Lerninhalte in Deutsch

Thema 4

Interpretation literarischer Texte

Thema:
Umbrüche in der deutschsprachigen Literatur um 1900
Arno Holz (* 1863 - † 1929): [Die Nacht verrinnt, der Morgen dämmert] (1886)

Aufgabenstellung:

  • Interpretiere das vorliegende Gedicht von Arno Holz. Beziehe dabei deine Kenntnisse zur Literatur um 1900 ein.
1
Die Nacht verrinnt, der Morgen dämmert,
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Vom Hof her poltert die Fabrik
3
Und walkt und stampft und pocht und hämmert,
4
Ein hirnzermarterndes Gequik!
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Die Nacht verrinnt, der Traumgott ruht nun,
6
Die Welt geht wieder ihren Lauf,
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Zum Himmel spritzt der Tag sein Blut nun,
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Die Nacht verrinnt und seufzend thut nun
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Das Elend seine Augen auf!
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Die Schläfen zittern mir und zucken,
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Denk ich, o Volk, an deine Noth,
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Wie du dich winden mußt und ducken,
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Dich ducken um ein Stückchen Brod!
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Du wälzst verthiert dich in der Gosse
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Und baust dir selbst dein Blutgerüst,
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Indeß in goldener Karosse
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Vor seinem sandsteingelben Schlosse
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Der Dandy seine Dirne küßt!
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Die Ritter von der engen Taille,
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Das sind die schlimmsten aus dem Chor,
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Sie schimpfen hündisch dich „Kanaille“!
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Und haun dich schamlos übers Ohr.
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Was kümmert sie’s, wenn Millionen
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Verreckt sind hinterm Hungerzaun?
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Noch giebtʼs ja lachende Dublonen,
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Kasernen, Kirchen und Kanonen
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Und …. köstlich mundet ein Kapaun!
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O, sprich, wie lang noch soll es dauern,
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Das alte Reich der Barbarei!
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Noch stützen tausend dunkle Mauern
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Die feste Burg der Tyrannei.
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Doch ach, dein Herz ward zur Ruine,
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Du lächelst nur und nickst dazu!
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Denn auch der Mensch wird zur Maschine,
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Wenn er mit hungerbleicher Miene
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Das alte Tretrad schwingt wie du!


Aus: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich: Verlags-Magazin 1886, S. 398 f.

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