Aufgabe 4
Thema
Laura Kneidl: Someone ELSE
Aufgabenstellung
Nimm die Perspektive von Cassandra ein und setze die Erzählung fort.
Material
Aus: Kneidl, Laura: Someone ELSE. LYX in der Bastei Lübbe AG, Köln 2020, S. 11 f.
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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte es sich immer noch an wie ein Traum. Die Bestätigungsmail zur SciFaCon leuchtete immer noch in meinem Postfach und jedes Mal, wenn ich sie öffnete, wurde mir warm vor Freude. Es war, als hätte jemand in meinem Inneren einen Schalter umgelegt. Ich war motivierter, mutiger und hatte plötzlich das Gefühl, dass endlich einmal etwas in meinem Leben so lief, wie ich es mir erhoffte.
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In den Vorlesungen an der Uni konnte ich mich kaum konzentrieren. Während einer Vorlesung starrte ich minutenlang auf ein unbeschriebenes Blatt, weil meine Gedanken wieder zu meinem Cosplay wanderten. Welche Farben ich brauchte, wie ich die Rüstung stabil bekommen würde, welche kleinen Details ich noch einarbeiten musste. Zu Hause erzählte ich Auri alles. Seine Augen wurden riesig: „Cass, das wird mega! Wir müssen sofort mit der Planung anfangen! Die Con wartet nicht!“
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Am selben Abend erstellten wir eine Gruppe mit Micah und Julian. Es dauerte keine zwei Minuten, bis der Chat komplett explodierte. Auri schickte Links zu Panels, bei denen man Roboter bauen konnte, Micah schickte Tutorials für realistische Cosplay-Narben, Julian warf Reise-Deals in den Chat, die er gerade gefunden hatte. Die positive Energie der anderen steckte mich so sehr an, dass ich das Gefühl hatte, innerlich zu leuchten. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte ich mich nicht mehr wie jemand, der immer Pech hat, sondern wie jemand, der endlich etwas Besonderes erlebt.
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Ein paar Tage später trafen wir uns bei Micah zu unserer ersten „Professionellen SciFaCon-Vorbereitungsrunde“. Micah hatte einen riesigen Papierkalender über ihren Schreibtisch gehängt, auf dem in allen möglichen Farben markiert war, an welchen Tagen wir an Cosplays arbeiten, planen oder einkaufen gehen würden. „Das ist unsere Mission“, erklärte sie feierlich, „und wir schaffen sie.“ Auri sortierte währenddessen meine Stoffreste und sah kritisch auf den Schaumstoff. „Der ist zu dünn“, meinte er, „aber wir verstärken ihn. Wird top.“ Sein Zwinkern machte mich wirklich selbstbewusster.
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Julian blätterte durch Reiseseiten, während wir am Boden saßen und Material ausbreiteten. „Okay, hier: günstiger Flug, gute Zeiten, aber wir müssen früh raus“, murmelte er, während Micah nickte und alles sofort notierte, damit wir nichts vergaßen. Als kurz darauf mein Handy vibrierte und die Flugbestätigung erschien, blieb mir fast das Herz stehen. Es fühlte sich an, als würde ein neues Kapitel beginnen.
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Währenddessen nahm mein Cosplay immer mehr Gestalt an. Ich verbrachte lange Abende damit, Schaumstoffplatten zuzuschneiden, zu bekleben und zu bemalen. Der Boden meines Zimmers war komplett mit Farbflecken übersät. Manchmal war ich kurz davor hinzuschmeißen, besonders, wenn Teile plötzlich krumm wurden oder der Lack streifig war. Gleichzeitig fühlte ich aber auch diese ungewohnte Energie in mir. Ich wollte dranbleiben. Ich wollte gut aussehen auf der Con. Vor allem wollte ich stolz auf mich sein. Es war, als würde ich mich mit jeder neuen Schicht Farbe selbst ein Stück weiter zusammenkleben.
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Je näher der Tag der Abreise kam, desto stärker wurden die Gefühle in meinem Bauch. Aufregung und Nervosität wechselten sich ab wie Wellen. Während ich mein Kostüm zum letzten Mal anprobierte, zitterten meine Hände, doch Auri klatschte begeistert und rief: „Cass, du siehst aus, als hättest du gerade ein Raumschiff verlassen!“ Dieses Lob ließ mich strahlen.
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Dann kam der große Tag. Der Flughafen roch nach Kaffee, Reiselust und ein bisschen nach Abenteuer. Wir stolperten mit unseren riesigen Taschen durch die Halle, während Julian versuchte, uns zu sortieren: „Leute, Boarding in 20 Minuten! Micah – der Föhn kommt nicht ins Handgepäck! Cass, atmen! Auri, hör auf, deine Snacks umzupacken!“ Ich lachte, obwohl ich nervös war. Im Flugzeug presste ich meine Stirn ans Fenster und sah den Wolken zu. Meine Gedanken überschlugen sich: Was, wenn ich dort niemanden kenne? Was, wenn alle besser aussehen als ich? Was, wenn mein Cosplay peinlich wirkt? Aber gleichzeitig war da dieses warme, elektrisierende Gefühl, das stärker war als jeder Zweifel.
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Als wir in Seattle ankamen, fühlte es sich an, als würde ich eine neue Welt betreten. Über dem Eingang zur Convention hing ein riesiges Banner: SciFaCon – Welcome to the Future! Mein Magen machte einen Salto. Menschen in beeindruckenden Kostümen liefen an uns vorbei, manche mit leuchtenden Schwertern, andere mit Flügeln oder Roboterarmen. Es blinkte überall, Stimmen schwirrten durch die Luft, und vor uns breiteten sich die Hallen aus wie ein eigenes Universum.
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Am nächsten Morgen zog ich mein Cosplay an. Ein Riemen riss in genau dem Moment, als ich dachte, alles sei perfekt. Panik stieg kurz in mir auf, doch Auri schnappte sich sofort Nadel und Faden. „Ich hab’s!“, verkündete er entschlossen und reparierte alles in wenigen Minuten. Als ich aus dem Bad trat, blieb Micah stehen und riss die Augen auf. „Cass! Du bist der Hammer!“, rief sie, und ich fühlte mich leichter als Luft.
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Auf der Convention selbst war alles größer, lauter und fantastischer, als ich es mir je ausgemalt hatte. Stände voller bunter Kunstwerke, Cosplayer, die wie aus Filmen entsprungen wirkten, Panels mit Promis, die ich nur aus Interviews kannte. Überall blinkten Displays, und die Luft vibrierte vor Energie. Ich verlor mich vollkommen im Moment.
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Dann geschah etwas, womit ich nie gerechnet hätte: Ein Mädchen in einem beeindruckenden Armor-Cosplay blieb vor mir stehen, lächelte und fragte: „Wow, darf ich ein Foto von dir machen?“ Ein echtes Foto von mir. Mein ganzer Körper prickelte. Ich nickte langsam, unfähig zu sprechen, und posierte so gut ich konnte. In diesem Moment wusste ich, dass ich genau hier sein sollte.
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Als wir am Abend in unserer kleinen Unterkunft lagen, todmüde, die Füße voller Blasen, aber glücklich wie selten zuvor, spürte ich etwas Neues in mir. Diese Reise hatte mich verändert. Ich war mutiger geworden, offener, irgendwie echter. Ich fühlte mich zum ersten Mal seit langer Zeit nicht wie jemand, der immer am Rand steht, sondern wie jemand, der dazugehört.
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Die SciFaCon war für mich nicht nur ein Event – sie war ein Neuanfang. Eine Erinnerung daran, dass ich Dinge schaffen konnte. Während ich mit geschlossenen Augen die Stimmen und Lichter des Tages noch einmal durch meinen Kopf ziehen ließ, wusste ich: Das war nur der erste Schritt in eine Welt, die ich endlich nicht nur beobachtete, sondern zu der ich wirklich gehörte.