Aufgabenstellung B
Interpretation literarischer Texte
Thema:
Friedrich Schiller: Würde der Frauen (1796)
Ursula Krechel: Umsturz (1977)
Aufgabenstellung:
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Interpretiere Friedrich Schillers Gedicht Würde der Frauen (ca. 60 %)
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Vergleiche Schillers Text mit Ursula Krechels Gedicht Umsturz unter besonderer Berücksichtigung der in ihnen entwickelten Weiblichkeitskonzepte. (ca. 40 %)
Material 1
Würde der Frauen (1796)
Friedrich Schiller
Aus: Schiller, Friedrich: Würde der Frauen. In: ders.: Sämtliche Gedichte. Frankfurt a. Main 1991, S. 256 ff.
Material 2
Umsturz (1977)
Ursula Krechel
Anmerkungen zur Autorin: Ursula Krechel (* 1947) ist Schriftstellerin. Sie schreibt Gedichte, erzählende Prosa, Romane, Essays, Theaterstücke und Hörspiele und erhielt 2012 für ihren Roman Landgericht den Deutschen Buchpreis.
Aus: Krechel, Ursula: Umsturz. In: Bers, Anna (Hrsg.): Frauen Lyrik. Ditzingen 2020, S. 576.
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Einleitung
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Das Gedicht Würde der Frauen wurde 1796 von Friedrich Schiller verfasst und gehört zur Epoche der Weimarer Klassik. Es thematisiert das Verhältnis von Mann und Frau und stellt die Weiblichkeit als moralisch überlegene, ausgleichende Kraft der männlichen Unruhe und Zerstörung gegenüber.
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In gehobener Sprache und streng gereimter Form verbindet Schiller in seinem Gedicht moralische Belehrung mit einem idealistischen Frauenlob, das sowohl das klassische Harmonieideal als auch zeittypische Geschlechterbilder widerspiegelt.
Hauptteil
Inhaltliche Analyse
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Das Gedicht eröffnet mit einem eindringlichen Imperativ: „Ehret die Frauen!“ (V. 1). Schon dieser feierliche Aufruf betont die zentrale Absicht: die Frau soll geachtet werden, weil sie eine moralische und versöhnende Funktion in der Welt erfüllt. In der ersten Strophe werden Frauen durch poetische Naturbilder als lebensspendende und moralisch reine Wesen dargestellt: Sie „flechten und weben / Himmlische Rosen ins irdische Leben“ (V. 1 f.) – sie verbinden also das Himmlische mit dem Irdischen, das Geistige mit dem Sinnlichen. Mit dem Ausdruck „heilige Hand“ (V. 6) wird die Frau religiös überhöht: Sie „nähr[t] [...] das ewige Feuer / Schöner Gefühle“ (V. 5 f.), also die Quelle des Guten und der Menschlichkeit.
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Demgegenüber steht in der zweiten Strophe das Bild des Mannes: Er verlässt „aus der Wahrheit Schranken“ (V. 7), seine „wilde Kraft“ (V. 8) und „unstet[en] [...] Gedanken“ (V. 9) treiben ihn in rastloser Leidenschaft umher. Schiller charakterisiert das männliche Prinzip durch Begriffe wie „gierig“ (V. 11), „nimmer [...] gestillt“ (V. 12) und „rastlos“ (V. 13), wodurch der Mann als maßlos und ziellos erscheint. Diese Strophe dient als Gegenbild zur weiblichen Ordnung: Der Mann verliert sich im grenzenlosen Streben, während die Frau das harmonische Maß verkörpert.
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In der dritten Strophe greifen die Frauen ordnend in das zerstörerische Tun der Männer ein: Mit „zauberisch fesselndem Blicke“ (V. 15) „winken die Frauen den Flüchtling zurücke“ (V. 16). Sie holen den Mann „in der Gegenwart Spur“ (V. 17) zurück – aus der Sphäre des Rauschs und der Maßlosigkeit in die Wirklichkeit. Gleichzeitig betont Schiller die häusliche Gebundenheit der Frau: In der „Mutter bescheidener Hütte“ (V. 18) lebt sie „mit schamhafter Sitte“ (V. 19) und wird so zum Sinnbild bürgerlicher Tugend und Moral. Die Frau bleibt dem Bereich von Familie und Innerlichkeit zugeordnet, wird aber als sittlich höherstehend präsentiert.
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In der vierten Strophe wird die männliche Natur erneut als zerstörerisch gezeigt: „Feindlich ist des Mannes Streben“ (V. 21); er geht „mit zermalmender Gewalt / Durch das Leben“ (V. 22 f.). Seine Energie führt nicht zum Aufbau, sondern zur Vernichtung: „Was er schuf, zerstört er wieder“ (V. 25). Das mythische Bild der „Hyder“ (V. 27 f.), einer unbezwingbaren, sich ständig erneuernden Kreatur, symbolisiert die endlose Selbstzerstörung des Mannes.
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Die fünfte Strophe kehrt zurück zum Lobpreis der Frau. Sie lebt „zufrieden mit stillerem Ruhme“ (V. 29) und wirkt „freier in ihrem gebundenen Wirken“ (V. 32), eine Paradoxie, die das klassische Ideal der Freiheit in der sittlichen Bindung ausdrückt. Ihre Arbeit ist schöpferisch („nähren sorgsam mit liebendem Fleiß“, V. 31) und geistig („reicher als er in des Wissens Bezirken“, V. 33). Die Frau vereinigt also Vernunft, Gefühl und schöpferische Kraft.
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In den folgenden Strophen wird der Gegensatz zwischen männlicher Härte und weiblicher Empfindsamkeit vertieft. Während der Mann durch Kälte, Egoismus und Stolz (Vgl. V. 35 ff.) bestimmt ist, steht die Frau für Empathie und Zärtlichkeit (Vgl. V. 43 ff.). Der Mann strebt nach Eroberung, die Frau nach Harmonie. In der Schlussstrophe wird das weibliche Prinzip als das siegreiche Ideal dargestellt: gewaltfrei, besänftigend, tugendhaft und rein – das Ideal einer weiblichen Seele, die die zerrissene Welt des Mannes heilt.
Formale Analyse
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Die formale Gestaltung des Gedichts Würde der Frauen steht ganz im Dienst von Schillers moralisch-erzieherischer Absicht. Das Gedicht ist streng komponiert und besteht aus regelmäßig gebauten Strophen, die im Schweifreim (aabccb) gestaltet sind. Das gewählte Metrum, der Daktylus, verleiht dem Text einen schwungvollen, melodischen Rhythmus, der zwischen Ruhe und Bewegung pendelt. Diese rhythmische Spannung spiegelt das zentrale Gegensatzpaar des Gedichts – weibliche Harmonie und männliche Unruhe – auch auf klanglicher Ebene wider.
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Der Aufbau des Gedichts ist durch eine symmetrische und antithetische Struktur geprägt. Schiller lässt auf eine Strophe, die sich mit der Frau befasst, jeweils eine Strophe über den Mann folgen. So entsteht eine klare Gegenüberstellung, die den inhaltlichen Gegensatz beider Geschlechter auch formal sichtbar macht. Der regelmäßige Wechsel zwischen weiblicher und männlicher Darstellung verkörpert das klassische Prinzip, Gegensätze in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen und durch Maß und Harmonie zu versöhnen. Die Frau steht dabei für Ordnung, Ruhe und moralische Mitte, während der Mann das Prinzip der Bewegung, Kraft und Zerstörung repräsentiert.
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Auch die sprachliche Gestaltung ist reich an bildhaften und symbolischen Ausdrucksformen. Schiller verwendet eine Vielzahl von Metaphern, die den Kontrast zwischen den Geschlechtern verdeutlichen. Wenn die Frau „Himmlische Rosen ins irdische Leben“ (V. 2) flicht und mit „heiliger Hand“ (V. 6) das „ewige Feuer / Schöner Gefühle“ (V. 5 f.) nährt, wird sie zu einer fast göttlichen Figur, die das Gute, Reine und Schöne in der Welt bewahrt. Ganz anders ist die Bildwelt des Mannes: Er wird mit Begriffen aus dem Bereich des Krieges und der Zerstörung beschrieben, etwa in der Wendung „zermalmender Gewalt“ (V. 22) oder in der Bewegung „rastlos durch entlegne Sterne“ (V. 13). Diese kontrastierenden Metaphern schaffen eine poetische Spannung zwischen weiblicher Sanftheit und männlicher Maßlosigkeit.
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Durch wiederkehrende sprachliche Elemente wird diese Gegensätzlichkeit weiter betont. Besonders auffällig ist die häufige Wiederholung des Wortes „nimmer“ (V. 12, 26, 27), die den ruhelosen, nie zur Besinnung kommenden Charakter des Mannes unterstreicht. Ebenso wirkungsvoll sind Schillers Antithesen, etwa in der Formulierung „Freier in ihrem gebundenen Wirken“ (V. 32), die das klassische Ideal von Freiheit in der Selbstbegrenzung aufgreift. Auch der Gegensatz von „himmlische[n] Rosen“ (V. 2) und „zermalmender Gewalt“ (V. 22) zeigt, wie eng formale Symmetrie und moralische Aussage miteinander verbunden sind.
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Der Sprachstil ist insgesamt feierlich, idealisierend und stark emotional aufgeladen. Schon der eröffnende Imperativ „Ehret die Frauen!“ (V. 1) hat programmatischen Charakter und verleiht dem Gedicht eine appellative Wirkung. In den abschließenden Versen verdichtet sich der feierliche Ton noch einmal zu einem Lob der moralischen Vollkommenheit, die in der weiblichen Tugend verkörpert wird. Klanglich wird die Sanftheit der weiblichen Sphäre durch Alliterationen wie „flechten und weben“ (V. 1) oder „liebendem Fleiß“ (V. 31) sowie durch den gleichmäßigen Rhythmus unterstützt. Der harmonische Sprachfluss vermittelt akustisch das Gefühl von Mäßigung und innerer Ruhe, das die Frau im Inhalt repräsentiert.
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Bemerkenswert ist auch die klare Trennung der Wortfelder, die Schiller verwendet. Für die Frau wählt er Begriffe aus dem Bereich der Liebe, Treue, Reinheit und Harmonie, während der Mann durch Wörter wie Leidenschaft, Kraft, Gewalt und Zerstörung charakterisiert wird. Diese semantische Gegenüberstellung macht die Polarität der Geschlechter auf der Sprachebene erfahrbar. Zugleich verleiht sie der Frau eine moralische Erhabenheit, indem sie an religiöse und mythische Vorstellungen anknüpft. So tauchen Formulierungen wie „heilige Hand“ (V. 6) oder „von himmlischem Tau“ (V. 48) auf, die die Frau in eine Sphäre des Göttlichen rücken. Der Mann dagegen erscheint durch die mythologische Anspielung auf die „Hyder“ (V. 27) als unzähmbares, chaotisches Wesen.
Geschlechterkonzeption
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Schillers Weiblichkeitsbild basiert auf der Vorstellung der Frau als moralischer, harmonisierender und religiös erhöhter Gegenpol zum Mann. Sie verkörpert Tugend, Maß, Gefühl und Liebe – Eigenschaften, die in der klassischen Anthropologie als Gegengewicht zu männlicher Vernunft und Triebhaftigkeit dienen.
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Die Frau handelt bewahrend und besänftigend, nicht herrschend. Ihr Wirken ist „gebunden“ (V. 32), aber gerade darin liegt ihre Freiheit. Diese paradoxe Formel fasst das klassische Freiheitsverständnis zusammen: wahre Freiheit bedeutet Selbstbegrenzung.
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Zudem wird die Frau als Mittlerin zwischen Natur und Geist dargestellt: Sie „flechtet himmlische Rosen ins irdische Leben“ (V. 2), also zwischen göttlicher Sphäre und menschlicher Realität. Ihre sittliche Reinheit („Treue Töchter der frommen Natur“, V. 20) und ihr „liebender Fleiß“ (V. 31) machen sie zur Bewahrerin gesellschaftlicher Ordnung.
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Allerdings bleibt dieses Bild stark idealisiert: Die Frau wird zur moralischen Instanz erhoben, aber auf Häuslichkeit, Bescheidenheit und Fürsorglichkeit reduziert. Sie ist nicht autonom, sondern „Würde“ erhält sie durch ihre dienende, erzieherische Funktion gegenüber dem Mann.
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Das Männlichkeitsbild in Schillers Gedicht ist durch Ruhelosigkeit, Maßlosigkeit und Zerstörung geprägt. Der Mann symbolisiert das Prinzip der Bewegung, des Fortschritts, aber auch des Chaos. Er schweift „aus der Wahrheit Schranken“ (V. 7) und „jagt [...] seines Traumes Bild“ (V. 14). Seine „wilde Kraft“ (V. 8) macht ihn zum Schöpfer, aber auch zum Zerstörer. Schiller zeigt ihn als von Trieb und Leidenschaft beherrscht, unfähig, Grenzen zu erkennen. Durch Begriffe wie „zermalmend“ (V. 22), „zerstört“ (V. 25) und „nimmer“ (V. 26 f.) entsteht das Bild eines innerlich zerrissenen Wesens.
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Das Männliche ist zwar kraftvoll und aktiv, aber in sich unvollständig, ohne das weibliche Prinzip verliert es Maß und Sinn. Erst durch die Frau wird der Mann zurückgerufen (Vgl. V. 16) und in die Ordnung des Guten überführt. Damit entwirft Schiller eine komplementäre, aber hierarchische Geschlechterkonzeption: Der Mann steht für Energie und Schöpfung, die Frau für Maß und Sinn. Nur im Zusammenwirken beider Prinzipien kann Harmonie entstehen – doch die moralische Leitung liegt eindeutig bei der Frau.
Deutung und Intention
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Schillers Gedicht kann als moralisch-erzieherisches Lehrgedicht gelesen werden, das auf die Wiederherstellung einer sittlich geordneten Welt zielt. Die Frau wird als Trägerin des Guten, der Harmonie und der Liebe idealisiert und steht damit für das klassische Ideal der Ausgeglichenheit von Gefühl und Vernunft. Sie vereint Gegensätze – Natürlichkeit und Geistigkeit, Aktivität und Mäßigung – und verkörpert das Ziel einer ästhetischen Erziehung des Menschen. Der Mann hingegen verkörpert das Prinzip der Unruhe und Maßlosigkeit, das durch die Frau gebändigt werden muss.
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In diesem Gegensatz liegt Schillers Warnung vor übersteigerter männlicher Kraft und aggressivem Fortschrittsstreben. Das Gedicht kritisiert das Ideal des kämpferischen, erobernden Mannes und hebt stattdessen das friedliche, emotionale und moralisch überlegene Weibliche hervor. Damit spiegelt sich Schillers Vorstellung einer harmonischen Gesellschaft, in der beide Prinzipien – das männlich-aktive und das weiblich-ausgleichende – im Gleichgewicht stehen sollen.
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Zugleich zeigt sich darin eine für die Klassik typische Spannung: Schiller lobt die Frau, ohne ihr echte Autonomie zuzuschreiben. Ihre „Würde“ besteht darin, das zerstörerische Prinzip des Mannes zu zähmen – sie bleibt also moralisch überlegen, aber gesellschaftlich begrenzt. Diese Idealvorstellung entspricht Schillers Konzept der ästhetischen Erziehung, nach der nur durch Harmonie, Maß und sittliche Schönheit eine bessere Menschheit entstehen kann.
Fazit
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Friedrich Schillers Würde der Frauen ist ein klassisches Lehrgedicht, das in antithetischer Form die Polarität der Geschlechter entfaltet: Der unruhige, zerstörerische Mann wird der sittlichen, maßvollen Frau gegenübergestellt. Weiblichkeit erscheint als moralische und emotionale Macht, die durch Liebe, Besonnenheit und Natürlichkeit die Welt im Gleichgewicht hält.
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Das Gedicht ist Ausdruck des klassischen Harmonieideals: Durch die Vereinigung von Gegensätzen soll Vollkommenheit entstehen. Schillers Frauenbild ist daher doppeldeutig – einerseits eine Aufwertung der Frau als moralisches Zentrum, andererseits eine Einengung auf Tugend, Häuslichkeit und Mäßigung.
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Insgesamt spiegelt das Gedicht die geistige Haltung der Weimarer Klassik wider: Das Weibliche gilt als Trägerin von Menschlichkeit und Maß, das Männliche als gefährdete Kraft, die durch das sittliche Prinzip gezügelt werden muss. So wird die Würde der Frauen zum Symbol für die Möglichkeit, durch sittliche Harmonie Chaos und Leidenschaft zu überwinden.
Teilaufgabe 2
Überleitung
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Nach der Analyse von Schillers Gedicht Würde der Frauen aus dem Jahr 1796 soll nun das darin entworfene Weiblichkeitsbild mit Ursula Krechels Umsturz aus dem Jahr 1977 verglichen werden.
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Beide Texte thematisieren die Rolle der Frau, doch während Schiller ein idealisiertes, harmonisches Frauenbild innerhalb einer patriarchalen Ordnung präsentiert, stellt Krechel diese Ordnung radikal infrage und formuliert ein modernes, selbstbestimmtes Weiblichkeitskonzept.
Hauptteil
Gemeinsamkeiten der Weiblichkeitskonzepte
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Beide Gedichte betonen die besondere Rolle der Frau und setzen sie in Beziehung zu einer männlich geprägten Welt. Sowohl Schiller als auch Krechel sehen in der Frau ein Korrektiv zur männlichen Destruktivität: Bei Schiller geschieht dies durch Besänftigung („Winken die Frauen den Flüchtling zurücke“, V. 16), bei Krechel durch aktive Abkehr von alten Rollenzwängen („Von heut an stell ich meine alten Schuhe / nicht mehr ordentlich neben die Fußnoten“, V. 1 f.).
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In beiden Texten wird Weiblichkeit als Gegenprinzip zu einer patriarchalen Gesellschaft vorgestellt. Schillers Frauen stehen für Maß, Liebe und sittliche Ordnung, Krechels Sprecherin für Aufbruch und Selbstbestimmung. Beide also als Gestalterinnen von Harmonie bzw. Veränderung. Zudem fordern beide Texte Achtung und Anerkennung weiblicher Stärke: Schiller durch den Appell „Ehret die Frauen!“ (V. 1), Krechel durch den bewussten Akt des Widerstands („fress keine Kreide“, V. 5).
Unterschiede der Weiblichkeitskonzepte
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Die zentrale Differenz liegt in der Bewertung und Funktion von Weiblichkeit. Schiller idealisiert die Frau innerhalb der bestehenden patriarchalen Ordnung. (Vgl. V. 20 ff.) Sie wirkt ausgleichend und sittlich, bleibt jedoch an Häuslichkeit und Demut gebunden („In der Mutter bescheidener Hütte“, V. 18). Krechel dagegen bricht diese Rolle au. Ihre Sprecherin verweigert sich der Anpassung und fordert Freiheit von Zwängen: „ich hock nicht mehr im Nest“ (V. 10).
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Während Schillers Weiblichkeit auf Pflichtbewusstsein, Tugend und Besänftigung beruht, wird sie bei Krechel zu einem Symbol des Aufbruchs und der Selbstermächtigung. Krechels Ich fordert einen radikalen Bruch mit dem alten Frauenbild: Der „leere Käfig“ (V. 12) steht für die Vergangenheit, die „ins historische Museum“ verbannt werden soll. Schillers Konzept stabilisiert das System, Krechels zerstört es.
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Zudem unterscheiden sich die Sprecherhaltungen: Schiller spricht über Frauen in der dritten Person („die Frauen“, V. 1, 16), Krechel spricht als Frau in der ersten Person. Schillers weibliche Würde entsteht durch Fremdzuschreibung, Krechels Weiblichkeit durch Selbstdefinition.
Gemeinsamkeiten der sprachlich-formalen Gestaltung
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Beide Gedichte arbeiten mit bildhafter Sprache und Imperativen, um ihre Botschaft zu verstärken. Schiller verwendet religiöse und naturbezogene Metaphern („Himmlische Rosen“, V. 2; „heilige Hand“, V. 6), um das Ideal der Frau zu erhöhen. Krechel nutzt ebenfalls Bildsprache, allerdings aus dem Alltags- und Protestvokabular („alte Schuhe“, V. 1; „Käfig“, V. 12), um das alte Frauenbild konkret zu entlarven.
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Der Imperativ als Ausdruck einer Botschaft an das Publikum ist beiden Texten gemeinsam: Schillers „Ehret die Frauen!“ (V. 1) wirkt lehrhaft und feierlich, Krechels „stellt mal ins historische Museum“ (V. 14 f.) provokativ und sarkastisch. In beiden Fällen soll der Leser zum Umdenken angeregt werden.
Unterschiede der sprachlich-formalen Gestaltung
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Form und Stil unterscheiden sich deutlich und spiegeln die jeweilige Zeit. Schillers Gedicht folgt einem regelmäßigen Metrum (Daktylus), einem Schweifreim (aabccb) und antithetischem Aufbau – Männer- und Frauenstrophen wechseln sich ab und bilden ein klassisches Harmonieprinzip. Seine Sprache ist pathetisch und idealisierend, mit vielen positiven Adjektiven („heilig“, „sorgsam“, „liebend“) und religiösen Bezügen.
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Krechels Gedicht hingegen verzichtet auf Reim, Metrum und Regelmäßigkeit. Der freie Rhythmus, Zeilensprünge und Umgangssprache („hab keinen Bock“, V. 8; „fress keine Kreide“, V. 5) unterstreichen das Aufbrechen alter Strukturen. Ihre Sprache ist bewusst rau und direkt – Ausdruck einer feministischen Protesthaltung, nicht ästhetischer Vollendung. Während Schiller auf feierliche Distanz und allgemeine Gültigkeit setzt, schafft Krechel Nähe, Gegenwart und Authentizität.
Schluss
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass beide Gedichte Weiblichkeit als bedeutende gesellschaftliche Kraft thematisieren, jedoch mit entgegengesetzter Zielrichtung. Schiller idealisiert die Frau als moralisches Zentrum einer patriarchalen Ordnung, Krechel sprengt dieses Ideal und ersetzt es durch ein rebellisches, selbstbestimmtes Ich.
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Formal spiegeln sich diese Haltungen in Sprache und Struktur: Schillers strenge, harmonische Form entspricht seiner klassischen Ordnungsvorstellung, Krechels freie, brüchige Form ihrer Emanzipationsbewegung. So wird aus Schillers Würde der Frauen ein harmonisches Lob und bei Krechel ein kämpferischer Umsturz dieser Würde.