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Inhaltsverzeichnis

Thema 3

Interpretation eines literarischen Textes

Thema:
Annette von Droste-Hülshoff (* 1797 - † 1848): Berta (Fragment, 1813–1815)
Aufgabenstellung:
  • Interpretiere den Textauszug aus dem Drama Berta von Annette von Droste-Hülshoff unter besonderer Berücksichtigung des Gesprächsverhaltens.
Anmerkung:
Ort der Handlung ist ein Zimmer im Anwesen des Reichsgrafen. Berta, die sich in einen umherziehenden Künstler verliebt hat, zieht sich aus einem Kreis junger Mädchen zurück, die sich mit Handarbeiten beschäftigen.
Material
Berta
Annette von Droste-Hülshoff
Erster Aufzug, fünfte Szene
BERTA allein, hernach die REICHSGRÄFIN, Berta, die sich anfangs bereitet hat mitzugehn, bleibt zurück.
[...]
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REICHSGRÄFIN kommt zurück, sie bleibt einige Augenblicke stehn und betrachtet Berta.
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REICHSGRÄFIN für sich: Schaut ein Bild des Todes nicht
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Dies junge Leben? Unglückselig Kind,
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Ich sehe deines Geistes innre Tiefen,
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Seh, was vielleicht dem eignen Blick noch nicht
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Sie klar entfaltet, und es zittert bang
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Für deine Ruh' die Mutter! Ach! Und kann
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Die schwache Weiberhand vorüber nicht
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Das Wetter führen, was dir nahend droht?
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BERTA für sich: Das ist es! Das nur einzig.
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REICHSGRÄFIN: Und was ist
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Es denn?
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BERTA fährt erschrocken auf und sieht sich um:
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Seid Ihr es, Mutter?
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REICHSGRÄFIN: Und was ist
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Es einzig nur?
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BERTA: O, gar nichts, liebe Mutter;
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Nur, daß nicht wohl mir ist.
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REICHSGRÄFIN: Sag, warum gingst
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Du nicht hinaus, zu sehn das schöne Roß
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Des Bruders? Ist nichts wert dir seine Freude?
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BERTA: Ach nein, gewißlich nicht, doch glaubt es mir,
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Mir ist nicht wohl! Fühlt, wie die Stirn mich brennt.
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REICHSGRÄFIN für sich:
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Und auch das Herz und auch die ganze Seele!
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Laut. Das kommt vom vielen Sitzen! In die Luft
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Hinaus, und dann gehüpft durch Wies und Tal,
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Das gibt dir leichtes Blut und frohen Sinn!
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Doch so allein in deiner Kammer, nur
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Von Bildern deiner wilden Phantasie
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Umschwebt und denen, die du etwa dir
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Gesogen aus den düsteren Legenden
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Der alten Fabelzeiten, sieh, das zieht
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Hinweg dich aus des Lebens stillem Kreise,
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In wilder Schwärmerei dem trunknen Geist
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Nur Bilder malend einer fremden Welt,
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Der alle Reize schauerlicher Größe
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Und holder Anmut deine Phantasie
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Verschönernd leiht, doch ihrer Mängel Blöße,
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Die schaut in schönem Wahn das Auge nie.
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O wohl dir, könnte dieser süße Traum
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Begleiten durch des Lebens Mühen dich;
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Doch kalt und schaurig wird die Wirklichkeit
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Ihn einst verscheuchen.
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BERTA: O, so laßt mir ihn,
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Bis ihn das ernste Leben einst zerstört.
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Warum die kurzen Stunden meines Glücks
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Mir rauben? Wer dem finstern Leben sich
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Gesellt, der schafft wohl manches in der Welt,
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Doch süße Ruhe im zufriednen Geist
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Die schafft er nicht; denn ruhlos ist das Leben.
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Doch wer, des Glückes Liebling, sich vermählt
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Der Dichtung hellem Flor, der schauet fern
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Und dunkel nur der Menschheit Kummer,
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Mit gold'gem Glanze schmückt sich ihm die Lust
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Des Daseins. Feurig. Und was wär' die Welt, wenn nicht
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Der Odem der Begeistrung sie durchwehte?
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Was Großes, Schönes nur das Erdrund hält,
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Geht aus von ihr, ist der Begeistrung Kind.
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Sie hob der Freiheit heiliges Panier,
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Ließ nicht des Gegners stolze Macht sich blenden,
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Und was der Musen seliges Revier
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Uns beut, das ist ein Werk aus ihren Händen.
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Der kalte Marmor, das verworrne Reich
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Der Töne lebt, berührt von ihrem Hauch,
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Und gießt den süßen Tod der Sehnsucht in
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Das wunde, treue Herz.
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REICHSGRÄFIN: Wohl beut sie uns
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Der süßen Freuden viel, die Phantasie,
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Und ihre Tochter, die Begeistrung; doch
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Zu der verzehrend wilden Flamme, die
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Am innern Mark des Lebens zehret, wächst
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Die sanfte Neigung, die das Herz belebt,
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Wenn nicht ein starker Geist sie treu bewacht,
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In ernste Schranken zwängend ihre Macht.
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Sie wirkt verschönernd in des Mannes Hand,
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Und wirkend bringt das Große sie hervor;
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Denn sieh, nicht zu vergleichen ist der Sinn
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Des zarten Weibes mit des Mannes Geist,
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Der, zwiefach in sich selbst geteilt, so auch
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Im Lauf der Dinge herrschend zwiefach wirkt.
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Ein innrer Drang treibt mächtig ihn und heiß
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Zu großen Taten, zu der Helden Preis,
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Wie zu des Bildes Glanz, des Liedes Kraft,
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Indes ein ernster Genius ihn stark
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Zurückreißt, droht dem Schwindelnden Gefahr,
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Und eisig einschließt seine Flammenglut.
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So siehst du oft ihn feurig, hoch entflammt
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Ob edlen Taten und des Sängers Lied,
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Daß mühsam nur dein Geist dem Schwärmer folgt;
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Doch plötzlich weilt er in der Rede Strom,
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Ruft zum Geschäft das ernste Leben ihn,
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Und kalt, als hätt' er Höhres nie gedacht,
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Verliert er in der Erde Sorgen dann
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Sich ängstlich, treibend des Geschäftes Gang,
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Und achtet ferner nicht des Worts, was groß
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Nur eben seinem Blick erschien, indes
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Vom bloßen Nachhall seiner Kraft du glühst.
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BERTA: O Mutter, Eure Farben sind zu stark;
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Denn wären so die Männer all, es stürb'
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Die Liebe aus auf dieser Welt.
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REICHSGRÄFIN: So sind
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Sie alle fast, und also muß es sein;
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Denn dieses ist es, was die Staaten hält
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Und was gewebt der Ordnung heil'ges Band
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Und der Gesetze Weisheit; dies nur hob
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Der Freiheit helle Fahnen, nicht die Glut
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Des Schwärmers taugt, zu führen solch ein Werk.
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Vernahmst du, was dein edler Oheim sprach?
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Nicht aus des Schwärmers gärendem Gehirn
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Und seiner wilden Glut gestalte sich
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Das Große, Schöne; doch wo tätig wirkt
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Mit festem Sinn und hohem Geist ein Mann,
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Da keime unter seiner Hand das Glück
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Der Menschheit, und des Ruhmes eitler Dunst
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Entsteige jenem –
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BERTA schmerzlich: O des weisen Mannes,
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Der also ordnet seines Lebens Gang!
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Wie steht er doch so traurig, einsam da!
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Ein hoher Stamm, beschattend rings das Land,
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In seinen Ästen freut das Vöglein sich,
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Und unter ihm entsprießt der Blumen Volk,
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Doch kein Gesträuch, kein Bäumlein schaut er rings,
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Er ist allein!
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REICHSGRÄFIN: So hebt das stolze Haupt
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Ein mächt'ger Herrscher, doch vergleichbar nicht
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Ist es der ruhigen Vasallen Sinn.
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Vergleiche sie der schattenden Allee,
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Wo wohlgeordnet prangt der Bäume Heer,
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Also daß jeder einen Nachbar schaut,
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Verbunden durch des gleichen Wirkens Band.
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BERTA bitter: Und keiner doch den nachbarlichen Ast
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Berührt; so hat die Vorsicht sie gestellt,
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Daß stets ein Raum sie trenne, fern nur sich
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Die äußern Spitzen winken; naht vertraut
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Ein Ast dem andern, schnell mit ems'ger Hand
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Wird dann gekürzt der edle Sproß, daß nicht
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Der Ordnung Band zerreiße. O, sie sind
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Nicht alle so, die Männer! Nein, gewiß,
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Nicht alle. Mancher faßt in voller Brust
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Sie noch, die heil'gen Freuden der Natur,
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Und gibt mit ganzer Seele sich der Lust,
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Die aus dem Schönen ihm entsprießt. Nicht wahr,
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Es gibt noch deren, Mutter? Saget ja,
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Ich bitt' Euch, sonst - ich kann nicht anders - muß
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Ich dies Geschlecht verachten.
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REICHSGRÄFIN unwillig: Töricht Kind,
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Wohl gibt's, bestrahlt von feindlichem Gestirn,
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Der Unglückssöhne, denen Weibersinn
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Gab die Natur und das Geschlecht versagt,
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Der unstet wankend in des Schicksals Hauch
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Nicht der Empfindung raschen Strom besiegt,
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Daß hin er reißt die schwache Beute, sie
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Zerschellt am nächsten Felsen.
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BERTA: Also nie
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Verbände ein empfindend zart Gemüt
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Mit stolzer Kraft sich in des Mannes Brust?
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O Mutter, Ihr seid ungerecht! Wohl sah
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Ich selbst im kurzen Lebenslaufe schon
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Der Männer manche, denen weibisch nie
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Das Herz genannt ein Mund und nie die Tat;
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Und doch so glühend, doch so weich dies Herz,
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Dem Leben jedes zarteren Gefühls
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So innig schwärmerisch sich gebend hin,
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Der Regung, der es seine Glut geweiht,
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So ganz versenkend sich mit Geist und Sinn
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In jedem Schönen, was sich dar ihm beut,
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Daß nimmer ob den wechselnden Gestalten
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Des Lebens es im Busen mag erkalten.
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REICHSGRÄFIN die sie während dieser Rede scharf betrachtet
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hat, für sich: Wie ganz verloren in dem teuren Bild
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Schwärmt sie im Feuer süßer Raserei;
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Wo sie dem Edlen nur zu huld'gen glaubt,
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Beugt sie sich glühend vor dem teuren Bilde,
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Und bebend zeigt die fieberhafte Hand
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Auf ihre Wunden. Armes Kind! und o,
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Unselig Weib, die dich gebar!
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[...]

Aus: Neumann, Ursula (Hg.): Annette von Droste-Hülshoff. Berta. Ledwina., Frankfurt/M.: Ulstein 1991, S. 53-58.
Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen der Textquelle.

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