Aufgabe 4 – Essay
Thema
Dossier: Demokratie und Kommunikation
Aufgabenstellung
Verfasse Abstracts zu den Materialien 1, 2 und 3. (ca. 30 Prozent)
Verfasse einen Essay unter Berücksichtigung des Dossiers mit dem Titel Demokratie und Kommunikation. (ca. 70 Prozent)
Material 1
Zwischen Partizipationsversprechen und Algorithmenmacht. Wie soziale Medien politisches Handeln prägen
Jan-Hinrik Schmidt
Quelle: Jan-Hinrik Schmidt, Zwischen Partizipationsversprechen und Algorithmenmacht. Wie soziale Medien politisches Handeln prägen, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen. Erfurt 2022, S. 49 f.
Jan-Hinrik Schmidt (* 1972) erforscht digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg.
Material 2
Mir sind im letzten Monat im Internet begegnet:
Hinweis: Die oberen Werte des Diagramms beziehen sich auf das Jahr 2022, die unteren auf das Jahr 2023.
Aus: Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (mpfs): JIM-Studie 2023 – Jugend, Information, Medien, S. 52. JIM_2023_ Charts_final_PDF.pdf; Zugriff am 26.12.2023.
Material 3
Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik
Jürgen Habermas
Aus: Jürgen Habermas: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Berlin: Suhrkamp 2022, S. 44 ff.
Jürgen Habermas (* 1929) ist ein bedeutender deutscher Philosoph.
Material 4
Die große Gereiztheit
Bernhard Pörksen
Aus: Bernhard Pörksen: Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung, München: Hanser 2. Aufl. 2018, S. 76 f.
Bernhard Pörksen (* 1969) ist ein deutscher Medienwissenschaftler und Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
Material 5
„Dialog ist die Mutter der Demokratie“: Auszug aus einem Interview mit dem Politikwissenschaftler Roland Roth
Roland Roth
Quelle: Dialog ist die Mutter der Demokratie, Interview mit Roland Roth, in: mitarbeiten, Informationen der Stiftung Mitarbeit 3 / 2019, S. 2 f., abgerufen am 26.12.2023.
Roland Roth (* 1949) ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft.
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Teilaufgabe 1
Abstract 1
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Der Textausschnitt aus Jan-Hinrik Schmidts Veröffentlichung Zwischen Partizipationsversprechen und Algorithmenmacht (2022) untersucht, inwiefern soziale Medien politisches Handeln prägen und erweitern.
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Schmidt beschreibt, dass digitale Plattformen nicht nur den Zugang zu Informationen erleichtern, sondern Bürger*innen neue Formen der politischen Teilhabe eröffnen.
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Er unterscheidet drei zentrale Partizipationsformen: Erstens können Nutzer*innen politische Positionen sichtbar machen, etwa durch Profilangaben, Symbole oder Interaktionssignale wie Likes. Zweitens ermöglichen soziale Medien das aktive Einbringen in politische Debatten, sei es in kurzen Kommentaren oder in ausführlicheren Formaten wie Blogs oder Videos. Drittens können diese Interaktionen auch eine Motivation sein, wenn Menschen andere dadurch gezielt zum Handeln auffordern oder anspornen.
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Insgesamt argumentiert Schmidt, dass soziale Medien das Spektrum politischer Partizipation erweitern und damit gesellschaftliches Engagement fördern.
Abstract 2
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Das in Material 2 präsentierte Balkendiagramm aus der JIM-Studie 2023 zeigt, wie häufig Jugendliche im Internet mit problematischen Inhalten wie Fake News, Beleidigungen oder Verschwörungstheorien konfrontiert werden.
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Die Darstellung vergleicht die Angaben der Befragten aus den Jahren 2022 und 2023. Insgesamt wird deutlich, dass problematische Inhalte weiterhin weit verbreitet sind und viele Jugendliche sie regelmäßig wahrnehmen.
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Zwischen beiden Erhebungsjahren zeigt sich meist nur eine leichte Veränderung.
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Das Material verdeutlicht damit, dass digitale Kommunikationsräume weiterhin ein relevantes Risiko für Desinformation und verletzende Inhalte darstellen und dass Jugendliche im Umgang mit solchen Phänomenen gefordert sind. Gleichzeitig liefert es eine empirische Grundlage, um die Bedeutung von Medienkompetenz, kritischem Denken und Schutzmechanismen in sozialen Medien zu diskutieren.
Abstract 3
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Der Textauszug aus Jürgen Habermas’ Werk Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik (2022) analysiert die tiefgreifenden Veränderungen der Öffentlichkeit durch digitale Plattformen.
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Habermas betont, dass soziale Medien keinen klassischen medialen Produktionsprozess mehr besitzen, da sie im Unterschied zur Presse, zum Rundfunk oder zu Verlagen keine redaktionell gefilterten Inhalte erstellen.
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Stattdessen fungieren Plattformen als offene Kommunikationsräume, in denen alle Nutzer gleichermaßen als Autoren auftreten können. Dies führt zu einem dezentralen und reziproken Kommunikationsmuster, das zunächst ein großes Potenzial verspricht: Jeder erhält eine öffentlich wahrnehmbare Stimme, kann Inhalte verbreiten und mobilisieren.
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Gleichzeitig weist Habermas auf die Schattenseiten dieser Entwicklung hin. Die Abwesenheit professioneller „Schleusen“ führt zu ungeordneten, fragmentierten und teils radikalisierten Echoräumen.
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Die ursprünglich emanzipatorische Kraft digitaler Kommunikation wird durch die ökonomische Macht globaler Digitalkonzerne und durch extremistische Netzwerke überlagert. Habermas beschreibt diese Ambivalenz als zentralen Preis der Entgrenzung und Selbstermächtigung: Zwar ermöglicht die Digitalisierung allen Menschen, eigene Beiträge zu veröffentlichen, doch fehlt vielen Nutzern der kompetente Umgang mit diesen neuen Freiheiten. Ein Lernprozess, den er mit der historischen Schwierigkeit des Lesenlernens vergleicht.
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Insgesamt liefert der Text eine kritische Diagnose des neuen Strukturwandels durch digitale Medien, der große demokratische Chancen bietet, zugleich aber erhebliche Risiken für die Qualität des öffentlichen Diskurses birgt.
Teilaufgabe 2
Überschrift
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Dialog ist die Mutter der Demokratie – doch sie ist krank: Zwischen digitaler Emanzipation und Kommunikationskrise
Einstieg
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Szenische Hinführung:
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Man sitzt spätabends vor dem Handy, scrollt müde durch Social Media – und plötzlich: ein wütender Shitstorm.
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Ein Like hier, ein gereizter Kommentar dort … und irgendwo dazwischen versucht die Demokratie zu überleben.
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Zentrale Frage:
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Wie kann eine demokratische Gesellschaft funktionieren, wenn ihre Kommunikationsräume zugleich versprechen, die Menschen näher zusammenzubringen – und dann doch alle so leicht auseinanderreißen?
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Bedeutung des Themas:
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Demokratie ist kein stilles System. Sie spricht, sie diskutiert, sie zweifelt. Sie basiert auf vielen verschiedenen Meinungen.
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Im digitalen Zeitalter hat sie viele neue, laute, manchmal schrille Stimmen bekommen. Vielleicht zu schrill?
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Hinführung zum Dossier:
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Die Materialien zeichnen kein einheitliches Bild, sondern eher eine Art Mosaik: glänzende Steine der digitalen Partizipation, dunkle Schatten der Desinformation, Risse im Fundament des Dialogs.
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Hauptteil
Digitale Partizipation: ein demokratisches Versprechen – mit überraschenden Grenzen
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Leichte Einstiegspunkte in politische Diskurse:
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Ein Klick auf „Gefällt mir“, ein farbiges Profilbild, ein schnell getippter Kommentar – und schon sendet man politische Signale in die ganze Welt.
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Schmidt beschreibt diese Form der Beteiligung als „niedrigschwellig“ (Material 1, Z. 11).
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Jeder kann Autor*in sein, jede Stimme ist theoretisch gleich laut.
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Habermas sieht genau hier das revolutionäre Moment: Plattformen machen aus der alten Sender-Empfänger-Logik einen wechselseitigen Austausch unter Gleichberechtigten (Material 3, Z. 19–23).
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Eigene Beobachtung:
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Es fühlt sich manchmal an, als hätten wir alle plötzlich ein Megafon geschenkt bekommen. Mit einem kleinen, aber feinen Unterschied: Manche flüstern, manche schreien.
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Beteiligung ist nicht gleich Verständigung:
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Schnelle Meinungsäußerung ersetzt aber nicht das Vorbringen von Argumenten oder den Austausch über Fakten und verschiedene Ansichten.
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Roth erinnert daran, dass echter Dialog Empathie und Zuhören braucht (Material 5, Z. 4–7).
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Die dunklen Strömungen: Gereiztheit, Desinformation und digitale Echo-Geräusche
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Problematische Inhalte als digitaler Alltag:
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Die JIM-Studie zeigt: Jugendliche begegnen regelmäßig Fake News, Beleidigungen und Verschwörungstheorien (Material 2).
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Keine massiven Veränderungen über die Jahre – ein beunruhigender Stillstand, trotz aller Diskussionen und neuer Gesetze zu diesem Thema.
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Eigene Beobachtung:
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Wer schon einmal durch TikTok-Kommentare gescrollt hat, merkt schnell: Man braucht kein schlechtes WLAN, um den Glauben an die Menschheit zu verlieren.
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Pörksen spricht von einer „Gereiztheit“, die sich ausbreitet:
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73 % kennen jemanden, der online bereits bedroht wurde (Material 4, Z. 1–3).
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Die digitale Anonymität enthemmt – manchmal gutartig, oft aber toxisch (Z. 9–15).
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Warum eskaliert es so schnell?
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Nonverbale Signale fehlen (Material 4, Z. 17–19).
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Keine echte Reibung, keine Bremse, kein „Schau mich mal an, merkst du eigentlich, wie deine Worte mich treffen?“.
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Echos statt Gespräche:
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Habermas spricht von „fragmentierten, in sich selbst kreisenden Echoräumen“ (Material 3, Z. 31).
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Der Wutbürger findet online schneller Zustimmung als je zuvor (Material 4, Z. 28–29).
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Große Ambivalenz: Emanzipation oder Entmündigung?
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Die digitale Öffentlichkeit ist ein Paradox:
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Sie befreit von journalistischen Gatekeepern (Habermas).
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Sie schafft allerdings neue Abhängigkeiten von Plattformlogiken, die Aufmerksamkeit statt guter Argumente belohnen.
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Machtasymmetrien verschieben sich:
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Was früher redaktionell gefiltert wurde, ist heute „inhaltlich ungeregelt“ (Habermas, Z. 27).
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Gleichzeitig dominieren Digitalkonzerne die Aufmerksamkeit („libertäre Grimasse weltbeherrschender Digitalkonzerne“, Z. 42–43).
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Persönliches Bild:
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Die digitale Welt ist nicht nur ein öffentlicher Platz – sie ist ein Ort der Extreme, auf dem die lautesten Stimmen den besten „Sendeplatz“ bekommen.
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Wo bleibt der Dialog?
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Roths Diagnose:
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Gesprächsfähigkeit wird knapp (Material 5, Z. 9–10). Die Menschen flüchten immer mehr in die digitale Welt.
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Immer mehr Kommunikation ist medienvermittelt (Z. 12–16).
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Vertrauen entsteht nicht in Kommentarspalten. Und ohne Vertrauen kein echter Dialog. Punkt.
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„Dialog ist die Mutter der Demokratie.“ (Z. 25–26) – und sie ist gerade krank.
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Eigener Gedanke:
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Vielleicht ist das größte Problem nicht die Wut, sondern die Geschwindigkeit.
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Demokratie verlangt langsame Fragen – das Netz aber liefert schnelle Antworten. Keine Zeit für Rückfragen, Erklärungen oder Empathie.
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Bewertung
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Die digitale Welt bietet unfassbare Chancen: niedrigschwellige Beteiligung, egalitäre Kommunikationsräume, neue Stimmen.
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Sie bringt aber auch gefährliche Verzerrungen: Gereiztheit, Desinformation, Echokammern, Machtasymmetrien.
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Der Kern: Demokratischer Dialog ist gefährdet, aber nicht verloren. Die Mutter der Demokratie hat eine Chance auf Heilung – wenn wir sie schnellstmöglich und richtig verarzten.
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Die digitale Demokratie ist wie eine Patientin: Die Krankheitssymptome sind noch da, aber es geht aufwärts. Manche Stellen schmerzen noch, andere Stellen sind bereits ganz verheilt.
Schluss
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Demokratie muss neu lernen, zu sprechen.
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Medienkompetenz ist kein Schulfach, sondern eine Überlebenskunst.
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Und vielleicht müssen wir, ganz analog, wieder öfter miteinander reden. Um ganz bewusst wieder zu lernen, wie Dialog funktioniert und dass er genauso auch digital gehen kann.
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Denn: „Dialog ist die Mutter der Demokratie.“ Und Mütter sollte man nicht vernachlässigen.