Lerninhalte in Deutsch
Inhaltsverzeichnis

Teil I Pflichtteil: Textverständnis

Aufgabenstellung

Lies den Text. Bearbeite anschließend die vorgegebenen Aufgaben.

Material

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„Sams“-Erfinder verrät, wie man die Kinder des digitalen Zeitalters
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zum Bücherlesen verführt
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Wie bringt man Kinder trotz Smartphone und Tablet noch dazu, sich in ein Buch zu
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vertiefen? Fragen wir Paul Maar, Erfinder des Sams, der seit Jahrzehnten junge
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Menschen fürs Lesen begeistert. Das Gespräch mit dem Autor führen Anika Geisler und
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Ulrike von Bülow.
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Herr Maar, Ihre Sams-Bücher fesseln Kinder seit mehr als 40
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Jahren. Wenn man heute in einer Kita-Gruppe zuschaut, wie
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Erzieherinnen daraus vorlesen, sitzen selbst die zappeligsten
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Jungs noch still und hören zu. Was hat das Sams, was andere
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Kinderbuchfiguren nicht haben?
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Es hat erfreulicherweise etwas Zeitloses, man kann fast sagen, es ist
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ein moderner Klassiker geworden. Ich erlebe es oft bei Lesungen,
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da kommen immer auch die Eltern mit, und die freuen sich genauso
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und sagen zu mir: „Herr Maar, das Sams war eines meiner
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Lieblingsbücher, als ich ein Kind war, und jetzt lese ich es meinem
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Sohn vor, und der findet es auch gut.“ Die Kinder genießen es, dass
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das Sams Dinge tut, die ein normales Kind nicht darf. Ein zweites
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Element sind sicher die Wunschpunkte, die das Sams im Gesicht
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hat, mit denen es Wünsche erfüllen kann. Jedes Kind hat heimliche Wünsche. Ich bekomme
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viele Briefe von Kindern, oft schreiben sie mir von Wünschen, die das Sams erfüllen könnte.
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Wie schreiben die Kinder Ihnen, mit dem Computer?
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Nein, die schreiben meist mit der Hand, und das finde ich auch sehr schön. Es schreiben mehr
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Mädchen als Jungs, sagen wir: 60 zu 40 Prozent. Mädchen schreiben höflicher, sensibler. Auch
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von den Wünschen her. Sie wünschen mir manchmal Glück und Gesundheit. Jungs wünschen
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sich vom Sams eher eine Playstation, mehr Taschengeld oder dass sie ihren
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Lieblingsfußballspieler mal persönlich kennenlernen.
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Man sieht Kinder heute viel mit dem Smartphone, dem Tablet. Wie begeistert man sie da
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noch fürs Lesen?
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Ich denke, man legt den Grundstein damit, dass man den Kindern Geschichten erzählt oder
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vorliest. Es entsteht eine positive emotionale Verknüpfung: Da ist ein Erwachsener, der widmet
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sich ganz mir, mir dem Kind. Dieser Erwachsene räumt nicht nebenher auf und schaut auch
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gerade nicht Fernsehen oder auf das Smartphone. Es entsteht eine heimelige Atmosphäre, das
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Kind kann sich ganz eng anlehnen. Geschichten sind etwas Emotionales. Wenn das Kind später
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eine Geschichte liest, dann steigt in ihm wieder dieses positive Gefühl auf.
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Nun gibt es aber Kinder, die Eltern haben, da liest niemand vor.
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Ich habe das Bamberger Literatur-Festival ins Leben gerufen. Dazu gibt es Lesungen in kleinen
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Orten um Bamberg herum, ich lade Kinderbuch-Kollegen wie Kirsten Boie ein, und wir lesen
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in kleinen Ortsbibliotheken. Dahin kommen dann Schulklassen. Von den Kindern dieser
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Klassen lesen vielleicht zehn regelmäßig, und ich vermute, dass auch viele zu Hause nicht
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vorgelesen bekommen. Für die anderen ist es oft ein Aha-Erlebnis. Ich versuche, mit den
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Lehrern und Bibliothekaren Kontakt zu halten, weil ich gern eine Rückmeldung haben möchte.
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Sie haben Ihr erstes Buch noch mit der Hand geschrieben, dann kam die
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Schreibmaschine. Heute hat jedes Kind ein Handy, schreibt Kurznachrichten, in denen
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Grammatik keine Rolle mehr spielt. Machen Sie sich Sorgen, dass wir sprachlich
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verblöden?
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Verblöden nicht. Es entsteht eine neue Jugendsprache, die interessant ist. Aber ich bedauere,
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dass es Bestrebungen gibt, die Handschrift abzuschaffen und nur noch am Computer zu
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schreiben. Da geht sehr viel verloren. Ich glaube, man kann sich über die Handschrift selber
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bilden und weiterentwickeln. Soweit ich weiß, beschäftigt sich damit auch die Wissenschaft.
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Es wird diskutiert, ob Kinder durch intensive Nutzung digitaler Medien suchtgefährdet
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sind. Wie wird das in Ihrer Familie gehandhabt, spielen Ihre Enkel permanent am
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Handy?
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In unserer Familie gab es bestimmte Regeln bei unseren Kindern und deren Kindern. Zum
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Beispiel: nie bei Tisch ein Handy. Dazu kamen bestimmte Zeitbeschränkungen. So ein Handy
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ist sehr ablenkend. Lesen ist ja etwas, in das man versinken muss, aber die moderne Kindheit
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sieht immer mehr so aus: Das Kind fängt an zu lesen, dann kommt die erste WhatsApp von
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einem Freund und lenkt es ab. Dann bimmelt das Handy erneut, und es ist eine E-Mail.
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Schließlich gibt ihm jemand einen Tipp, dies und das bei TikTok nachzuschauen. Spätestens
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jetzt legt das Kind das Buch zur Seite, weil es die Konzentration nicht mehr hat.
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Und man kann es ja leider manchmal beobachten: Eltern leben so etwas auch vor. Es ist einfach
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nicht schön, wenn sich Eltern und die Kinder in Restaurants oder in anderen Situationen gar
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nicht mehr unterhalten und jeder nur auf sein Smartphone schaut.
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Warum haben Bücher noch immer die meiste Kraft, die Fantasie anzuregen?
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Wenn ich in einem Buch schreibe: „In einem tiefen, dunklen Wald …“, dann können sich
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ängstliche Kinder einen etwas helleren Wald vorstellen, wo zumindest noch etwas Licht durch
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die Bäume fällt. Die mutigeren stellen sich einen besonders tiefen und dunklen Wald vor. Allein
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das Wort Wald entwickelt eine individuelle Fantasie der Kinder, die kein Film, kein Videospiel
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in ihnen erwecken kann. Jedes Kind sieht einen anderen, bestimmten dunklen Wald und kann
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sich keinen anderen mehr vorstellen. Aber besonders wichtig finde ich, dass besonders durch
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Bücher auch die emotionale Intelligenz angeregt wird. Dass man auch durch Bücher lernt, sich
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in andere hineinzuversetzen. Die Gedanken und Empfindungen anderer zu lernen – und sich so
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über die eigenen Empfindungen klar zu werden.
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In Ihrem Elternhaus war Lesen verpönt. Ihr Vater hielt es für Zeitverschwendung.
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Ein guter Weg, Kinder zum Lesen zu bringen, ist, es ihnen zu verbieten. Ich weiß es aus eigener
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Erfahrung, es war ein innerer Widerstand gegen das Leseverbot meines Vaters. Er hatte ein
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Malergeschäft und gute Argumente: „Seit einer halben Stunde sitzt du da und liest. Wenn ich
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den Raum anstreiche, brauche ich zwei Stunden und sehe, ich habe etwas geschafft! Und was
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hast du geschafft? Kehre den Hof, dann weißt du, dass du was geleistet hast!“
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Aber als mein erstes Buch einen Preis bekam, lief er stolz in Schweinfurt mit meinem Buch in
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der Hand durch die Fußgängerzone. Und wenn er einen Freund traf, sagte er: „Ach guck,
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zufällig habe ich ein Buch dabei, das ist von meinem Sohn, er hat einen Preis dafür gewonnen!“
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Sie haben Ihre Kindheit einmal als „extrem“ bezeichnet …
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Ja, das war keine heile Kindheit. Da war dieser sehr strenge Vater, der aber zunächst jahrelang
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abwesend war im Zweiten Weltkrieg. Ich wurde 1937 geboren – meine Kindheit erlebte ich
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also mitten im Krieg. Meine Mutter war früh verstorben und ich lebte mit meiner Stiefmutter
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zusammen. Unser Wohnort Schweinfurt war eine der am meisten bombardierten Städte.
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Deshalb habe ich angezogen im Kinderbett geschlafen. Sirenen gingen, wir mussten in den
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Luftschutzkeller, erste Bomben fielen, alles vibrierte und dann ging das Licht aus. Meine
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Stiefmutter hatte Angst um uns. Eine Angst, die sich auf mich übertragen hat.
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Wie sehen Sie Eltern von heute, wenn Sie von sogenannten „Helikopter-Eltern“
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sprechen? Eltern, die von allem zu viel haben und ihre Kinder mit ihrer übertriebenen
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Sorge behüten wollen, sie aber dabei kleinhalten.
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Ich erlebe Eltern und ihre Kinder oft. Zum Beispiel gibt es in meinem Wohnort Bamberg ein
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Café mit einem Spielplatz daneben. Da beobachte ich zwei Sorten Eltern. Da sind die einen,
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unbesorgt, sie winken, und ihr Kind klettert das Gerüst hoch. Dann sind da die anderen, Mütter,
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die immer dahinterstehen, wenn ihre Kinder versuchen, vorsichtig zu klettern. Und dann denke
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ich: Vielleicht könnten die Kinder heute manchmal ein kleines bisschen weniger gut behütet
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sein. Es würde ihnen nicht schaden.
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Ergänzung: Worum geht es in der Sams-Reihe?
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Das Sams ist die Hauptfigur einer zwölfbändigen Kinderbuch-Reihe. Dabei dreht sich in den
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Geschichten alles um dieses plötzlich auftauchende Wesen, das Wünsche erfüllen kann, wobei
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allerhand schiefgeht. Das erste Buch der Sams-Reihe ist 1973 erschienen und der Beginn der
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Abenteuer von Herrn Taschenbier und dem Sams, welches das Leben seines neuen Freundes
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mit Mut und Frechheit bereichert.
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Das Sams ist ein kindähnliches Wesen mit einer Rüsselnase, einem Gesicht mit blauen
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Punkten, roten Borstenhaaren, Froschfüßen und einem prallrunden Trommelbauch. Das Sams
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wird höchstens so groß wie ein achtjähriges Kind. Charakteristisch für das Sams sind die
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Wunschpunkte, die es im Gesicht hat. Das Sams frisst von Stuhlbeinen über Fenstergriffe bis
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zu Stoff eigentlich alles, aber am liebsten nimmt es Würstchen zu sich. Das Sams liebt es zu
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reimen. Es ist frech und nimmt vieles wörtlich. Es kann Kinder gut verstehen.
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Ergänzung aus der Wissenschaft: Das Erlernen einer Handschrift ist wichtig
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Die Handschrift ist eine komplexe motorische Aufgabe, die das Gehirn intensiv beansprucht.
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Das Erlernen einer Handschrift ist also ein gutes Training für das Gehirn. Beim Tippen auf
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einer Tastatur oder einem Bildschirm werden deutlich weniger Bereiche im Gehirn aktiviert,
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weil die Bewegungen viel einfacher sind. Und je mehr Bereiche im Gehirn aktiviert werden,
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desto mehr Verknüpfungen entstehen – das ist Lernen. Kinder profitieren also, wenn sie mit
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der Hand schreiben lernen und eine schnelle Handschrift entwickeln.
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Wissenschaftliche Studien belegen, dass auch im Erwachsenenalter Informationen besser
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verarbeitet und im Gedächtnis behalten werden, wenn sie handschriftlich notiert, statt mithilfe
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einer Tastatur getippt zu werden.

Interview nach: Anika Geisler und Ulrike von Bülow (04.08.2018): „Sams“-Erfinder verrät, wie man die Kinder des digitalen Zeitalters zum Bücherlesen verführt. Stern-Gespräch. Zugriff am 07.02.2024.

Textbeitrag: Ergänzung aus der Wissenschaft … Vgl.: May-Britt Winkler (21.10.2022): Was die Handschrift verrät. Zugriff am 18.03.2024.

Hinweis: Orthografie und Grammatik werden mit 2 BE bewertet.

1)

Im Text werden sowohl die äußeren Merkmale als auch typische Verhaltensweisen der Kinderbuchfigur Sams anschaulich beschrieben.

Gib diese an. Notiere dazu je fünf Informationen.

2 BE

2)

Paul Maar bezeichnet seine Kinderbuchfigur Sams als „etwas Zeitloses“. (Zeile 12)

Begründe diese Aussage anhand des Textes.

1 BE

3)

Ordne die folgenden Wünsche jeweils Mädchen und Jungen zu, basierend auf Paul Maars Beobachtungen.

Notiere Sätze. Beginne diese jeweils passend mit „Mädchen …“ oder „Jungen …“

a)

… möchten eine Playstation.

b)

… wünschen Gesundheit und Glück.

c)

… wollen mehr Taschengeld.

d)

… möchten einen Lieblingsfußballspieler treffen.

1 BE

4)

Paul Maar sagt, dass das Vorlesen durch Erwachsene eine wesentliche Grundlage ist, um die Lesebegeisterung bei Kindern zu fördern.

Markiere einen Satz, mit dem er dafür eine Begründung gibt.

1 BE

5)

Welche Wirkung kann nach Ansicht von Paul Maar von Büchern ausgehen?

Erläutere zwei Aspekte.

2 BE

6)

Was versucht Paul Maar durch das Bamberger Literatur-Festival zu erreichen?

Gib den Buchstaben der zutreffenden Aussage an.

Paul Maar versucht...

a)

… mehr Bücher zu verkaufen.

b)

… Kindern das Lesen näherzubringen.

c)

… Schriftsteller zu fördern.

d)

… die Anzahl der Bibliotheken zu erhöhen.

1 BE

7)

Paul Maar sieht die intensive Nutzung digitaler Medien kritisch.

Leite aus den Erfahrungen von Paul Maar zwei Empfehlungen für Familien ab.

Notiere diese in Satzform.

1 BE

8)

Paul Maar bedauert das Bestreben, die Handschrift abzuschaffen.

Begründe auf Grundlage des Textes, warum die Handschrift wichtig ist.

2 BE

9)

Der Vater von Paul Maar hielt das Lesen für Zeitverschwendung. (Zeilen 74 – 79)

Beurteile diese Auffassung des Vaters.

Beziehe dich dabei auch auf den angegebenen Textabschnitt.

3 BE

10)

Die Autorinnen wollen in ihrem Interview mit Paul Maar die Frage klären: „Wie bringt man Kinder trotz Smartphone und Tablet noch dazu, sich in ein Buch zu vertiefen?“ (Zeilen 3 – 4)

a)

Nenne und erläutere mit Bezug auf den Text drei Maßnahmen, die dazu beitragen können.

b)

Stimmst du den Aussagen von Paul Maar zum Thema Lesemotivation zu?

Begründe.

4 BE

30 BE

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