Aufgabe 4 – Textanalyse
Thema
David Hugendick (* 1980): Emojis. Kein Problem 😉 (2022)
Aufgabenstellung
Analysiere den vorliegenden Text von David Hugendick. Berücksichtige dabei den Gedankengang, die sprachlich-stilistische Gestaltung und die Intention des Textes. (ca. 70 %)
Setze dich mit der Position des Autors auseinander. (ca. 30 %)
Material
Emojis. Kein Problem 😉
David Hugendick
Aus: David Hugendick: Emojis. Kein Problem. DIE ZEIT 18/2022 (Veröffentlichung am 27. 4. 2022, Zugriff am 4.2.2023).
David Hugendick (* 1980) ist Journalist und Literaturkritiker bei ZEIT ONLINE.
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Der vorliegende Text Emojis. Kein Problem 😉, verfasst von David Hugendick im Jahr 2022, ist eine Glosse, die sich kritisch und satirisch mit der inflationären Verwendung von Emojis – insbesondere Smileys – in der schriftlichen Alltags- und Berufskommunikation auseinandersetzt.
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Der Autor vertritt die These, dass diese Symbole oft keine echte Freundlichkeit transportieren, sondern vielmehr Unsicherheit, passive Aggression, Konfliktscheue oder herablassende Belehrung maskieren und somit die Kommunikation verkomplizieren statt sie zu erleichtern.
a) Analyse des Textes
Inhalt und Gedankengang
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Der Text ist induktiv aufgebaut. Hugendick wählt als Einstieg eine alltägliche, private Anekdote (Z. 1–6): Ein handgeschriebener Zettel im Treppenhaus fordert dazu auf, die Tür zu schließen, versehen mit einem Smiley (😊).
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Ausgehend von diesem konkreten Beispiel entfaltet der Autor im ersten Sinnabschnitt (Z. 7–24) eine differenzierte semantische Analyse des Zeichens. Mittels einer Reihung rhetorischer Fragen dekonstruiert er die vermeintliche Eindeutigkeit des Smileys. Er wägt ab, ob es für Freundlichkeit, Ironie oder – als zentrale Interpretationslinie – für „passive Aggression“ (Z. 17) und „ostentative Freundlichkeit“ (Z. 18f.) steht. Der Abschnitt endet mit einer ersten Generalisierung: Gefühle seien in der modernen Schriftkultur nur noch „angeklebte“ (Z. 22) Anhängsel.
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Im zweiten gedanklichen Schritt (Z. 25–49) weitet Hugendick die Betrachtung auf die Sphäre der Berufswelt aus („Büro“). Hier analysiert er die Funktion der Emojis in hierarchischen Gefügen. Anhand prototypischer Beispiele (Controlling, Chef, Kollege) zeigt er auf, dass Emojis dazu dienen, Kritik oder Anweisungen weichzuzeichnen („Verschleierung der eigentlichen Absicht“, Z. 34f.). Er deutet dies psychologisch als Ausdruck einer Angstkultur, in der niemand als „Wüstling“ (Z. 39) gelten will. Zudem unterstellt er den Absendern, das Gegenüber als emotional labil („emotional verunsicherter Zeitgenosse“, Z. 44f.) zu betrachten, der ohne Smiley einen „Nervenzusammenbruch“ (Z. 47) erleiden würde.
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Der dritte Abschnitt (Z. 50–64) hebt die Analyse auf eine soziologische Ebene. Der Autor diagnostiziert einen gesellschaftlichen Zwang zur „Empfindsamkeit“ (Z. 55) und „Selbstbespiegelung“ (Z. 59). Emojis seien hierbei Symptome einer „Panik“ (Z. 55), anderen zu nahe zu treten, sowie Teil einer hohlen „Feedback“-Ritualisierung in der Arbeitswelt.
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Eine Zuspitzung erfolgt im vierten Abschnitt (Z. 65–77) durch die Fokusverschiebung auf das Zwinker-Smiley (😉). Dieses deutet Hugendick als Steigerung der „emotional[en] Zudringlichkeit“ (Z. 65). Er entlarvt es als Instrument der Belehrung und Pseudo-Vertrautheit („kleines Geheimnis“, Z. 69), das Überlegenheit demonstriert (Gefallsucht).
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Der Text schließt (Z. 78 ff.) mit einem ironisch-absurden Ausblick. Hugendick konstatiert, dass Emojis die Welt nicht freundlicher gemacht haben. Sein konstruktiver Gegenvorschlag, statt Smileys völlig kontextlose Symbole wie Brokkoli oder Schildkröten zu nutzen (Vgl. Z. 80 ff.), führt die aktuelle Praxis ad absurdum. Die Intention dahinter: Echte Verwirrung sei ehrlicher als geheuchelte Freundlichkeit. Der Text endet zirkulär mit der ironischen Floskel „echt, total lieb gemeint. 😊“ (Z. 86f.).
Sprachlich-stilistische Gestaltung
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Hugendicks Stil ist geprägt von einer hohen sprachlichen Virtuosität, die den Kontrast zwischen der Banalität der Emojis und der Komplexität zwischenmenschlicher Kommunikation unterstreicht.
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Auffällig ist die Wortwahl, die gezielt Register mischt. Der Autor verwendet einerseits einen gehobenen, analytischen Wortschatz („ostentative Freundlichkeit“, Z. 18f.; „fragile Grundeifrigkeit“, Z. 60), um seine intellektuelle Distanz zum Phänomen zu markieren. Andererseits imitiert er den kritisierten Jargon durch Neologismen und Umgangssprache. Das Wort „meinliebert“ (Z. 30) wird als Verb gebraucht, um die distanzlose Übergriffigkeit von Kollegen plastisch zu machen. Die langgezogene Anrede „Duuuuu“ (Z. 35) und Verkleinerungsformen imitieren den infantilen Tonfall, den er kritisiert.
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Besonders hervorzuheben ist die Metaphorik und Bildsprache. Das Bild, dass ein Gefühl einem Satz „hinterhertrotteln“ (Z. 23) muss, personifiziert das Emoji als unselbstständiges, lästiges Anhängsel. Die Beschreibung von Gefühlen, die jemand über einen „kübelt“ (Z. 63), evoziert Ekel und Übermaß. Drastisch ist auch der Vergleich des Lachens mit einer physischen Gewaltanwendung in einer „Herrenumkleide“ (Z. 76), was die aggressive Komponente des Zwinker-Smileys unterstreicht.
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Auf der Ebene der Syntax korrespondiert die Satzstruktur mit dem Inhalt. In den Passagen der Analyse nutzt Hugendick komplexe, hypotaktische Satzgefüge (z. B. Z. 16–20). Dieser extrem lange Satz, der die Genese der passiven Aggression beschreibt („Kette ertragener, erduldeter Zumutungen“), bildet syntaktisch die komplizierte Gedankenwelt ab, die sich hinter einem simplen Smiley verbirgt. Im scharfen Kontrast dazu stehen elliptische Kurzsätze wie „Also: 😊.“ (Z. 48) oder „Wirklich: 😊.“ (Z. 48). Diese Reduktion imitiert die sprachliche Verarmung, die durch die Emojis entsteht, und wirkt durch die Wiederholung resignierend.
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Die Ironie ist das tragende Stilmittel des Textes. Sie zeigt sich in Hyperbeln wie der Befürchtung eines „Nervenzusammenbruch[s]“ (Z. 47) beim Empfänger oder der Vorstellung, Stadtverwaltungen könnten Halteverbotsschilder mit Zwinker-Smileys versehen (Vgl. Z. 73). Auch das Adjektiv „sachgrundlos“ in Verbindung mit „Grinsen“ (Z. 37) entstammt dem Beamtendeutsch und erzeugt eine komische Fallhöhe zum emotionalen Ausdruck des Lachens.
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Die rhetorischen Fragen zu Beginn (Vgl. Z. 7 ff.) haben eine appellative Funktion: Sie zwingen den Leser, die eigene, oft unreflektierte Wahrnehmung von Emojis zu hinterfragen und die Doppeldeutigkeit anzuerkennen.
Intention des Textes
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Hugendicks Intention ist primär aufklärerisch und gesellschaftskritisch. Er möchte den Leser für die Unaufrichtigkeit sensibilisieren, die sich in der modernen digitalen Kommunikation etabliert hat.
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Er entlarvt „Nettheit“ als strategische Maske, die oft das Gegenteil verdeckt: Angst, Aggression oder Hierarchiebewusstsein.
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Indem er die Absurdität dieser Praxis durch Humor und Übertreibung offenlegt, plädiert er indirekt für eine ehrlichere, direktere Kommunikation, die auch ohne „angeklebte Gefühle“ auskommt.
b) Kritische Stellungnahme
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David Hugendick vertritt die Position, dass Emojis, insbesondere Smileys, die Kommunikation verkomplizieren, passive Aggressivität verschleiern und Ausdruck einer überempfindlichen Gesellschaft sind, die Konflikte scheut. Dieser Haltung ist in weiten Teilen zuzustimmen, wenngleich sie einer Differenzierung bedarf.
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Zuzustimmen ist Hugendick definitiv in der Beobachtung, dass Emojis im beruflichen Kontext oft deplatziert wirken und zur Verschleierung von Machtverhältnissen genutzt werden. Wenn ein Vorgesetzter eine klare Arbeitsanweisung („Bis heute Mittag ansiehst“, Z. 32) mit einem Smiley versieht, entsteht eine „Double-Bind“-Situation: Der Inhalt ist ein Befehl, das Bild signalisiert Freiwilligkeit oder Freundschaft. Dies führt, wie der Autor treffend analysiert, zu einer Verunsicherung des Empfängers.
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Die von Hugendick beschriebene „passive Aggression“ (Z. 17) ist ein reales Phänomen. Ein Smiley hinter einer Kritik wirkt oft zynischer als die Kritik selbst, da es dem Empfänger verbietet, angemessen ernst oder betroffen zu reagieren – man muss ja „gute Laune“ spiegeln. Auch die Beobachtung zum „Zwinker-Smiley“ als Instrument der herablassenden Belehrung („Du weißt schon... 😉“, Z. 70) deckt sich mit den Erfahrungen vieler Internetnutzer.
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Jedoch schießt der Autor in seiner pauschalen Verurteilung etwas über das Ziel hinaus. Er vernachlässigt die pragmatische Funktion von Emojis in der „Schriftsprache“. In der digitalen Textkommunikation fehlen paraverbale Informationen wie Tonfall, Mimik und Gestik. Ein kurzer Satz wie „Das hast du gut gemacht“ kann ohne Smiley ironisch oder ernst gemeint sein; ein Emoji dient hier als notwendiger Ersatz für die Stimmlage, um Missverständnisse zu vermeiden.
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Hugendicks These, wir seien eine Gesellschaft, die „laufend selbst zur Empfindsamkeit ermuntert“ (Z. 54 f.), ist zwar eine interessante kulturkritische Spitze, ignoriert aber, dass Höflichkeit – auch floskelhafte – schon immer ein „Schmiermittel“ der Kommunikation war. Früher war es die formelle Anrede („Hochachtungsvoll“), heute ist es eben der Smiley.
Schluss
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hugendicks Kritik berechtigt ist, wo Emojis zur Manipulation oder zur Vermeidung notwendiger Klarheit eingesetzt werden. Seine Forderung nach mehr Aufrichtigkeit statt „sachgrundloses[m] Grinsen“ (Z. 37) ist unterstützenswert.
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Dennoch sind Emojis, maßvoll eingesetzt, ein wichtiges Werkzeug, um die emotionale Leere des reinen Textes zu füllen. Nicht jeder Smiley ist eine Lüge, aber – und hier hat der Autor recht – er sollte keine Lüge verdecken.