V2: Saxitoxin
Dinoflagellaten sind vorrangig marine Einzeller, die einen Großteil des Phytoplanktons bilden. Der Dinoflagellat Alexandrium tamarense ist weit verbreitet und produziert das Nervengift Saxitoxin, welches zu Muskellähmungen (Paralysen) führt. Bei Menschen wirken bereits kleinste Dosen tödlich. Jedes Jahr kommt es zu Todesfällen aufgrund von Lebensmittelvergiftungen mit Saxitoxin, die auf den Verzehr von belasteten Muscheln und Krabben zurückzuführen sind. Davon leitet sich der medizinische Begriff „paralytic shellfish poisoning“ (PSP) ab.
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Im Rahmen von Algenblüten kommt es an der Ostküste des nordamerikanischen Kontinents in einigen Regionen zu regelmäßigen Massenvermehrungen von A. tamarense. Dies wirkt sich auch auf deren Konsumenten aus, zu denen unter anderem die Sandklaffmuschel (Mya arenaria) zählt. Unter den Sandklaffmuscheln gibt es saxitoxinsensitive und saxitoxinresistente Individuen.
Begründe die unterschiedlichen Auswirkungen von Saxitoxin auf zellulärer Ebene bei resistenten bzw. sensitiven Sandklaffmuscheln unter Verwendung des Materials 1.
Begründe die unterschiedlichen Auswirkungen von Saxitoxin auf zellulärer Ebene bei resistenten bzw. sensitiven Sandklaffmuscheln unter Verwendung des Materials 1.
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In einer Untersuchung wurden die Genotypen zweier an der Ostküste des nordamerikanischen Kontinents beheimateten Sandklaffmuschel-Populationen bestimmt. Die erste Population stammte aus der Region Lawrencetown Estuary (LE), die zweite aus der Bay of Fundy (BF).
Erkläre die unterschiedliche genotypische Zusammensetzung der Sandklaffmuschel-Populationen auf der Grundlage der synthetischen Evolutionstheorie mithilfe der Materialien 1 und 2.
Erkläre die unterschiedliche genotypische Zusammensetzung der Sandklaffmuschel-Populationen auf der Grundlage der synthetischen Evolutionstheorie mithilfe der Materialien 1 und 2.
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A – Wirkung von Saxitoxin an spannungsabhängigen Natriumionen-Kanälen des Axons

Nach: https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1603486113 (12.10.2022)
B – Aminosäuresequenzen spannungsabhängiger Natriumionen-Kanäle (Ausschnitt)
Spannungsabhängige Natriumionen-Kanäle bestehen aus zwei Untereinheiten. Die strukturgebendeC – Wirkung von Saxitoxin auf die Ausbildung des Aktionspotenzials bei Sandklaffmuscheln

Nach: ebenda.
Material 2 zur Aufgabe 2:
A – Genotypische Zusammensetzung von Sandklaffmuschel-Populationen

Nach: https://www.semanticscholar.org/paper/Biogeography-of-resistance-to-paralytic-shellfishPhillips-Bricelj/4eda37836cd2b27c6cc9bbeed7e22c016db3186c/figure/4 (12.10.2022)
B – Einfluss von Saxitoxin auf zwei Sandklaffmuschel-Populationen
Sandklaffmuscheln leben im sandigen Meeresboden und graben sich 30 cm oder tiefer in diesen ein. Dazu nutzen sie ihren Muschelfuß, der als Graborgan fungiert und über Fußrückziehmuskeln beweglich ist.Im Experiment 1 wurden LE- und BF-Individuen aus ihrer natürlichen Umgebung entfernt und 24 Stunden in ein Aquarium mit A. tamarense bzw. der ungiftigen Alge Isochrysis galbana gesetzt. Anschließend wurde das Verhalten bezüglich des Eingrabens beobachtet.
Im Experiment 2 wurden LE- und BF-Individuen 16 Tage in einem Aquarium mit A. tamarense gehalten.

Nach: https://www.soundtoxins.org/workspace/uploads/
Briceljetal2005.pdf (12.10.2022)
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Auswirkungen von Saxitoxin
Saxitoxin besetzt bei sensitiven Sandklaffmuschenln spannungsabhängige Natriumionen-Kanäle des Axons. Natriumionen-Kanäle sind für das Ausbilden eines Aktionspotenzials essenziell. Wird die Permeabilität der Axonmembran kurzzeitig für Natriumionen erhöht (öffen also die Natrium-Ionenkanäle), kommt es zur Depolarisation des Axoninneren. Bei Überschreiten des Schwellenwertes wird daraufhin ein Aktionspotenzial gebildet. Sind die Kanäle durch das Toxin blockiert, kann keine Depolarisation am Axon stattfinden, und Aktionspotenziale können nicht ausgelöst werden. Die Folge können Lähmungserscheinungen sein, die den Tod des Organismus hervorrufen können. Bei resistenten Sandklaffmuscheln sind die Natriumionen-Kanäle leicht in ihrer Konformation verändert, sodass Saxitoxin den Kanal nicht vollständig blockiert. Der Grund für die abweichende Konformation bei resistenten Muscheln ist eine Mutation in Domäne 2 der strukturgebenden Untereinheit der Natriumionen-Kanäle. Die Aminosäure Glutaminsäure wurde mutationsbedingt durch Asparaginsäure ersetzt. Dieser Austausch führt zu einer veränderten Konformation des Natriumionen-Kanals, wodurch Saxitoxin den Ionenkanal nicht blockieren kann. Die Folge ist eine verringerte Sensitivität gegenüber dem Toxin. Material 1C bestätigt diese Vermutung. Das Diagramm zeigt, dass bei saxitoxinresistenten Muscheln eine viel höhere Konzentration des Giftes vorliegen muss, damit eine Reduktion des Aktionspotenzials eintritt.
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Unterschiedliche genotypische Zusammensetzung der Sandklaffmuschel-Populationen
Material 2A zeigt die geografische Verteilung der Genotypen der Sandklaffmuschel in ihrem Verbreitungsgebiet an der Ostküste des nordamerikanischen Kontinents. An der Bay of Fundy sind etwa Dreiviertel der Muscheln homozygot saxitoxinresistent, der Rest ist heterozygot. In Lawrencetown Estuary sind nur etwa ein Achtel der Gesamtpopulation heterozygot, der Hauptteil dieser Population ist homozygot saxitoxinsensitiv. Die Population aus der Bay of Fundy ist dem durch A. tamarense produzierten Saxitoxin regelmäßig ausgesetzt, da sich das Bakterium in dieser Region regelmäßig stark vermehrt. Bei der Population aus Lawrencetown Estuary nicht der Fall. Die Mutation die zur Entstehung des saxitoxinresistenten Allels führte, entstand spontan bei einem gemeinsamen Vorfahr der beiden Sandklaffmuschel-Populationen. In Regionen, in denen es regelmäßig zu einer Massenvermehrung von A. tamarense kommt, war diese Mutation vorteilhaft. Das liegt daran, dass resistente Muscheln größere Mengen von A. tamarense verzehren können, ohne die lebensgefährlichen Auswirkungen des Toxins zu spüren. Eine Resistenz gegen Saxitoxin stellt demnach einen Selektionsvorteil dar, da diese Individuen im Vergleich zu den sensitiven Artgenossen eine höhere reproduktive Fitness besitzen. Der so entstehende Selektionsdruck sorgte dafür, dass das resistente Allel in bestimmten Regionen, wie der Bay of Fundy stabilisiert wurde. In Regionen wie Lawrencetown Estuary wirkte kein Selektionsdruck auf die resistente Sandklaffmuscheln. Daher findet man dort hauptsächlich saxitoxinsensitive Sandklaffmuscheln, während in der Bay of Fundy die resistenten Sandklaffmuscheln überwiegen.