Aufgabe 1

Farbenblindheit

Bei kompletter Farbenblindheit (Achromatopsie) liegt eine mutationsbedingte Störung der Farbwahrnehmung vor, bei der nur Hell-Dunkel-Kontraste wahrgenommen werden können. Mit Hilfe von gentherapeutischen Maßnahmen könnte eine Achromatopsie zukünftig behandelt werden.

1

Leite aus dem Familienstammbaum die Art des Erbganges bei Achromatopsie ab (M 1).
Ermittle die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kind der Personen 12 und 13 von Achromatopsie betroffen sein wird (M 1).

(8 BE)
2

Ermittle jeweils die Aminosäuresequenzen der Genprodukte, die vom intakten und vom durch Mutation 1 betroffenen Genabschnitt codiert werden (M 2).
Leite die Auswirkung der Mutation 1 auf das Genprodukt ab (M 2).

(6 BE)
3

Erkläre das Grundprinzip der Gelelektrophorese.
Leite aus den Untersuchungsergebnissen der Gelelektrophorese die Genotypen der drei untersuchten Personen ab und ordne jedem dieser drei Individuen eine mögliche Person aus dem Stammbaum zu (M 1, M 2, M 3).

(10 BE)
4

Erläutere eine mögliche Auswirkung einer Spleißstellen-Mutation im CNGB3-Gen auf die Bildung und die Funktion des Genprodukts (M 4).

(4 BE)
5

Begründe, warum Betroffene bereits im Kindesalter mit einer Gentherapie behandelt werden sollten (M 1, M 5).
Stelle den Entscheidungskonflikt beim Einsatz der gentherapeutischen Behandlung der Farbenblindheit mit je zwei Pro- und Contra-Argumenten dar (M 1, M 5).

(12 BE)

Material M 1: Achromatopsie

Man unterscheidet zwei Arten von Lichtsinneszellen: Zapfen und Stäbchen.
Zapfen sind Lichtsinneszellen. Sie ermöglichen das Sehen bei hellem Licht (Tageslichtsehen) und sind für die Wahrnehmung von Farben nötig. Achromatopsie ist eine genetisch bedingte Netzhauterkrankung, bei der die Zapfen komplett funktionsuntüchtig sind. Dadurch leiden Betroffene unter totaler Farbenblindheit. Zapfen sind auch für das scharfe Sehen am Tage nötig. Daher sehen Achromaten nur ein nebliges Weiß/Grau, weshalb die Erkrankung auch Tagblindheit genannt wird. Im Laufe des Lebens betroffener Menschen kommt es zu einem fortschreitenden Verlust an Zapfen und damit verbundener Degeneration der Netzhaut.
Stäbchen sind ebenfalls Lichtsinneszellen, sie ermöglichen das Hell-Dunkel-Sehen. Sie sind die einzigen funktionsfähigen Lichtsinneszellen bei Achromatopsie. Stäbchen ermöglichen bei Normalsichtigen das Dämmerungssehen, denn sie sind lichtempfindlicher als Zapfen. Tagsüber bzw. bei Helligkeit leiden Achromaten dadurch unter einer extremen Blendungsempfindlichkeit. Da Stäbchen nur in geringer Dichte in der Netzhaut angeordnet sind, ist die Sehschärfe betroffener Personen deutlich herabgesetzt. Bei hellem Licht sind ihre Stäbchen überlastet, wodurch die Sehkraft fast völlig zurückgeht.

Stammbaum Achromatopsie
Abb. 1: Stammbaum einer Familie mit Achromatopsie

Material M 2: Mutationen des CNGB3-Gens

Der Funktionsverlust der Zapfen wird mit Mutationen u. a. im CNGB3-Gen in Verbindung gebracht, welches die β-Untereinheit eines Ionenkanals der Zapfen der Netzhaut codiert. Die Funktion dieses Ionenkanals ist der Transport von Kationen in die Zellen. Unter dunklen Bedingungen bleibt der Kanal offen, sodass Kationen einströmen können. Wenn Licht in das Auge eintritt, löst es die Schließung dieses Kanales aus und stoppt den Einstrom von Kationen, was letztendlich ein Signal erzeugt, das vom Gehirn als Sehen interpretiert wird.

Ionenkanal der Zapfen
Abb. 2: Ionenkanal der Zapfen

In dem mehrere Tausende Nukleotide umfassenden CNGB3-Gen treten verschiedene Mutationen auf. In Abbildung 3 werden zwei Mutationen dargestellt. Gezeigt wird ein Ausschnitt aus dem nicht-codogenen Strang dieses Gens. Der nicht-codogene Strang ist der Strang, der nicht transkribiert wird.

Abbildung
Abb. 3: Ausschnitt aus dem nicht-codogenen Strang des CNGB3-Gens und Mutationen des CNGB3-Gens
codesonne biologie
Abb. 4: Codesonne

Material M 3: Gelelektrophorese

Drei Personen wurde jeweils eine Speichelprobe entnommen und daraus DNA isoliert. Ein Teilstück des CNGB3-Gens, das die Position der Mutation 2 einschließt, wurde mithilfe der PCR-Technik vervielfältigt.

Anschließend erfolgte die Untersuchung der Proben mittels einer Gelelektrophorese. Eine dieser Personen weist eine erbliche Farbenblindheit basierend auf der Mutation 2 (vgl. M 2) auf, die anderen beiden sind phänotypisch gesund. Das Ergebnis der Gelelektrophorese ist in Abbildung 5 dargestellt.

Gelelektrophorese
Abb. 5: Gelelektrophoretische Auftrennung von CNGB3-Gen-Proben

Material M 4: Spleißen

Gene der Eukaryoten bestehen aus codierenden Bereichen (Exons) und nicht-codierenden Abschnitten (Introns). Durch Transkription entsteht zunächst eine prä-mRNA, die noch im Zellkern einen Reifungsprozess durchläuft. Ein Teilprozess dieser Reifung ist das Spleißen. Als Ergebnis dieses Prozesses werden die nicht-codierenden Basensequenzen aus der prä-mRNA entfernt. Spleißosomen katalysieren diesen Prozess basengenau. Introns enthalten dafür spezielle Erkennungssequenzen, die der korrekten Erkennung von Exon-Intron-Grenzen dienen. Abbildung 6 zeigt diesen Reifungsschritt modellhaft. Im CNGB3-Gen konnten im Bereich der Spleißstellen (Schnittstelle) ebenfalls Mutationen, sogenannte Spleißstellen-Mutationen, identifiziert werden.

DNA-Prozessierung
Abb. 6: Modell des Spleißens

Material M 5: Gentherapie bei Achromatopsie

Die Behandlung der Ursache von Achromatopsie war bislang nicht möglich. Menschen mit Achromatopsie müssen lebenslang Hilfsmittel nutzen, um sich im Alltag zu orientieren oder die Lebensqualität zu verbessern. Beispiele für Hilfsmittel sind Lupen, spezielle Brillen oder Smartphones zum Diktieren oder Vorlesen. Der Alltag betroffener Personen bleibt jedoch stark eingeschränkt. Viele alltägliche Tätigkeiten wie Fahrrad- und Autofahren sind erschwert oder nicht möglich, die Berufswahl ist begrenzt.
Eine neue Behandlungsperspektive soll in Zukunft eine Gentherapie bieten. Bei dieser Gentherapie wird eine intakte Version des Gens mittels harmloser Viren in die Netzhaut der Betroffenen geschleust. Ziel ist es, dass die Netzhautzellen über das eingeschleuste Gen das entsprechend intakte Kanalprotein bilden, welches die Funktion der defekten Zapfen wiederherstellen soll. In einer ersten Studie an der Universitätsaugenklinik Tübingen wurden Achromatopsie-Patienten im Alter von 24 bis 59 Jahren behandelt. Die Probanden hatten in der Folge keine wirkstoffbezogenen Gesundheitsprobleme. Es gab leichte Verbesserungen sowohl bei der Sehschärfe als auch beim Kontrast- und Farbensehen.
Die behandelten Patienten waren im Erwachsenenalter und wiesen daher eine bereits mehr oder minder stark vorgeschädigte Netzhaut auf. „Außerdem verlieren die das Sehen verarbeitenden Anteile des Gehirns im Erwachsenenalter zunehmend an Plastizität“, wie der Direktor des Forschungsinstituts für Augenheilkunde betont. „Da das Gehirn von Achromatopsie-Betroffenen nie gelernt hat, Farbsehen zu verarbeiten, ist diese Plastizität eine notwendige Voraussetzung dafür, die neugewonnene Farbsehfähigkeit der Netzhaut in einen echten Seheindruck umzusetzen.“ Gentherapien sind teuer. Die Kosten für ein solches gentherapeutisches Produkt bei Augenkrankheiten liegen laut Lili Grell (Leiterin Expertengruppe „Arzneimittelversorgung“) pro Patientin oder Patient bei circa 900.000 Euro.

Bei einem Entscheidungskonflikt werden Pro- und Contra-Argumente gesammelt. Jedes Argument umfasst dabei drei Teile:

  • Es enthält eine normative Aussage bzw. Werteaussage. Das ist eine Aussage, die sich auf einen Wert oder ein Bewertungskriterium bezieht (z. B. „Artenvielfalt soll erhalten und gefördert werden.“; zugrundeliegender Wert: „Artenvielfalt“).
  • Die Werteaussage wird mit einer deskriptiven Aussage bzw. Sachinformation verknüpft (z. B. „Laub-Mischwälder sind deutlich artenreicher als Fichtenwälder.“).
  • Aus dieser Verknüpfung ergibt sich dann eine Schlussfolgerung: entweder „pro“, weil der Wert erfüllt wird, oder „contra“, weil er verletzt wird.
Folgende Werte und Bewertungskriterien werden beim Argumentieren häufig verwendet:
Kriterien

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