Aufgabe 2
Thema
Elisabeth Steinkellner (* 1981): Zugvögel
Aufgabenstellung
Interpretiere die Kurzgeschichte.
Material
Zugvögel
Elisabeth Steinkellner
Aus: Steinkellner, Elisabeth: Zugvögel. In: die Nacht der Falter und ich. Tyrolia-Verlag, Innsbruck 2016, S. 28.
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In der Kurzgeschichte Zugvögel von Elisabeth Steinkellner, die 2016 erschienen ist, wird eine Begegnung zwischen einem Vater und seinem Kind geschildert.
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Der Text behandelt vor allem eine Vater-Kind-Beziehung, in der emotionale Erwartungen und Realität aufeinandertreffen.
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Bereits der Titel deutet auf ein Motiv des Unterwegsseins sowie auf Veränderungen im Leben der Figuren hin.
Hauptteil
Inhaltliche Analyse
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Die Kurzgeschichte handelt von einem Treffen zwischen Vater und Kind, das in einem Park stattfindet. In ihrem Gespräch geht es zunächst um scheinbar Alltägliches, etwa den Geruch von „Zuckerwatte“ (V. 1), Bäume, den Teich oder die Enten. Diese Gesprächsthemen wirken zunächst harmlos, verdeutlichen jedoch bereits eine subtile Distanz: Der Vater und das Kind sprechen miteinander, aber nicht über das, was wirklich wichtig ist. Die Atmosphäre bleibt dadurch angespannt und brüchig, obwohl sie auf der Oberfläche vertraut wirkt.
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Ein zentraler Moment entsteht, als das Kind vorsichtig seine Wünsche äußert und fragt, ob sie sich nicht häufiger sehen könnten – „jedes Wochenende statt nur einmal im Monat“ (V. 22 f.). Diese Frage zeigt, wie stark das Kind mehr Nähe, Zuwendung und Verlässlichkeit sucht. Statt mit einer offenen Antwort reagiert der Vater mit ausweichendem Verhalten: Er verlangsamt kurz den Schritt, bleibt trotz zugewandter Haltung körperlich und emotional nicht erreichbar. (Vgl. V. 24 ff.) Dies macht die asymmetrische Beziehung sichtbar, in der das Kind die Nähe sucht, der Vater sie aber nicht geben kann oder will.
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Kurz darauf erklärt der Vater, dass er wegziehen werde, „ziemlich weit weg“ (V. 32). Dieser Moment bildet einen klaren Wendepunkt. Die zuvor fragile Hoffnung des Kindes wird abrupt zerstört. Die Reaktion des Kindes – trockener Mund, geballte Fäuste, gesenkter Blick, das Bemühen, Tränen zurückzuhalten – zeigt deutlich seine Enttäuschung, Traurigkeit und innere Verletzung. (Vgl. V. 34 ff.) Der Vater versucht zwar, die Situation zu entschärfen, macht aber nur oberflächliche Angebote („Vielleicht in den Ferien…“, V. 35), die seine eigene Hilflosigkeit und Unsicherheit eher verstärken.
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Die Körpersprache beider Figuren macht ihre emotionale Lage deutlich: Das Kind ringt sichtbar mit seinen Gefühlen, kämpft gegen Tränen an und wirkt zunehmend überfordert, während der Vater sich nervös die Krawatte glattstreicht (Vgl. Z. 27 ff.), den Blickkontakt vermeidet und dadurch seine Unsicherheit offenbart. Seine Versuche, Trost zu spenden, wirken insgesamt vorgespielt, hilflos und unbeholfen, sodass sich die Distanz zwischen beiden noch stärker zeigt.
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Die Kommunikation bleibt unausgewogen und fehlerhaft. Es entsteht der Eindruck zweier Menschen, die zwar miteinander reden, aber nicht miteinander in Verbindung treten.
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Am Ende entscheidet das Kind aktiv, sich emotional vom Vater zu lösen: Es beschleunigt seine Schritte, reagiert nicht mehr auf die Rufe des Vaters und wandert entschlossen Richtung Ausgang. (Vgl. V. 38 ff.) Der letzte Satz – „Die Enten fliegen gar nicht in den Süden [...] Die bleiben hier.“ (V. 43) – ist symbolisch äußerst aufgeladen: Die Enten bleiben, der Vater geht. Diese Erkenntnis markiert den inneren Bruch der Beziehung.
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Ich-Erzähler (Kind): Der Ich-Erzähler ist zu Beginn dem Vater zugewandt, harmoniesuchend und mutig darin, seinen Wunsch nach mehr Nähe ausdrücklich zu formulieren. Die Enttäuschung über die Umzugspläne führt jedoch zu einer tiefen emotionalen Erschütterung. Der Erzähler fühlt sich traurig, verletzt und zunehmend isoliert. Der Umzug des Vaters wird so zum Katalysator für eine emotionale Loslösung: Am Ende wendet sich das Kind nicht nur physisch, sondern auch innerlich vom Vater ab.
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Vater: Der Vater zeigt sich passiv in seiner Vaterrolle, wirkt karriereorientiert und ist nicht in der Lage, echte emotionale Nähe zuzulassen. Er erscheint unsicher, hat ein schlechtes Gewissen und versucht mit hilfloser Freundlichkeit die Situation zu entschärfen. Seine Worte und sein Verhalten bleiben jedoch oberflächlich. Er bemüht sich zwar, die Beziehung irgendwie am Leben zu erhalten, doch er tut dies ohne echte Hingabe oder Verantwortung. Sein Trostversuch („Du kannst mit dem Flugzeug kommen“, V. 40) wirkt eher wie ein missglückter Versuch, das Unvermeidliche schönzureden. Auffällig ist, dass er das Thema des Umzugs erst auf Nachfrage des Kindes anspricht und es zuvor offenbar vermieden hat.
Formale Analyse
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Die Geschichte aus der Ich-Perspektive des Kindes verstärkt die emotionale Intensität und vermittelt dessen Unsicherheit und Bedürftigkeit unmittelbar.
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Wechselnde Ich-Du-Perspektive: Das direkte „du“ schafft Nähe, macht aber die Distanz zwischen den Figuren umso schmerzlicher sichtbar, wenn der Vater nicht reagiert oder den Blickkontakt vermeidet.
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Kurze, teilweise elliptische Sätze spiegeln das stockende Gespräch, das Zögern und die emotionale Anspannung wider.
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Das Präsens erzeugt Unmittelbarkeit und lässt den Leser die Situation in Echtzeit miterleben.
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Bildhafte Sprache und Neologismen wie „Zuckerwattenbaum“ (V. 4) verleihen dem Text eine kindliche Perspektive und zeigen frühere Nähe und Fantasie, die nun der Enttäuschung gegenüberstehen.
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Die Metapher „Zugvögel“ steht für Veränderungen, Lebenswege und unterschiedliche Bewegungsrichtungen. Am Ende erkennt das Kind, dass Enten nicht wegfliegen: Sie stehen damit symbolisch für das Kind selbst, das bleibt – im Gegensatz zum Vater, der fortgeht.
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Diese sprachlichen Mittel verdeutlichen sowohl die emotionale Tiefe als auch die Brüche innerhalb der Beziehung und machen den inneren Konflikt des Kindes erfahrbar.
Schluss
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Die Kurzgeschichte Zugvögel zeigt auf eindringliche Weise eine fragile Vater-Kind-Beziehung, in der Wünsche nach Nähe und Zuwendung unerfüllt bleiben.
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Die Nachricht des Vaters, wegzuziehen, zerstört die Hoffnung des Kindes auf mehr Kontakt und zwingt es zu einer schmerzhaften, aber bewussten Distanzierung.
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Die symbolische Verwendung des Motivs der Zugvögel unterstreicht die unterschiedlichen Wege der Figuren: Der Vater geht, das Kind bleibt.
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Am Ende gewinnt der Erzähler eine ernste Einsicht über Verlässlichkeit und Veränderung, die seine emotionale Entwicklung prägt und den Text zu einer berührenden Darstellung über eine kindliche Enttäuschung macht.