther: Die Rückkehr des Lesens
Aus: Tobias Rüther: Die Rückkehr des Lesens. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17.03.2024, S. 1 (Text gekürzt und adaptiert)
M 1b: Kitti Toth: TikTok trifft Literatur: BookTok
Aus: Tiktok trifft Literatur: das Phänomen BookTok, 11.12.2023 (Zugriff: 28.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert, Überschrift geändert)
M 1c: Abbildung: BookTok und das Lesen von Literatur

M 2: Isabella Caldart: BookTok: Die Jugend, sie liest noch
Aus: BookTok: Die Jugend, sie liest noch, 19.02.2023 (Zugriff: 28.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert)
M 3: Jennifer Heinzel: Wie BookTok die Buch-Welt revolutioniert hat
Aus: Wie BookTok die Buch-Welt revolutioniert hat, 10.07.2023 (Zugriff: 25.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert)
M 4: Leila Herrmann und Eva Pramschüfer: Das Phänomen #booktok: „Es geht einigen einfach nur darum, neue Bücher in die Kamera zu halten“
Aus: „Es geht einigen einfach nur darum, neue Bücher in die Kamera zu halten“, 19.02.2024 (Zugriff: 25.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert)
M 5: Henning Jauernig: Schreien, wimmern, Bücher kaufen
Aus: Schreien, wimmern, Bücher kaufen, 07.05.2024 (Zugriff: 25.02.2025) (Text gekürzt und adaptiert)
M 6: Gerhard Lauer: Lesen im digitalen Zeitalter
Information zum Autor: Gerhard Lauer (geb. 1962) ist ein deutscher Literaturwissenschaftler und Professor für Buchwissenschaft an der Universität Mainz. Sein Buch Lesen im digitalen Zeitalter erschien im Jahr 2020, als es den BookTokTrend noch nicht gab.
Aus: Gerhard Lauer: Lesen im digitalen Zeitalter. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2020, S. 9, S. 224 – 226, S. 234 (Text gekürzt und adaptiert)
Weiter lernen mit SchulLV-PLUS!
monatlich kündbarSchulLV-PLUS-Vorteile im ÜberblickDu hast bereits einen Account?Wahlthema 1
Einleitung
-
Der vorliegende Textauszug stammt aus dem 2023 erschienenen Jugendroman Wolf von Saša Stanišić.
-
Es handelt sich um einen erzählenden Prosatext in Ich-Form, in dem ein Junge namens Kemi von seiner Mutter gegen seinen Willen in ein Ferienlager geschickt wird.
-
Im Mittelpunkt stehen der Konflikt zwischen Mutter und Sohn über diese Entscheidung, Kemis ablehnende Haltung gegenüber dem Lager sowie seine langsame, eher leise Wandlung am Ende, als ihm die Situation seiner alleinerziehenden Mutter bewusst wird.
-
Der Erzähler schildert zunächst ein Gespräch in der Küche und anschließend die Abfahrt des Busses zum Ferienlager.
Überzeugungsversuche der Mutter und Kemis Einstellungswandel
Strategien der Mutter
-
Die Mutter nutzt verschiedene, teils sehr unterschiedliche Strategien, um ihren Sohn vom Ferienlager zu überzeugen. Zunächst teilt sie ihm die Entscheidung beiläufig mit („übrigens“, Z. 4) und stellt so klar, dass sie ihn bereits angemeldet hat (Vgl. Z. 5 f.). Dadurch signalisiert sie ihre elterliche Autorität und versucht, Widerstand gar nicht erst entstehen zu lassen. Anschließend begründet sie das Ferienlager mit gesundheitlichen und pädagogischen Argumenten, indem sie betont: „Ein bisschen Natur wird dir guttun“ (Z. 12). Diese Aussage soll das Lager als sinnvolle Auszeit darstellen.
-
Um Kemis Ablehnung weiter abzuschwächen, verharmlost sie die Dauer des Aufenthalts („Es ist nur für eine Woche“, Z. 17) und nennt als weiteren Vorteil, dass fast alle aus seiner Klasse teilnehmen (Vgl. Z. 19). Auf diese Weise hofft sie, sozialen Anschluss und Gruppenzugehörigkeit als Motivation zu nutzen. Zusätzlich setzt sie eine Werbebroschüre ein, deren Überschriften „ABENTEUER WALD / ABENTEUER MENSCH“ (Z. 24 f.) und idyllische Fotos von Hütten und Waldlichtungen (Vgl. Z. 26–29) das Lager als spannenden und harmonischen Ort darstellen sollen.
-
Als diese positiven Strategien nicht wirken, greift die Mutter zu Druck: Sie stellt Kemi vor die Wahl zwischen dem Ferienlager und der von ihr verhassten Ferienbetreuung an der Schule (Vgl. Z. 44–46). Schließlich legt sie offen, wie sehr sie als alleinerziehende Mutter belastet ist und dass sie bereits Pläne machen musste (Vgl. Z. 47–49). Sie erklärt, dass sie Zeit und Kraft brauche und appelliert so an Kemis Verständnis und Verantwortungsgefühl.
-
Insgesamt schwankt sie zwischen Fürsorge, pädagogischen Argumenten, Werbung, Druck und ehrlichen Einblicken in ihre eigene schwierige Situation.
Gründe für Kemis Einstellungswandel und seine Gefühle beim Aufbruch
-
Kemi lehnt das Ferienlager zu Beginn entschieden ab. Seine erste Reaktion ist von Spott und Widerstand geprägt, etwa wenn er mit dem „Gurkenmikro“ (Vgl. Z. 7 f.) Witze macht oder sich über das Lagerfeuer beschwert („Rauch in den Augen, die Zunge verbrannt?“, Z. 15). Natur verbindet er mit Unannehmlichkeiten wie Brennnesseln oder Insekten (Vgl. Z. 36–38), und der künstlich perfekte Prospektwald wirkt auf ihn unglaubwürdig und kitschig (Vgl. Z. 31–33). Außerdem empfindet er es als unfair, ohne seine Zustimmung angemeldet worden zu sein, da ihm „Entscheidungen, die [ihn] betreffen“ (Z. 43) wichtig sind. Seine Klasse bedeutet ihm wenig („komplett egal“, Z. 20), weshalb auch soziale Argumente nicht überzeugen können.
-
Seine Einstellung beginnt sich jedoch zu verändern, als er die Situation der Mutter besser versteht. Sie erklärt ihm, dass sie als Alleinerziehende arbeiten muss und die Woche entlastend für sie wäre (Z. 47–51). Dadurch erkennt Kemi, wie viel sie allein bewältigen muss. Der eigentliche Wendepunkt entsteht allerdings erst bei der Abfahrt. Dort sieht er seine Mutter abseits stehen, rauchend und allein (Vgl. Z. 63 f.), und bemerkt, wie sie möglicherweise von anderen beurteilt wird („Alleinerziehend und alleinrauchend“, Z. 67). Er empfindet plötzlich Mitgefühl und wünscht sich, jemand würde zu ihr hinübergehen (Vgl. Z. 69). Als er schließlich erkennt, dass sie „für [ihn]“ (Z. 71) lächelt, versteht er, wie sehr sie sich bemüht und wie wichtig er ihr ist.
-
Kemi fährt daher nicht begeistert, aber mit einer neuen inneren Haltung los. Er empfindet gleichzeitig Ablehnung gegenüber dem Lager und Zuneigung zu seiner Mutter. Obwohl er es nicht zeigen möchte, spürt er, dass er sie bald vermissen könnte (Vgl. Z. 73). Sein zögerliches, aber schließlich doch erfolgendes Zurückwinken (Vgl. Z. 74) zeigt, dass er seine Mutter besser versteht und sich ihr innerlich annähert. Seine Gefühle beim Aufbruch sind daher widersprüchlich: Er bleibt skeptisch gegenüber dem Ferienlager, akzeptiert es aber aus Rücksicht und wachsendem Verantwortungsgefühl.
Erzählerische Mittel und sprachliche Gestaltung
Erzählperspektive und Aufbau
-
Der Text wird aus der Ich-Perspektive des Jungen Kemi erzählt („Ich liebe es, mit Mutter Salat zu machen“, Z. 1 f.), wodurch die Lesenden das Geschehen vollständig durch seine subjektive Wahrnehmung erleben. Kemis Gedanken, seine ironischen Kommentare und seine ablehnende Haltung gegenüber dem Ferienlager erscheinen unmittelbar und prägen die gesamte Darstellung. Die Mutter wird dabei ausschließlich so beschrieben, wie Kemi sie sieht, was seine Sichtweise besonders stark hervorhebt.
-
Der Ausschnitt ist klar in zwei Szenen gegliedert: Zunächst findet das Gespräch zwischen Mutter und Sohn in der Küche statt (Vgl. Z. 1–52), und die Handlung wird fast ausschließlich über den Dialog vorangetrieben. Anschließend folgt ein Szenenwechsel zum Busparkplatz (Vgl. Z. 55–74), an dem die Abfahrt ins Ferienlager stattfindet und der emotionale Höhepunkt des Textes erreicht wird. Ein deutlicher Zeitsprung markiert die Trennung der beiden Teile („Selbstverständlich findet die Abfahrt […] statt“, Z. 55). Dadurch wird klar: Der Streit ist vorbei, die Entscheidung ist gefallen, und nun muss sich Kemi mit den Folgen auseinandersetzen.
Dialoge und Satzbau
-
Ein Großteil des Textes besteht aus wörtlicher Rede, was den Konflikt zwischen Mutter und Sohn sehr lebendig macht und die Spannung im Gespräch verdeutlicht („‚Übrigens‘, sagt also meine Mutter“, Z. 4 f.). Die Dialoge sind schnell, direkt und oft von gegenseitigen Sticheleien geprägt, was den angespannten Ton der Situation spürbar werden lässt.
-
Der Satzbau ist häufig kurz und parataktisch, teilweise elliptisch, etwa in Sätzen wie „Richtig.“ (Z. 40) oder „Guck, wie hübsch die Bäume sind“ (Z. 27). Das verleiht dem Text einen mündlichen, jugendlichen Charakter und spiegelt Kemis spontane, ungefilterte Art zu sprechen wider. Gleichzeitig tauchen auch längere, bildhafte Beschreibungen auf, wenn Kemi etwa die Werbebroschüre ironisch kommentiert (Vgl. Z. 31–33). Dadurch wechseln sich einfache Alltagssprache und ausformulierte Gedanken rhythmisch ab.
Wortwahl und Stilmittel
-
Kemis Einstellung zum Ferienlager wird stark durch seine Wortwahl geprägt, die oft ironisch, spöttisch oder übertrieben ist. So spricht er etwa von „tausend Leuten“ (Z. 38), um die Unsinnigkeit bestimmter Statistiken hervorzuheben, oder übertreibt bewusst, wenn er sich über das „dornige Dickicht“ (Z. 36) lächerlich macht. Auch Formulierungen wie „komplett egal“ (Z. 20) oder „komplett harmlos“ (Z. 34 f.) verdeutlichen seine Abwehrhaltung.
-
Bildhafte Metaphern wie der Wald, der aussieht, „als hätte jemand das Gras gekämmt“ (Z. 32), zeigen, wie künstlich und unglaubwürdig ihm die Darstellung im Prospekt erscheint. Ebenso wird seine Abneigung gegenüber der Busfahrt durch die Formulierung „Schaukelei in der Atemluft von vierzig Gleichaltrigen“ (Z. 57 f.) anschaulich vermittelt. Rhetorische Fragen wie „Natur? Mir? Mama, seit wann kennen wir uns?“ (Z. 13) geben Kemis Trotz und Humor wieder.
-
Der Text ist insgesamt stark geprägt von Umgangssprache, etwa durch Wörter wie „Quatsch“ (Z. 71) oder „spinnst ja“ (Z. 74) sowie durch oft wiederholte Füllwörter wie „komplett“. Dadurch wirkt Kemi authentisch als jugendlicher Erzähler. Im Kontrast dazu spricht die Mutter meist sachlicher und argumentativer („Es ist nur für eine Woche“, Z. 17; „Ein bisschen Natur wird dir guttun“, Z. 12). Dieser sprachliche Gegensatz macht deutlich, wie unterschiedlich beide die Situation bewerten: Die Mutter argumentiert vernünftig und aus ihrer Erwachsenensicht, während Kemi emotional und abweisend reagiert.
-
Am Ende verändert sich jedoch der Ton spürbar: Die Beschreibung der Mutter, die „froh“ (Z. 70) winkt und „lächelt“ (Z. 71), ist nicht mehr spöttisch, sondern zeigt Kemis wachsende Empathie. Das schlichte Verb „schlucken“ (Z. 73) macht körperlich erfahrbar, wie sehr ihm der Abschied doch nahegeht. Seine Sprache wird in diesem Moment ernster und weniger ironisch – ein Zeichen dafür, dass er beginnt, die Mutter und ihre Belastung anders wahrzunehmen.
Innerer Monolog der Mutter nach der Abfahrt
-
Jetzt ist er also wirklich weg. Eine Woche. Nur eine Woche, sage ich mir, aber es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Ich sehe den Bus noch vor mir, wie er um die Ecke biegt, diese graue Kiste und Kemi, der sich zuerst geweigert hat zu winken und dann doch die Hand gehoben hat. Natürlich nur ganz cool, versteht sich. Aber ich kenne ihn, ich habe gesehen, wie er geschluckt hat.
-
Habe ich das richtig gemacht? Einfach anmelden, „übrigens, ich habe dich zu einem Ferienlager angemeldet“. Kein Wunder, dass er sofort auf Abwehr gegangen ist. Vielleicht hätte ich ihn früher einbeziehen sollen, ihm erklären, warum ich das brauche. Nicht nur „Natur tut dir gut“ und „fast alle aus der Klasse fahren mit“. Das klang bestimmt wie aus der Broschüre abgelesen. Und diese Broschüre … grelle Überschrift „ABENTEUER WALD“, als ob man Abenteuer einfach buchen könnte. Kemi durchschaut so etwas sofort, natürlich macht er dann Witze.
-
Aber was hätte ich tun sollen? Ich muss arbeiten. Die Ferienbetreuung in der Schule ist keine Alternative, das weiß er genau. Die überfüllten Räume, das lärmende Durcheinander, die genervten Betreuer – ich hasse diesen Gedanken. Vielleicht war es unfair, ihm nur die Wahl zwischen Lager und Betreuung zu lassen, aber viel mehr Möglichkeiten habe ich nicht. Alleinerziehend sein heißt, ständig Kompromisse zu machen und meistens ist es Kemi, der mitziehen muss.
-
Dabei will ich doch, dass er eine gute Zeit hat. Dass er mal rauskommt aus unserem Alltag. Vielleicht wird ihm der Wald ja doch gefallen, auch wenn er im Prospekt zu glatt aussah. Vielleicht tut ihm ein Lagerfeuer gut – mit Rauch in den Augen, Folienkartoffeln, die zu heiß sind, und Geschichten, die man nur nachts im Zelt erzählt. Vielleicht findet er jemanden, mit dem er sich versteht, auch wenn er behauptet, die ganze Klasse sei ihm „komplett egal“.
-
Und ich? Früher wäre ich zu den anderen Eltern gegangen, hätte gefragt, wie das Programm aussieht. Heute bleibe ich beim Auto, Zigarette in der Hand, tue so, als bräuchte ich niemanden. Alleinerziehend und alleinrauchend – Kemi hat recht, das sieht nach Problemfall aus.
Ich spüre die Blicke, ich male sie mir jedenfalls aus. Die Leute, die denken, ich hätte mein Leben nicht im Griff. Dabei halte ich alles zusammen, aber niemand sieht das. Vielleicht rauche ich, damit mich keiner anspricht. Smalltalk halte ich nicht aus.
-
Als Kemi mir die Broschüre zurückgegeben hat – „das ist wirklich nichts für mich“ – habe ich ihn so gut verstanden. Er will selber entscheiden, wo er hingehört. „Entscheidungen, die mich betreffen“ – da hatte er recht. Und trotzdem musste ich hart bleiben. Manchmal ist Elternsein genau das: etwas durchziehen, obwohl das eigene Kind dich dafür hasst. Zumindest für ein paar Stunden. Oder Tage.
-
Ich hoffe, er merkt irgendwann, dass ich das nicht gegen ihn, sondern für uns beide tue. Für ihn, damit er etwas erlebt, woran er später vielleicht gern zurückdenkt. Für mich, damit ich einmal durchatmen kann, eine Woche lang nicht auf die Uhr schauen, nicht gleichzeitig kochen, Mails beantworten, Wäsche waschen, Formulare ausfüllen. Eine Woche, in der ich vielleicht endlich wieder so schlafe, dass ich am Morgen nicht schon müde bin.
-
Und trotzdem: Jetzt, wo der Bus weg ist, fühlt sich die Freiheit nicht leicht an, sondern schwer. Meine Hand riecht noch nach Salat und Knoblauch, nach unserem kleinen Ritual. Ich lächle immer noch, obwohl keiner mehr da ist, für den ich lächeln müsste. Ich hoffe nur, dass er sich an dieses Lächeln erinnert, wenn ihm heute Abend im Schlafsack kalt wird oder die anderen ihn nerven.
-
Vielleicht denkt er dann daran, dass da jemand ist, der ihn liebt, auch wenn sie manchmal schlechte Entscheidungen trifft. Oder gute Entscheidungen, die sich im ersten Moment schlecht anfühlen. Eine Woche. Ich werde sie nutzen und die Tage zählen, bis er wieder aus dem Bus steigt – hoffentlich mit ein bisschen Wald in den Haaren und weniger Wut im Blick.
Wahlthema 2
Wenn Bücher viral gehen: Wie BookTok die Welt des Lesens verändert
Wer BookTok nutzt und welche Bücher dort im Mittelpunkt stehen
-
BookTok ist ein rasant wachsender Bereich der Social-Media-Plattform TikTok, der sich ausschließlich dem Thema Bücher widmet. Besonders intensiv genutzt wird BookTok von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich für Literatur interessieren und ihre Begeisterung für bestimmte Geschichten öffentlich teilen möchten. Viele dieser jungen Nutzerinnen und Nutzer erstellen selbst Videos, kommentieren Trends und tauschen sich lebhaft über Figuren, Handlungsverläufe oder Lieblingsautoren aus.
-
In den letzten Jahren ist jedoch deutlich geworden, dass die Community weit über diese Altersgruppe hinausreicht. Auch Erwachsene, ältere Leser*innen, Buchhändler*innen, Autor*innen sowie Mitarbeiter*innen aus Verlagen nehmen aktiv teil. Dadurch entsteht eine vielfältige Gemeinschaft, in der Menschen verschiedener Generationen über Literatur miteinander in Kontakt treten.
-
Die Bücher, die auf BookTok besondere Aufmerksamkeit erhalten, weisen wiederkehrende Merkmale auf. Häufig handelt es sich um Werke aus bestimmten, emotional aufgeladenen Genres wie Romance, Dark Romance, New Adult oder Romantasy. Diese Titel leben von starken Gefühlen, intensiven Liebesgeschichten, unerwarteten Wendungen und Figuren, mit denen sich ein junges Publikum leicht identifizieren kann.
-
Immer häufiger tauchen aber auch andere Literaturformen auf, etwa Klassiker oder anspruchsvollere Romane, die durch einzelne virale Videos ein neues Publikum finden. Damit zeigt sich, dass BookTok nicht nur kurzfristige Trends erzeugt, sondern langfristig das Leseverhalten vieler Menschen beeinflusst.
Was BookTok-Videos zeigen und wie sie gestaltet sind
-
Die Videos, die auf BookTok hochgeladen werden, richten ihren Fokus fast immer auf die emotionale Wirkung des Lesens. Die Creatorinnen und Creator filmen sich häufig dabei, wie sie während der Lektüre starke Gefühle durchleben. Man sieht sie lachen, weinen, wütend wirken oder sprachlos zurückbleiben, weil eine Szene sie besonders berührt hat. Diese emotionale Direktheit ist ein charakteristisches Merkmal der Plattform.
-
Hinzu kommt, dass viele Nutzerinnen und Nutzer kurze Inhaltsangaben geben, Lieblingszitate präsentieren oder Figuren analysieren. Andere zeigen prall gefüllte Bücherregale oder sortierte Sammlungen, wodurch eine eigene, ästhetische „BookTok-Welt“ entsteht.
-
Die Gestaltung der Videos folgt typischen Mustern, die auf die Funktionsweise der Plattform abgestimmt sind. Die Clips dauern meist zwischen fünfzehn und sechzig Sekunden und sind mit Hintergrundmusik, Filtern, Texteinblendungen und schnellen Schnittfolgen versehen. Die ästhetische Präsentation spielt eine große Rolle: bunt markierte Buchseiten, farbig gestaltete Buchschnitte oder dekorativ arrangierte Regale sorgen für einen hohen Wiedererkennungswert.
-
Durch das Verwenden bestimmter Hashtags wie #BookTok oder #BookRecommendation erhöhen die Creatorinnen und Creator die Sichtbarkeit ihrer Inhalte erheblich. Der TikTok-Algorithmus verstärkt diesen Effekt, indem er besonders beliebten oder häufig kommentierten Videos eine enorme Reichweite verschafft. Im Zusammenspiel aus Emotion, Kürze, Ästhetik und Algorithmus entsteht ein Format, das sowohl unterhaltsam als auch wirkungsvoll ist.
Reaktionen von Buchhandel und Verlagen sowie Auswirkungen auf den Buchverkauf
-
Der große Erfolg von BookTok hat deutliche Reaktionen im Buchhandel ausgelöst. Viele Buchhändlerinnen und Buchhändler beobachten Trends auf der Plattform aufmerksam, um zu erkennen, welche Titel besonders gefragt sind. Sie bestellen diese Bücher verstärkt nach, richten spezielle BookTok-Tische ein und dekorieren ihre Geschäfte so, dass Kundinnen und Kunden die Titel aus den Videos sofort wiederfinden.
-
Der Buchhandel nutzt BookTok damit gezielt als Orientierungshilfe für sein Sortiment und als Möglichkeit, jüngere Zielgruppen stärker anzusprechen. Manche Buchhandlungen betreiben sogar eigene TikTok-Accounts, auf denen Mitarbeitende ihre Lieblingsbücher vorstellen oder Einblicke in den Arbeitsalltag geben. Dadurch wird Buchhandlungskultur nahbarer und moderner präsentiert.
-
Auch die Verlage haben BookTok als strategisches Instrument entdeckt. Viele von ihnen passen ihre Marketingstrategien an, indem sie Cover und Buchtitel an die ästhetischen Vorlieben der Plattform anlehnen, junge Influencerinnen und Influencer in Kampagnen einbinden oder selbst Videos veröffentlichen. Mitarbeiterinnen in Verlagen, die oft selbst zur TikTok-Zielgruppe gehören, übernehmen die Pflege der Kanäle und präsentieren Geschichten, Neuerscheinungen oder besondere Einblicke hinter die Kulissen.
-
In der Branche zeigt sich deutlich, dass BookTok den Buchmarkt beeinflusst: Millionen-Verkaufszahlen werden direkt mit der Plattform in Verbindung gebracht, und manche Bücher, die bereits länger auf dem Markt waren, erleben durch virale Clips ein unerwartetes Comeback.
-
Dieser Einfluss ist jedoch nicht frei von Herausforderungen. Durch die kurze und schnelllebige Form der Videos können Erwartungen an bestimmte Titel überhöht werden, was laut Aussagen aus den Materialien häufig zu Enttäuschungen führt. Zudem konzentriert sich BookTok stark auf einige wenige Genres, wodurch andere literarische Bereiche weniger Aufmerksamkeit erhalten. Die Unsicherheit durch den Algorithmus stellt Verlage vor ein Risiko, da nicht vorhersehbar ist, welche Titel erfolgreich sein werden. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass BookTok den Buchhandel insgesamt belebt und den Absatz vieler Bücher deutlich steigert.
BookTok im Zusammenhang mit der digitalen Transformation des Lesens
-
Die Entwicklungen rund um BookTok lassen sich nur verstehen, wenn man sie in einen größeren medienkulturellen Zusammenhang einordnet. Der Literaturwissenschaftler Gerhard Lauer macht deutlich, dass sich das Lesen im digitalen Zeitalter grundlegend verändert hat. Bücher existieren nicht mehr nur als gedruckte, fest gebundene Objekte, sondern auch als digitale Dateien, die sich leicht verbreiten, kommentieren oder weiterverarbeiten lassen. Leserinnen und Leser werden aktiver, indem sie über ihre Lektüre posten, Fanfiction schreiben, Inhalte weiterentwickeln oder ihre Bücher online inszenieren.
-
BookTok ist ein prägnantes Beispiel für diesen Wandel. Die Lektüre wird durch die Plattform sozialer und gemeinschaftlicher. Junge Menschen lesen nicht nur privat, sondern teilen ihre Erfahrungen öffentlich und erhalten sofort Rückmeldungen. Die Grenzen zwischen Lesen, Diskutieren und Gestalten verschwimmen.
-
Die Plattform zeigt zugleich, dass die Sorge um eine „lesemüde Generation“ nicht zutrifft: Viele Jugendliche berichten, dass sie durch BookTok wieder mit Begeisterung lesen, lange Bücher am Stück verschlingen und durch die Community motiviert werden. Das digitale Umfeld erzeugt somit neue Formen des Lesens, die nicht vom Ende der Literatur, sondern von ihrer Weiterentwicklung erzählen.
Beurteilung: Inwiefern BookTok eine Bereicherung darstellen kann
-
Für Autorinnen und Autoren bietet BookTok zahlreiche Chancen. Besonders für Schreibende ohne große Bekanntheit bedeutet die Plattform die Möglichkeit, ein Publikum zu erreichen, das sie auf traditionellem Weg kaum finden würden. Wenn ein Video über ihr Buch viral geht, können Verkaufszahlen rasant ansteigen, und manche Selfpublisher haben auf diese Weise den Sprung zum Bestseller geschafft.
-
Durch den direkten Kontakt mit den Leserinnen und Lesern entsteht ein enger Austausch, der Rückmeldungen ermöglicht und Schreibprozesse beeinflussen kann. Gleichzeitig können Autorinnen und Autoren selbst kreativ werden, Auszüge präsentieren oder Einblicke in ihren Arbeitsalltag geben und dadurch eine persönliche Bindung zum Publikum aufbauen.
-
Auch für Leserinnen und Leser ist BookTok bereichernd. Sie erhalten niedrigschwellige, persönliche Buchempfehlungen, entdecken neue Genres und werden Teil einer Gemeinschaft, in der über Figuren und Themen offen gesprochen wird. Viele Jugendliche erfahren zum ersten Mal, dass Lesen nicht isoliert stattfinden muss, sondern ein soziales Erlebnis sein kann. BookTok öffnet Zugänge zu Literatur für Menschen, die sonst vielleicht nicht auf die Idee gekommen wären, ein Buch zur Hand zu nehmen.
-
Trotz dieser positiven Aspekte ist eine kritische Betrachtung notwendig. Die starke Abhängigkeit vom Algorithmus kann Schreibende unter Druck setzen, bestimmte Formate zu bedienen oder Trends zu wiederholen. Leserinnen und Leser laufen Gefahr, sich zu sehr an viralem Hype zu orientieren und literarische Vielfalt zu übersehen. Zudem können stark emotionalisierte Darstellungen Erwartungen erzeugen, die ein Buch nicht immer erfüllen kann. Dennoch überwiegen die Vorteile, wenn BookTok bewusst und reflektiert genutzt wird.
-
Insgesamt lässt sich sagen, dass BookTok ein bedeutendes Phänomen der digitalen Gegenwartskultur darstellt. Es trägt dazu bei, dass das Lesen im Leben vieler junger Menschen wieder einen festen Platz gewinnt. Die Plattform verbindet die Möglichkeiten digitaler Medien mit der Tradition des Geschichtenerzählens und zeigt, dass Literatur auch im 21. Jahrhundert nichts von ihrer Faszination verloren hat.