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Agatoxine - Die Gifte der Trichternetzspinne
Die giftige Trichternetzspinne Agelenopsis aperta kommt hauptsächlich in trockenen Regionen der Vereinigten Staaten und im Norden Mexikos vor. Sie baut trichterförmige Netze und wartet dort auf ihre Beute. Die Zusammensetzung und neurophysiologische Wirkung ihrer Giftmischung ist umfassend, auch im Hinblick auf evolutionsbiologische Aspekte, untersucht worden.Stelle die Erregungsübertragung an der neuromuskulären Synapse von Insekten ausgehend von einem ankommenden Aktionspotenzial in einem Fließschema dar (M 1).
Fasse die in Abbildung 2 dargestellten Messergebnisse zusammen (M 2).
Erkläre die Messergebnisse auf neurophysiologischer Ebene (M 2).
Erläutere jeweils die lähmende Wirkung der beiden einzeln injizierten Gifte auf die Stubenfliege (M 2).
Analysiere M 3 im Hinblick auf die reproduktive Fitness bei Agelenopsis aperta.
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monatlich kündbarSchulLV-PLUS-Vorteile im ÜberblickDu hast bereits einen Account?M 1 Die neuromuskuläre Synapse bei Insekten
Die Skelettmuskeln von Insekten werden durch Motoneuronen angesteuert. Über verschiedene Typen von neuromuskulären Synapsen wird die ankommende Erregung an die Muskeln übertragen. Bei einem Synapsen-Typ wird Glutamat als Neurotransmitter verwendet (Abb. 1). Der Glutamat-gesteuerte Kationenkanal in der postsynaptischen Membran ist unter anderem durchlässig für Natriumionen.
M 2 Neurophysiologische Wirkung von Agatoxinen
Die Trichternetzspinne Agelenopsis aperta jagt Insekten und andere Spinnen. Durch einen Biss injiziert sie der Beute eine Giftmischung und die Beute wird dadurch gelähmt. Eine Lähmung kann durch das Fehlen von Muskelkontraktionen oder durch eine dauerhafte, krampfartige Kontraktion der Muskeln verursacht werden. Die Giftmischung enthält unterschiedliche Gifte, die alle als Agatoxine bezeichnet werden. Dazu gehört α-Agatoxin, das auf die Glutamat-gesteuerten Kationenkanäle in der postsynaptischen Membran von neuromuskulären Synapsen wirkt. µ-Agatoxin wirkt hingegen auf spannungsgesteuerte Natriumionen-Kanäle im Axon des Motoneurons (siehe M 1, Abb. 1). Der Wirkmechanismus beider Gifte wurde an den Muskeln von Stubenfliegen (Musca domestica) untersucht. Dazu wurde zum einen α-Agatoxin zu einem Motoneuron gegeben und dieses kurz gereizt. Anschließend wurde das Potenzial an der postsynaptischen Membran gemessen (Abb. 2A). Zum anderen wurde µ-Agatoxin zu einem Motoneuron gegeben und ohne Reizung das resultierende Membranpotenzial am Axon des Motoneurons gemessen (Abb. 2B).

M 3 Wirkung der Giftmischung auf Beutetiere
Die Giftmischung von A. aperta besteht aus verschiedenen Giften, die zu unterschiedlichen Stoffklassen gehören. Die Gifte werden jeweils über unterschiedliche, mehrschrittige und energetisch aufwändige Biosynthesewege in den Giftdrüsen produziert. Die Giftmischung wird gespeichert und mit dem Biss in das Beutetier eingebracht, wodurch dieses rasch und lang anhaltend gelähmt wird. Zur Untersuchung der Wirkung verschiedener Agatoxine auf Beutetiere wurden die Gifte einzeln oder gemeinsam in erwachsene Stubenfliegen injiziert. Anschließend wurde die Intensität der Lähmung jeweils über mehrere Stunden erfasst (Abb. 3).
Ab der 5. Stunde liegt eine andere Skalierung der Zeitintervalle vor.
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In Abbildung 2A wird das postsynaptische Membranpotenzial an einer neuromuskulären Synapse gemessen. Ohne Gift zeigt sich eine deutliche Depolarisation, die für eine erfolgreiche Signalübertragung charakteristisch ist. Mit Zugabe von α-Agatoxin bleibt die Depolarisation nicht vollständig aus, sondern ist deutlich abgeschwächt und kann unterschwellig bleiben. Das Gift blockiert Calciumkanäle in der Präsynapse, wodurch weniger Neurotransmitter (z. B. Glutamat) ausgeschüttet werden. Dadurch öffnen sich weniger ligandengesteuerte Kationenkanäle an der postsynaptischen Membran, was die Depolarisation schwächt. Neurophysiologisch bedeutet dies, dass die Erregungsübertragung an der Kontaktstelle zwischen Nerv und Muskel vermindert wird und keine effektive Muskelantwort entsteht.
In Abbildung 2B wurde das Membranpotenzial am Axon des Motoneurons untersucht. Ohne Gift entstehen regelmäßige Aktionspotenziale als Antwort auf die Reizung. Nach Zugabe von μ-Agatoxin kommt es hingegen zu einer Dauererregung: Das Gift verändert spannungsabhängige Natriumkanäle, wodurch es zu einem anhaltenden Na+-Einstrom kommt. Das führt dazu, dass die Präsynapse mit vielen Aktionspotenzialen überflutet wird, was eine Dauererregung und schließlich eine Verkrampfung der Muskulatur auslöst. Zusammenfassend schwächt α-Agatoxin die Erregungsleitung durch reduzierte Transmitterfreisetzung, während μ-Agatoxin eine Dauererregung durch veränderten Na⁺-Einstrom hervorruft. Beide Wirkungen führen zu einer Lähmung der Stubenfliegen.Das Gift α-Agatoxin blockiert präsynaptische Calciumkanäle, wodurch weniger Neurotransmitter freigesetzt werden. Das führt dazu, dass die Depolarisation der Muskelfaser nicht vollständig ausbleibt, aber deutlich abgeschwächt und häufig unterschwellig bleibt. Die Muskelzelle kann dadurch keine effektive Antwort mehr generieren, obwohl die präsynaptische Erregung weiterhin erfolgt. μ-Agatoxin wirkt am Axon des Motoneurons, indem es spannungsabhängige Natriumkanäle verändert. Dies bewirkt einen anhaltenden Natriumeinstrom, was eine Serie überschießender Aktionspotenziale und somit eine Dauererregung der Präsynapse hervorruft. In der Folge wird die Muskulatur kontinuierlich kontrahiert und verkrampft. Beide Gifte greifen also an unterschiedlichen Stellen an, führen jedoch zum gleichen Endergebnis: die Muskulatur wird funktionsunfähig und die Fliege gelähmt.
Die kombinierte Gabe der Gifte führt zu einer viel stärkeren Lähmungswirkung als die Einzelgifte. Während α-Agatoxin alleine eine schnelle, unmittelbare Immobilisierung der Beute bewirkt, klingt dieser Effekt nach kurzer Zeit wieder ab. μ-Agatoxin hingegen setzt langsamer ein, verursacht aber eine anhaltende Lähmung durch einen Krampfzustand der Muskulatur. Bei alleiniger Injektion eines der beiden Gifte ist daher entweder eine Verzögerung erkennbar oder die Lähmung hält nicht dauerhaft an. In Kombination ergänzen sich die Wirkungen optimal: Das Beutetier wird zuerst rasch bewegungsunfähig gemacht und anschließend durch die langanhaltende Krampfwirkung vollständig gelähmt. Abbildung 3 zeigt, dass die Lähmung durch das Giftgemisch bereits nach kurzer Zeit nahezu 100 % erreicht und über Stunden anhält. Diese schnelle und gleichzeitig dauerhafte Wirkung verhindert zuverlässig, dass die Beute entkommen oder sich verteidigen kann, wodurch gleichzeitig das Verletzungsrisiko für die Spinne reduziert wird. Für Agelenopsis aperta bedeutet dies eine deutlich höhere Jagdeffizienz und eine sichere Nahrungsversorgung. Da die Beute zuverlässig überwältigt und verwertet werden kann, hat die Spinne einen klaren Selektionsvorteil. Dies steigert direkt die reproduktive Fitness, da mehr Energie für die Produktion und Versorgung von Nachkommen zur Verfügung steht.