Lerninhalte in Deutsch
Abi-Aufgaben LK
Lektürehilfen
Lektüren
Basiswissen

HT 1

Literarische Texterörterung

Thema:
Friedrich Schiller: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?
Aufgabenstellung:
  • Analysiere den vorliegenden Auszug aus Friedrich Schillers Schrift Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? im Hinblick auf die darin entfalteten theatertheoretischen Überlegungen. Erschließe dabei die wesentlichen Aussagen des Textes in ihrer gedanklichen Entfaltung. Gehe auch auf die Metaphorik und die sprachlich-stilistische Gestaltung des Textes ein.
  • (39 Punkte)
  • In Schillers Schrift heißt es:
    „[...] so empfängt uns die Bühne – in dieser künstlichen Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wiedergegeben [...]“ (Z. 34 f.)
    Setze diese Aussage von Friedrich Schiller in Beziehung zu G. E. Lessings Drama Nathan der Weise , indem du prüfst, inwieweit Lessings Drama bereits den später formulierten Vorstellungen von Schiller entspricht. Berücksichtige dabei die Gestaltung der Dramenhandlung, die Anlage der Figur „Nathan“ und die intendierte Wirkung des Dramas auf die Zuschauerinnen und Zuschauer.
  • (33 Punkte)
Material
Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?
(Textauszug) (Rede 1784, veröffentlicht 1785)
Friedrich Schiller
1
[...] Menschlichkeit und Duldung fangen an, der herrschende Geist unsrer Zeit zu werden;
2
ihre Strahlen sind bis in die Gerichtssäle und noch weiter – in das Herz unsrer Fürsten gedrun-
3
gen. Wieviel Anteil an diesem göttlichen Werk gehört unsern Bühnen? Sind sie es nicht, die
4
den Menschen mit dem Menschen bekannt machten und das geheime Räderwerk aufdeckten,
5
nach welchem er handelt?
6
Eine merkwürdige Klasse von Menschen hat Ursache, dankbarer als alle übrigen gegen
7
die Bühne zu sein. Hier nur hören die Großen der Welt, was sie nie oder selten hören – Wahr-
8
heit; was sie nie oder selten sehen, sehen sie hier – den Menschen. [...]
9
Die Schaubühne ist der gemeinschaftliche Kanal, in welchen von dem denkenden bessern
10
Teile des Volks das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in milderen Strahlen
11
durch den ganzen Staat sich verbreitet. Richtigere Begriffe, geläuterte Grundsätze, reinere
12
Gefühle fließen von hier durch alle Adern des Volks; der Nebel der Barbarei, des finstern
13
Aberglaubens verschwindet, die Nacht weicht dem siegenden Licht. [...] Wie allgemein ist
14
nur seit wenigen Jahren die Duldung der Religionen und Sekten geworden? – Noch ehe uns
15
Nathan der Jude und Saladin der Sarazene beschämten und die göttliche Lehre uns predigten,
16
daß Ergebenheit in Gott von unserm Wähnen über Gott so gar nicht abhängig sei – ehe noch
17
Joseph der Zweite die fürchterliche Hyder des frommen Hasses bekämpfte, pflanzte die
18
Schaubühne Menschlichkeit und Sanftmut in unser Herz, die abscheulichen Gemälde heid-
19
nischer Pfaffenwut lehrten uns Religionshaß vermeiden [...]. [...]
20
Die menschliche Natur erträgt es nicht, ununterbrochen und ewig auf der Folter der Ge-
21
schäfte zu liegen, die Reize der Sinne sterben mit ihrer Befriedigung. Der Mensch, überla-
22
den von tierischem Genuß, der langen Anstrengung müde, vom ewigen Triebe nach Tätig-
23
keit gequält, dürstet nach bessern, auserlesnern Vergnügungen, oder stürzt zügellos in wilde
24
Zerstreuungen, die seinen Hinfall beschleunigen und die Ruhe der Gesellschaft zerstören.
25
Bacchantische Freuden, verderbliches Spiel, tausend Rasereien, die der Müßiggang ausheckt,
26
sind unvermeidlich, wenn der Gesetzgeber diesen Hang des Volks nicht zu lenken weiß. Der
27
Mann von Geschäften ist in Gefahr, ein Leben, das er dem Staat so großmütig hinopferte, mit
28
dem unseligen Spleen abzubüßen – der Gelehrte, zum dumpfen Pedanten herabzusinken –
29
der Pöbel zum Tier. Die Schaubühne ist die Stiftung, wo sich Vergnügen mit Unterricht, Ruhe
30
mit Anstrengung, Kurzweil mit Bildung gattet, wo keine Kraft der Seele zum Nachteil der
31
andern gespannt, kein Vergnügen auf Unkosten des Ganzen genossen wird. Wenn Gram an
32
dem Herzen nagt, wenn trübe Laune unsre einsame Stunden vergiftet, wenn uns Welt und
33
Geschäfte anekeln, wenn tausend Lasten unsre Seele drücken und unsre Reizbarkeit unter
34
Arbeiten des Berufs zu ersticken droht, so empfängt uns die Bühne – in dieser künstlichen
35
Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wiedergegeben, unsre Empfin-
36
dung erwacht, heilsame Leidenschaften erschüttern unsre schlummernde Natur und treiben das
37
Blut in frischeren Wallungen. [...]

Aus: Friedrich Schiller: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?
In: Ders.: Sämtliche Werke. Fünfter Band. Erzählungen / Theoretische Schriften. Hrsg. von Gerhard Fricke und
Herbert G. Göpfert. 8., durchgesehene Auflage. München: Hanser 1989, S. 828 ff.

Weiter lernen mit SchulLV-PLUS!

monatlich kündbarSchulLV-PLUS-Vorteile im ÜberblickDu hast bereits einen Account?