Lerninhalte in Deutsch
Inhaltsverzeichnis

Aufgabenstellung B

Interpretation literarischer Texte

Thema:

Friedrich Schiller: Würde der Frauen (1796)

Ursula Krechel: Umsturz (1977)

Aufgabenstellung:

  • Interpretiere Friedrich Schillers Gedicht Würde der Frauen (ca. 60 %)

  • Vergleiche Schillers Text mit Ursula Krechels Gedicht Umsturz unter besonderer Berücksichtigung der in ihnen entwickelten Weiblichkeitskonzepte. (ca. 40 %)

Material 1

Würde der Frauen (1796)

Friedrich Schiller

1
Ehret die Frauen! Sie flechten und weben
2
Himmlische Rosen ins irdische Leben,
3
Flechten der Liebe beglückendes Band,
4
Und, in der Grazie züchtigem Schleier,
5
Nähren sie wachsam das ewige Feuer
6
Schöner Gefühle mit heiliger Hand.
7
Ewig aus der Wahrheit Schranken
8
Schweift des Mannes wilde Kraft,
9
Unstet treiben die Gedanken
10
Auf dem Meer der Leidenschaft.
11
Gierig greift er in die Ferne,
12
Nimmer wird sein Herz gestillt,
13
Rastlos durch entlegne Sterne
14
Jagt er seines Traumes Bild.
15
Aber mit zauberisch fesselndem Blicke
16
Winken die Frauen den Flüchtling zurücke,
17
Warnend zurück in der Gegenwart Spur.
18
In der Mutter bescheidener Hütte
19
Sind sie geblieben mit schamhafter Sitte,
20
Treue Töchter der frommen Natur.
21
Feindlich ist des Mannes Streben,
22
Mit zermalmender Gewalt
23
Geht der wilde durch das Leben,
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Ohne Rast und Aufenthalt.
25
Was er schuf, zerstört er wieder,
26
Nimmer ruht der Wünsche Streit,
27
Nimmer, wie das Haupt der Hyder
28
Ewig fällt und sich erneut.
29
Aber, zufrieden mit stillerem Ruhme,
30
Brechen die Frauen des Augenblicks Blume,
31
Nähren sie sorgsam mit liebendem Fleiß,
32
Freier in ihrem gebundenen Wirken,
33
Reicher als er in des Wissens Bezirken
34
Und in der Dichtung unendlichem Kreis.
35
Streng und stolz sich selbst genügend,
36
Kennt des Mannes kalte Brust,
37
Herzlich an ein Herz sich schmiegend,
38
Nicht der Liebe Götterlust,
39
Kennet nicht den Tausch der Seelen,
40
Nicht in Tränen schmilzt er hin,
41
Selbst des Lebens Kämpfe stählen
42
Härter seinen harten Sinn.
43
Aber, wie leise vom Zephyr erschüttert
44
Schnell die äolische Harfe erzittert,
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Also die fühlende Seele der Frau.
46
Zärtlich geängstigt vom Bilde der Qualen,
47
Wallet der liebende Busen, es strahlen
48
Perlend die Augen von himmlischem Tau.
49
In der Männer Herrschgebiete
50
Gilt der Stärke trotzig Recht,
51
Mit dem Schwert beweist der Skythe,
52
Und der Perser wird zum Knecht.
53
Es befehden sich im Grimme
54
Die Begierden wild und roh,
55
Und der Eris rauhe Stimme
56
Waltet, wo die Charis floh.
57
Aber mit sanft überredender Bitte
58
Führen die Frauen den Zepter der Sitte,
59
Löschen die Zwietracht, die tobend entglüht,
60
Lehren die Kräfte, die feindlich sich hassen,
61
Sich in der lieblichen Form zu umfassen,
62
Und vereinen, was ewig sich flieht.

Aus: Schiller, Friedrich: Würde der Frauen. In: ders.: Sämtliche Gedichte. Frankfurt a. Main 1991, S. 256 ff.

Material 2

Umsturz (1977)

Ursula Krechel

1
Von heut an stell ich meine alten Schuhe
2
nicht mehr ordentlich neben die Fußnoten
3
häng den Kopf beim Denken
4
nicht mehr an den Haken
5
fress keine Kreide. Hier die Fußstapfen
6
im Schnee von gestern, vergeßt sie
7
ich hust nicht mehr mit Schalldämpfer
8
hab keinen Bock
9
meine Tinte mit Magermilch zu verwässern
10
ich hock nicht mehr im Nest, versteck
11
die Flatterflügel, damit ihr glauben könnt
12
ihr habt sie mir gestutzt. Den leeren Käfig
13
stellt mal ins historische Museum
14
Abteilung Mensch weiblich.

Anmerkungen zur Autorin: Ursula Krechel (* 1947) ist Schriftstellerin. Sie schreibt Gedichte, erzählende Prosa, Romane, Essays, Theaterstücke und Hörspiele und erhielt 2012 für ihren Roman Landgericht den Deutschen Buchpreis.

Aus: Krechel, Ursula: Umsturz. In: Bers, Anna (Hrsg.): Frauen Lyrik. Ditzingen 2020, S. 576.

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