Aufgabe 4
Analyse eines pragmatischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag
Thema: Helmut Berschin (* 1940): Sehr geehrte Persönlichkeiten (2022) Aufgabenstellung:- Stelle den Argumentationsgang des Textes von Helmut Berschin dar und erläutere die Intention des Textes.
(ca. 40 %)
- Erörtere die Position des Autors unter Berücksichtigung deiner Kenntnisse zu Sprache in politisch-gesellschaftlichen Verwendungszusammenhängen.
(ca. 60 %)
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Eigentlich könnten die rund 90 Millionen Muttersprachler des Deutschen mit ihrer Sprache
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zufrieden sein: Sie funktioniert als Kommunikationsmittel für alle Sprecher, unabhängig von
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deren Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion und den politischen Umständen. Auch in den 40
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Jahren der politischen Teilung Deutschlands blieb die Nation sprachlich geeint. Zunehmend
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macht sich aber Unmut über den Sprachgebrauch staatlicher Stellen und des
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gebührenfinanzierten Fernsehens breit: Leserbriefe kritisieren „die unnötige Verkomplizierung
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der deutschen Sprache“, ihre „Verhunzung“ und ihren „Missbrauch für eine
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gesellschaftspolitisch und ideologisch motivierte Agenda“.
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Eine Sprache braucht an sich keinen Staat, sie funktioniert von allein. Umgekehrt gilt aber: Der
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Staat braucht die Sprache; denn Staaten sind Kommunikationsgemeinschaften, und politisches
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Handeln läuft über die Sprache: Revolutionäre wie Robespierre in Frankreich, Lenin in
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Russland, Fidel Castro in Kuba haben vor allem „geredet“: in ihrer Sprache, die sie perfekt
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benutzten. Sie wären nie auf die Idee gekommen, die Grammatik des Französischen,
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Russischen oder Spanischen zu ändern.
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Schon die alten Römer wussten: Caesar non est supra grammaticos, auch der Kaiser steht nicht
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über den Grammatiken – oder moderner übersetzt: „Der Staat kann der Grammatik nichts
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befehlen.“ Genau dies weiß der deutsche Staat heute nicht mehr und fördert unter dem Namen
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„geschlechtergerechte (geschlechtersensible) Sprache“ eine Grammatikänderung, die als
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„Gendern“ bezeichnet wird.
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Dabei geht es um das grammatische Geschlecht (Genus) von Personenbezeichnungen. Im
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Deutschen gilt hierzu die Faustregel: Männliche Personen stehen grammatisch im Maskulinum,
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weibliche im Femininum. In zahlreichen Fällen ist die Personenbezeichnung allerdings
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geschlechtsneutral: der Star, der Säugling (und sonstige Bezeichnungen auf -ling), die Geisel,
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die Persönlichkeit, das Opfer, das Kind.
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Nun ist das biologische Geschlecht (Sexus) einer Person, über die gesprochen wird, häufig
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unbekannt: Wer sagt: „Der Nächste bitte!“ oder in einem Notfall fragt: „Ist ein Arzt an Bord?“,
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weiß noch nicht, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Die
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Geschlechtszugehörigkeit ist hier auch sachlich uninteressant, genauso wie bei größeren
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Personengruppen, die ja meistens geschlechtergemischt sind: Im Satz „München hat rund 1,5
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Millionen Einwohner“ bezieht sich das Maskulinum Einwohner nicht nur auf Männer, sondern
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auf Männer und Frauen.
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Grammatisch bezeichnet man diese Funktion als allgemeines oder „generisches“ Maskulinum.
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Dieses generische Maskulinum soll aus der grammatischen Struktur des Deutschen
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verschwinden, und zwar durch Gendern, was zu „geschlechtergerechten“ Formulierungen führt
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wie: „Der oder die Nächste bitte!“, „Ist ein Arzt oder eine Ärztin an Bord?“, „München hat rund
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1,5 Millionen Einwohner⁶“ (die Stadt Köln verwendet bereits diese Bezeichnung). Aber kann
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sich eine solche Grammatikänderung in der Sprachpraxis durchsetzen?
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Richtiges Gendern ist kompliziert: Es genügt nicht, einfach an die Personenbezeichnung ein
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-er oder -innen anzuhängen (was zu Fehlbildungen wie Mitgliederinnen oder
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Krankenschwestern führen kann), man muss zum Beispiel auch die pronominalen Bezüge
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beachten: Das geflügelte Wort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die
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Wahrheit spricht“ lautet auf Genderdeutsch: „Wer einmal lügt, dem oder der glaubt man nicht,
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und wenn er oder sie auch die Wahrheit spricht.“
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Wer nicht sprachwissenschaftlich vorgebildet ist, muss Gendern lernen – und das kostet Zeit:
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Der 2021 erschienene Ratgeber „Richtiges Gendern für Dummies (Anfänger)“ hat 160 Seiten
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und das „Handbuch geschlechtergerechter Sprache“ (2022) 272 Seiten. Befolgt man alle
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Genderregeln solcher Ratgeber, ist das generische Maskulinum aus einem Text aber
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keineswegs verschwunden: Bei direkten, anredfähigen Personenbezeichnungen wird es zwar
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ersetzt (die Bürger werden zu Bürgerinnen und Bürger), aber in Wortableitungen (bürger-lich,
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Bürger-tum) bleibt es durchaus erhalten, ebenso als Erstglied von Wortzusammensetzungen:
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Bürger-beteiligung, Bürger-dialog, bürger-freundlich, Bürger-geld, Bürger-rechte.
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Der Umfang dieses Wortschatzes ist enorm – allein zu Bürger gibt es im Rechtschreibduden
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mehr als 50 einschlägige Wortbildungen. Die Gender-Ratgeber empfehlen deshalb, diese
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Wörter gar nicht zu gendern, womit ihr Ziel, das generische Maskulinum abzuschaffen,
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illusorisch wird: Ein Wort wie Lehrermangel müsste ja nach der Genderlehre bedeuten, dass
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nur männliche Lehrer fehlen, und deshalb durch Lehrer- und Lehrerinnenmangel ersetzt
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werden.
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Aber auch die Beschränkung des Genderns auf direkte Personenbezeichnungen führt in der
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Sprachpraxis nicht dazu, dass „richtig“ und, vor allem, systematisch gegendert wird. Meistens
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bleiben viele generische Maskulinformen ungegendert.
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Nehmen wir als Beispiel den Koalitionsvertrag von 2021 zwischen SPD, Grünen und FDP –
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ein Text, der von der politischen Führungselite des Landes formuliert wurde. Der 177 Seiten
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umfassende Vertrag enthält korrekt gegenderte Paarformen wie „Anglerinnen und Angler“,
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„Bürgerinnen und Bürger“, „Landwirtinnen und Landwirte“. Andererseits werden
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Personengruppen wie „Teilnehmer“ (an Meisterkursen), „Waldbesitzer“, „Verfassungsfeinde“
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im generischen Maskulin genannt. Und schließlich kommt dieselbe Personenbezeichnung
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gegendert und ungegendert vor: Es gibt „Nutzerinnen und Nutzer“ neben „Nutzer“, „ein oder
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eine Tierschutzbeauftragte“ neben „einem (geplanten) Meeresbeauftragten“, „Akteurinnen und
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Akteure“ neben „Akteuren“.
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Kurzum: ein sprachliches Durcheinander, bei dem sich die Frage stellt, ob die Verfasser
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gendern nicht können oder nicht ernst nehmen. Jedenfalls ist „richtiges Gendern“ für die hohe
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Politik Nebensache; es geht nur darum, sprachsymbolisch ab und zu ein Gendersignal zu
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senden, um seine positive Einstellung zu zeigen.
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Dieses selektive Gendern hat gegenüber dem systematischen Gendern kommunikativ drei
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Vorteile: Man kann erstens dabei sprachlich kaum Fehler machen, weil es sich auf einige
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Floskeln wie „Bürgerinnen und Bürger“ beschränkt. Zweitens wird das Publikum, das bei
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penetrantem Gendern erfahrungsgemäß „abschaltet“, nicht gelangweilt. Drittens hat der Autor
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bei einem nicht oder wenig gegenderten Text mehr Formulierungsmöglichkeiten als bei einem
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systematisch gegenderten. Es gibt deshalb bisher keinen Schriftsteller, der auf Genderdeutsch
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schreibt.
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Die Genderquote – das Verhältnis gegenderter zu genderbaren Personenbezeichnungen – ist
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beim selektiven Gendern relativ niedrig: In ZDF-Nachrichtensendungen und bei genderwilligen
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Zeitungen liegt sie bei etwa zehn Prozent (mehr gendern würde die Texte aufblähen und
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stilistisch holprig machen).
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Gendern fällt also sprachlich auf, und das soll es ja: Es dient als politisches Bekenntnissymbol.
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Aber wofür? Irgendwie für „modern“, „weltoffen“, „Vielfalt“, „Fortschritt“,
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„Gleichberechtigung“. Gendern soll zeigen, dass jemand die richtige Haltung und Gesinnung
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hat, es ist eine Frage der Moral, wobei die deutsche Sprache nur als „Aufhänger“ dient. Einen
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sachlichen Informationswert hat das Gendern nicht: Die Schlagzeile „EU erschwert Einreise
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für Russinnen und Russen“ sagt nicht mehr aus als „EU erschwert Einreise für Russen“.
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Mit dem Sprachfeminismus, der in den 1980er-Jahren entstand, und in der „Männersprache
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Deutsch“ die Frauen „sichtbar“ machen wollte, hat die heutige Debatte um das Gendern als
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Zeichen sprachlicher „Geschlechtergerechtigkeit“ nichts mehr zu tun. Der Sprachfeminismus
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ging von zwei Geschlechtern aus: „männlich“ und „weiblich“. Aber diese „binäre“
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Geschlechterordnung ist seit dem 1. Oktober 2017 nicht mehr zeitgemäß, als das
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Bundesverfassungsgericht ein „drittes Geschlecht“ anerkannte, das im Personenstandsregister
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nun als „divers“ oder „ohne Angabe“ erscheint.
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Für dieses dritte Geschlecht – die Anzahl der Betroffenen schätzte das Bundesverfassungs-
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gericht auf 160 000, standesamtlich registriert sind weniger als 10 000 – reichte die beim
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Gendern übliche Paarformel (Bürgerinnen und Bürger) nicht mehr aus. So entstanden
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künstliche Wortbildungen, in denen die Diversen grafisch ein Sonderzeichen dargestellt
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werden: Genderstern (Bürger*innen), Unterstrich (Bürger_innen), Doppelpunkt
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(Bürger:innen).
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Am verbreitetsten ist heute der Genderstern, den die Universität Bielefeld ihren Studenten 2019
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so erklärte: „Symbolisch stehen die Strahlen des Sternchens, die in verschiedene Richtungen
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zeigen, für die unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten. Das Gendersternchen bildet Vielfalt
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ab.“ Aber wie soll man das Sternchen aussprechen? Indem zwischen Wortstamm und Endung
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eine kurze Pause (‧) gemacht wird: Bürger‧innen. Im Rundfunk wird diese Aussprache
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ausprobiert, allerdings verstehen die Zuhörer meistens Bürgerinnen, also „weibliche Bürger“.
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Mit dem dritten Geschlecht stellt sich übrigens das Problem der geschlechtergerechten Anrede:
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„Meine Damen und Herren!“ geht nicht mehr, weil es nur zwei Geschlechter anspricht. Die
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Politik ist hier mit einer Änderung noch zurückhaltend – im Bundestag lautet die
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Standardanrede weiter „Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!“ –, aber die Universität
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Regensburg hat schon einen Vorschlag gemacht: „Sehr geehrte Persönlichkeiten!“
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Was hat das Gendern gebracht? Für die Deutschsprecher nichts, außer einer gewissen
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Verunsicherung im öffentlichen Sprachgebrauch: Darf man noch „Studenten“ sagen,
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„Ausländer“ und „Demonstranten“ – oder muss es heißen: „Studierende, Menschen mit
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ausländischem Pass, Demonstrierende“?
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Positiv wirkt sich das Gendern für dessen Protagonisten aus: Sie können mit Planstellen in
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staatlichen Einrichtungen rechnen, vor allem an Universitäten, wo die Genderwissenschaften
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aufblühen und eine „wissenschaftliche“ Begründung für das Gendern liefern. Hauptargument:
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Frauen fühlen sich durch das generische Maskulinum nicht angesprochen.
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[…]
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Für die Politik ist Gendern ein nützliches Mittel, um Sachfragen in Sprachfragen aufzulösen,
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wie die faktische Benachteiligung von Frauen: Die Durchschnittsrente von Frauen betrug 2020
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in Westdeutschland 730 Euro, für Männer 1210 Euro. Altersarmut trifft also in erster Linie
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Frauen – daran ändert auch nichts, dass sie in der Floskel „Rentnerinnen und Rentner“ politisch
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hervorgehoben werden.
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„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“, fragt in Goethes „Faust“ Margarete. Diese
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„Gretchenfrage“ stellt sich heute für viele beim Gendern: Wer es tut, bekennt sich aktiv oder
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als Mitläufer zu einer quasireligiösen „Bewegung“. Gendern ist zwar schlechter Stil und seine
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Begründung sprachwissenschaftlich falsch, aber politisch ein Ausdruck von Meinungsfreiheit
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– die jedoch da endet, wo man anderen vorschreibt zu gendern.
Aus: Berschin, Helmut: Sehr geehrte Persönlichkeiten! In: Nürnberger Zeitung (22.09.2022), S. 16.
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Einleitung
- Helmut Berschin äußert sich in seinem Kommentar Sehr geehrte Persönlichkeiten! kritisch zur staatlich geförderten Genderpraxis in der deutschen Sprache.
- Er thematisiert dabei die Spannungen zwischen Grammatik, Sprachwandel und politischem Symbolgehalt. Der Text reiht sich in die gesellschaftliche Debatte um das Gendern ein und versucht, sowohl sprachliche als auch politische Folgen aufzuzeigen.
- Der Texttyp ist ein Kommentar, was sich in der klaren Positionierung, dem argumentativen Aufbau und wertenden Elementen widerspiegelt.
Hauptteil
Argumentationsgang- Berschin beginnt mit einem positiven Befund: Die deutsche Sprache funktioniere für rund 90 Millionen Muttersprachler unabhängig von sozialen Merkmalen wie „Herkunft“ (Z. 3) „Alter“ (Z. 3)oder „Geschlecht“ (Z. 3). Damit etabliert er die Sprache als funktionierendes Kommunikationsmittel, ohne dass staatliche Eingriffe notwendig seien. Diese Einleitung dient der Vorbereitung seiner Grundthese: „Sprache braucht [...] keinen Staat“ (Z. 9), umgekehrt jedoch funktioniere der Staat nicht ohne Sprache.
- Er überleitet zur Kritik an staatlich verordnetem Sprachgebrauch, der unter dem Deckmantel des Genderns in die Sprachpraxis eingreife (Vgl. Z. 5–6). Leserbriefe werden zitiert, die den staatlichen Einfluss auf Sprache als ideologisch motiviert empfinden (Vgl. Z. 7–8). Diese Einschätzung untermauert Berschin mit einem historischen Autoritätsargument, in dem er sich auf Cäsars Ausspruch bezieht, wonach der Staat nicht über die Grammatik herrschen dürfe (Vgl. Z. 14–16). Damit verleiht er seiner Argumentation mehr Gewicht.
- Im Anschluss erläutert Berschin grundlegende Begriffe: das grammatische Geschlecht (Genus), das biologische Geschlecht (Sexus) sowie das generische Maskulinum (Vgl. Z. 20–31). Er führt aus, dass viele Personenbezeichnungen wie „der Star“ (Z. 23) oder „das Kind“ (Z. 24) grammatikalisch nicht geschlechtsspezifisch seien (Vgl. Z. 22–24) und dass das generische Maskulinum eine übergreifende Funktion erfülle (Vgl. Z. 32–34). Dies ist zentral, um seine Ablehnung des Genderns auf eine sprachsystematische Ebene zu stützen.
- Im weiteren Verlauf greift er die Argumente der Befürworter des Genderns auf, stellt jedoch deren praktische Umsetzung infrage. So weist er etwa auf die Schwierigkeit hin, „richtig“ zu gendern (Vgl. Z. 38–42) und nennt konkrete Probleme bei der Verwendung pronominaler Bezüge und bei der Vermeidung des generischen Maskulinums (Vgl. Z. 43–45). Auch verweist er ironisch auf umfangreiche Genderratgeber (Vgl. Z. 46–48), um die Komplexität und aus seiner Sicht Unsinnigkeit des Genderns zu betonen.
- Berschin bringt im Mittelteil mehrere Belege für die aus seiner Sicht absurde Sprachpraxis, z. B. wenn er den Begriff „Bürger“ (Z. 52) in seinen 50 Wortbildungen nennt, deren Gendersensibilität unterschiedlich umgesetzt wird (Vgl. Z. 52–56).
- Ein weiteres Beispiel liefert er mit dem Koalitionsvertrag von 2021, in dem einerseits korrekt gegenderte Paarformen wie „Anglerinnen und Angler“ verwendet werden, andererseits jedoch Personenbezeichnungen wie „Teilnehmer“ oder „Waldbesitzer“ unreflektiert im generischen Maskulinum belassen werden (Z. 61–68). Dieses Nebeneinander widersprüchlicher Lösungen nutzt er, um die Symbolhaftigkeit des Genderns zu kritisieren (Z. 70–73). Er sieht im selektiven Gendern vor allem ein Zeichen politischer Haltung.
- Anschließend benennt er drei vermeintliche Vorteile des selektiven Genderns gegenüber dem systematischen Gendern: geringe Fehleranfälligkeit, geringere Langeweile beim Publikum und höhere Flexibilität für Autorinnen und Autoren (Vgl. Z. 74–80). Die Genderquote in den Medien führt er als weiteres Faktum an, das die geringe Akzeptanz belege (Vgl. Z. 81–84).
- Im letzten Drittel des Kommentars wird der politische Symbolcharakter des Genderns betont. Es diene aus Sicht seiner Befürworter als Zeichen von Fortschritt, Gleichberechtigung und Weltoffenheit (Vgl. Z. 85–88), werde jedoch von Berschin als Ausdruck ideologischer Gesinnung kritisiert. Er bringt das Beispiel des Gendersterns (Vgl. Z. 103–108), den er als sprachpraktisch kaum umsetzbar und kommunikationstechnisch problematisch beschreibt.
- Auch auf die gesellschaftlichen Auswirkungen geht Berschin ein: Verunsicherung im öffentlichen Sprachgebrauch (Vgl. Z. 115), Zunahme von Genderstellen an Universitäten (Vgl. Z. 120–121) und Kritik daran, dass sich viele Frauen vom generischen Maskulinum nicht angesprochen fühlten (Vgl. Z. 122). Er schließt mit dem Argument, dass Gendern zur Verschleierung sozialer Ungleichheiten führe – etwa bei Rentenunterschieden (Vgl. Z. 125–127) – und dass Gendern in seiner Radikalität an religiöse Bewegungen erinnere (Vgl. Z. 129–133).
- Die Intention Berschins besteht darin, das Gendern als überflüssig, inkonsequent und ideologisch motiviert zu entlarven. Er stellt den Zusammenhang zwischen Sprachgebrauch und politischer Symbolik heraus und hinterfragt die Systematik, Notwendigkeit und Praktikabilität der Genderpraxis (Vgl. Z. 38–42, Z. 85–90, Z. 128–133). Indem er das Gendern als Ausdruck politischer Haltung und nicht als sprachwissenschaftlich fundierten Wandel darstellt, warnt er vor staatlich gesteuerter Sprachlenkung.
- Sein Titel Sehr geehrte Persönlichkeiten! fungiert dabei als ironischer Kommentar zur Problematik der geschlechtergerechten Anrede (Vgl. Z. 113), in der herkömmliche Formeln wie „Meine Damen und Herren“ nicht mehr ausreichen. Damit kritisiert er die zugrundeliegende Haltung als übertrieben und realitätsfern.
Fazit
- In seinem Kommentar Sehr geehrte Persönlichkeiten! plädiert Helmut Berschin eindringlich gegen das staatlich geförderte Gendern und stellt es als ein ideologisch motiviertes, symbolhaftes und sprachlich widersprüchliches Phänomen dar.
- Mit sachlicher Argumentation, pointierten Beispielen und sprachkritischen Reflexionen gelingt es ihm, die Problematik des Genderns sowohl auf sprachsystematischer als auch gesellschaftspolitischer Ebene differenziert darzustellen.
- Seine Kritik zielt weniger auf Gleichstellung als gesellschaftliches Ziel, sondern vielmehr auf die Art und Weise der sprachlichen Umsetzung, die er als ineffizient, willkürlich und potenziell bevormundend empfindet. Damit regt der Text zur Auseinandersetzung mit der Frage an, inwiefern Sprache politisch gesteuert werden darf – oder eben nicht.
Teilaufgabe 2
Einleitung
- Die öffentliche Debatte um gendergerechte Sprache sorgt seit Jahren für Kontroversen und spaltet die Meinungen in Politik, Gesellschaft und Medien.
- In seinem Kommentar Sehr geehrte Persönlichkeiten! bezieht Helmut Berschin hierzu klar Stellung: Er kritisiert den Einfluss des Genderns auf die Sprache und warnt vor einer ideologischen Vereinnahmung.
- Im Folgenden wird seine Position dargestellt und kritisch reflektiert, wobei auch sprachwissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Auswirkungen berücksichtigt werden.
Hauptteil
Zusammenfassung der Autorposition:- Berschin kritisiert in seinem Kommentar die zunehmende Durchsetzung gendergerechter Sprache in öffentlichen und institutionellen Kontexten.
- Dabei sieht er im Gendern keine notwendige sprachliche Weiterentwicklung, sondern vielmehr eine ideologisch geprägte Einflussnahme auf das Sprachsystem.
- Er bemängelt, dass durch das Gendern sprachliche Klarheit, Lesbarkeit und Verständlichkeit beeinträchtigt würden.
- Zudem warnt er vor gesellschaftlicher Spaltung und einer Instrumentalisierung von Sprache zu politischen Zwecken.
- Ein zentraler Kritikpunkt Berschins ist die mangelnde linguistische Konsistenz und Alltagstauglichkeit gegenderter Sprache. Tatsächlich lässt sich aus sprachwissenschaftlicher Perspektive feststellen, dass viele Formen des Genderns – etwa mit Genderstern, Doppelpunkt oder Binnen-I – den grammatikalischen Regeln des Deutschen widersprechen und zu einer erschwerten Lesbarkeit führen können.
- So wird etwa die Aussprache von Formen wie „Lehrer*innen“ oder „Kund:innen“ weder einheitlich praktiziert noch eindeutig kodifiziert, was Missverständnisse begünstigt und Barrierefreiheit beeinträchtigen kann – beispielsweise im Bereich der automatisierten Sprachausgabe für Sehbehinderte.
- Auch die von Berschin kritisierte Ausweitung des Genderns auf formelhafte Begrüßungen oder auf institutionelle Sprache, wie etwa in Behörden, lässt sich als problematisch einordnen. Denn in öffentlichen Kontexten sollte Sprache möglichst klar, verständlich und diskriminierungsfrei, aber eben auch funktional und normgerecht bleiben.
- Wenn beispielsweise in Einladungsschreiben oder Formularen zunehmend gegenderte Formen auftreten, können sich Teile der Bevölkerung ausgeschlossen oder überfordert fühlen – insbesondere Personen ohne akademischen Hintergrund oder mit Deutsch als Zweitsprache.
- Berschins Sorge um eine ideologische Überformung von Sprache ist aus demokratietheoretischer Perspektive nicht unbegründet. Sprache formt unser Denken – das ist ein zentraler Gedanke der Sapir-Whorf-Hypothese – und zugleich ist Sprache ein Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse.
- Wenn Sprachregelungen durch staatliche Stellen empfohlen oder sogar vorgeschrieben werden, wie es Berschin kritisiert, berührt dies sensible Fragen nach Meinungsfreiheit und pluralistischem Diskurs.
- Die Freiheit der Sprache ist ein hohes Gut in demokratischen Gesellschaften, und Eingriffe in den Sprachgebrauch sollten mit Bedacht erfolgen.
- Gleichwohl greift Berschins Argumentation stellenweise zu kurz. Zwar mag gegenderte Sprache nicht alle Probleme der Geschlechterungleichheit lösen, doch sie leistet zumindest einen symbolischen Beitrag zur Sichtbarmachung und Wertschätzung von Menschen, die im generischen Maskulinum sprachlich nicht vorkommen.
- Studien aus der Psycholinguistik – etwa jene von Stahlberg & Sczesny – belegen, dass rein männliche Formen häufig tatsächlich auch nur männlich verstanden werden.
- Die Verwendung von „Lehrer*innen“ oder „Studierende“ kann also durchaus das Bild von Diversität und Gleichwertigkeit fördern.
- Zudem unterschätzt Berschin den normbildenden Wandel, den Sprache kontinuierlich durchläuft. Sprachveränderungen – etwa im Bereich der Höflichkeitsformen, Fremdwörter oder Orthographie – waren stets Teil der Sprachgeschichte.
- Dass eine neue sprachliche Form zunächst als störend oder ungewohnt empfunden wird, ist kein Beweis für ihre generelle Untauglichkeit.
- Wenn sich bestimmte gendergerechte Ausdrucksweisen langfristig durchsetzen, könnte dies zu neuen sprachlichen Konventionen führen, die wiederum zu mehr Gerechtigkeit beitragen.
- Auch seine ironisch-abwertenden Formulierungen wie „Persönlichkeiten“ oder „Kundinnen“ wirken rhetorisch zugespitzt und lassen eine sachliche Auseinandersetzung teilweise vermissen.
- Eine differenzierte Kritik sollte anerkennen, dass es unter den Befürworter*innen des Genderns vielfältige Positionen gibt – von pragmatischer Sprachentwicklung bis hin zu aktivistischem Sprachhandeln.
- Insgesamt ist also festzuhalten, dass gendergerechte Sprache ein berechtigter Bestandteil gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse ist.
- Sie darf nicht isoliert als Symbolmaßnahme betrachtet werden, sondern muss im Kontext umfassender Gleichstellung gesehen werden. Gleichwohl ist es wichtig, Kommunikationsklarheit und Sprachgefühl nicht zu vernachlässigen und auf einen verständlichen sowie respektvollen Sprachgebrauch zu achten.
Schluss
- Helmut Berschin liefert eine provokante und kritisch-reflektierte Position zur Debatte um geschlechtergerechte Sprache.
- Seine Argumente legen den Finger auf reale Reibungspunkte und können Denkanstöße liefern, insbesondere wenn es um die Praktikabilität und Akzeptanz solcher Sprachformen geht.
- Dennoch lässt seine Sichtweise wenig Raum für die positiven Wirkungen des Genderns auf gesellschaftliche Teilhabe und Sichtbarkeit. Eine differenzierte Perspektive, die sowohl sprachliche Klarheit als auch soziale Inklusion berücksichtigt, erscheint zielführender als ein pauschales Urteil über das Gendern als Symbolpolitik.