Lerninhalte in Deutsch
Inhaltsverzeichnis

Teil A

Textverständnis und Sprachuntersuchung

(50% der Prüfungsleistung)
Thema:
Überraschung
Aufgabenstellung:
  • Lies Material A.
  • Löse anschließend die Aufgaben auf den Arbeitsblättern.
Material A
Trambahn für weiße Hasen (1965)
Ernst Kreuder (* 1903 - † 1972)
Die folgende fantasievolle Erzählung beginnt im „Büro für Einfälle“. Das ist eine fiktive Agentur, die Menschen bei der Umsetzung ihrer Ziele unterstützen soll. Die Handlung setzt ein, als ein etwa fünfundsechzig Jahre alter Herr hereintritt.
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[…] „Hauenstein“, sagte er freundlich.
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„Sehr angenehm“, sagte ich. „Weißenfels“.
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Er setzte sich an das Rauchtischchen?, schloss die Augen und schwieg.
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„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ich nach einer Weile.
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„Sehen Sie“, sagte er und öffnete die großen, braunen Augen, „es kann doch so auf
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der Straße nicht mehr bleiben. Die Teilnahmslosigkeit unserer Mitmenschen ist
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doch erschreckend. Und ich möchte etwas dagegen tun.“ Er sah nicht unbemittelt
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aus, außerdem nach frischer Luft und freier Zeit. „Ihr Büro ist mir empfohlen
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worden“, sagte er, „ich bitte daher um Ihre Vorschläge.“
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Ich legte einen Ermittlungsbogen und den Kugelschreiber vor mich hin.
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„Die Teilnahmslosigkeit vieler Menschen auf der Straße“, sagte ich, „könnte beseitigt
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werden durch Vorgänge, die den zwangsläufigen Trott unterbrechen.“
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„Darf ich um konkrete Vorschläge bitten“, sagte er.
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„Was können Sie etwa ausgeben?“, fragte ich.
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„Das sollte zunächst keine Rolle spielen“, sagte er. „Ich verfüge, durch eine
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Erbschaft aus Übersee, über nicht unbeträchtliche Mittel.“
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„Sehr wohl“, sagte ich, „dann schlage ich vor, eine ausrangierte Straßenbahn zu
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erwerben, Motorwagen und Anhänger.“
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„Leider“, sagte er, „habe ich etwas gegen Straßenbahnen. Sie sind stets überfüllt.
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Ein Drittel der Fahrgäste sitzt, zwei Drittel müssen stehen, wie die Schafe in einem
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ratternden Pferch. Von dem seekrankmachenden Schlingern ganz zu schweigen.“
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„Ganz recht“, sagte ich, „diese knochenschädigenden Eisenräder werden durch große
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Ballonreifen ersetzt, dann fährt die Bahn wie auf Wasser, nachgiebig, ruhig.“
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„Liese sich hören“, sagte er, „weiter, bitte.“
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„Motoren summen und heulen“, sagte ich, „und sind zulassungspflichtig. Ich schlage
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vor, ein Gespann zu erwerben. Sie haben nichts gegen Tiere?“
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„Oh“, sagte er, „ich habe nichts für Motoren und alles für die Tiere. Übrig, meine ich.“
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„Ein Paar braune, weißgefleckte Ochsen“, sagte ich, „wäre das Richtige für die Bahn.
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Man kennt sie heute kaum noch, allenfalls auf Suppenwürfeln als Markenzeichen.“
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„Klare Ochsenbrühe!“, sagte er anklagend. […]
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Er legte Scheckbuch und Füllfederhalter auf den Rauchtisch.
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„Wann kann ich die Ochsen und die Tramwagen bekommen?“, fragte er.
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„Die Ochsen heute“, sagte ich, „auch die abgestellten Wagen. […] Doch das genügt
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noch nicht. Wenn Sie die Teilnahmslosigkeit in den Straßen unterbrechen wollen,
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müssten schon Gesichter hinter den Scheiben der Ochsenbahn zu sehen sein.“
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„Gesichter“, fragte er, „ich habe etwas gegen Gesichter. Die unverhüllten
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Schicksale, die durch Gesichter, die sich unbeobachtet wähnen, hindurchblicken,
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haben oft etwas erschütternd Hoffnungsloses.“
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„Gewiss“, sagte ich, „aber wie finden Sie den Anblick von weißen Hasen?“
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„Oh“, sagte er, „mit Schnurrbarthaaren und roten Augen und langen weißen Ohren?
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Unvergleichlich wohltuend.“
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„Nicht nur weiße Hasen“, sagte ich, „auch weiße Enten mit gelben Schnäbeln, und
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daneben die kleinen, klugen, rüsselspitzen Gesichter von Igeln, rotgelb mit schwarzen
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Schnurren, dazwischen, damit es lebhafter wird, die munteren Gesichter von jungen
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Eseln, schwarzen Ziegen und Shetlandponys.“
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„Sie strahlen etwas Wunderbares aus“, sagte er leise. […]
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„Aber es fehlen uns noch einige geduldige Männer“, sagte ich, „die gut zu den Tieren
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sind.“
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„Selbstverständlich“, sagte er.
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„Einen Wärter in jeden Wagen“, sagte ich, „und einen behutsamen Fahrer für die
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Ochsen. Wir würden ihnen natürlich keine Uniformen anziehen, sondern leichte, bunte
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Leinensachen.“
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„Uniformen machen unmenschlich“, sagte Herr Hauenstein, „es sind
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zugeschnittene, genähte, gebügelte Befehle.“
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„Genau“, sagte ich. „Die Tram fährt also, von braunen Ochsen gezogen, ruhig durch
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die Straßen. Durch die blanken Scheiben blicken die Gesichter von weißen Hasen,
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jungen Eseln, weißen Enten, Igeln, schwarzen Ziegen und Shetlandponys auf die
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bisher teilnahmslos eilenden, starr gehenden Zeitgenossen. […] Die Ochsenbahn
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könnte auf Parkplätzen besichtigt werden, gegen Spenden für die laufenden Futter-
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kosten?“
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„Einverstanden“, sagte er, „aber jetzt telefonieren Sie bitte!“ –
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Die „Morgen-Stimme“ berichtet seither auf ihrer Lokalseite regelmäßig über „Hauen-
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steins Unternehmen gegen die Teilnahmslosigkeit in der Öffentlichkeit.“ Erfreuliches
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und Unerfreuliches. Die Beschwerden der Geschäftsführer und Ladenhalter über Un-
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pünktlichkeit und Unaufmerksamkeit der Beschäftigten haben zugenommen. Wenn die
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Ochsenbahn aus einer Nebenstraße unvermittelt in eine verkehrserfüllte Geschäfts-
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straße einbiegt, lautlos, bis auf den schwachen Hall der Ochsenhufe, mit wehenden
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Blumendächern, wachen die zielstrebig Hastenden aus ihrer starren Teilnahmslosig-
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keit auf, die zähe Stumpfheit in ihren Augen schwindet, und etwas von dem sanftmü-
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tigen Staunen und der behaglichen Munterkeit der Tiergesichter hinter den Tramschei-
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ben scheint auf die stutzenden Passanten überzugehen. Man brachte bereits aus den
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Vororten grüne Zweige und Haselkätzchen mit, um die Hörner der Ochsen frisch zu
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schmücken. Die Verkäuferinnen hinter den Ladenfenstern bedienen träumerischer und
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wiegen besser ab, besonders wenn der zweite Anhängerwagen vorüber rollt, den Herr
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Hauenstein inzwischen anschaffen ließ. Dort blicken durch die Scheiben die Gesichter
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von zahmen Rehen, von Seiden-Äffchen, Waschbären, Goldfasanen und Eichhörn-
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chen. […]

Aus: Weyrauch, Wolfgang (Hg.) Alle diese Straßen. Geschichten und Berichte. München: List Verlag 1965, S.120 – 123 (leicht bearbeitete Fassung).
1.

Der literarische Text stellt weitgehend ein fiktives Beratungsgespräch dar. Der Berater legt sich dafür einen Ermittlungsbogen an (Vgl. Zeile 10).

Fülle den Bogen auf der Grundlage der Textinformationen aus.

Abbildung
(7 BE)
2.

Überprüfe, ob die folgenden Aussagen im Text enthalten sind. Kreuze an.

Gib gegebenenfalls die Zeilen an, in denen du die Informationen gefunden hast.

Aussagen enthalten nicht enthalten Zeilen
a) Der Kunde mag keine Straßenbahnen, weil ein Großteil der Passagiere stehen muss.
b) Neben Waschbären fahren auch Dachse in der Bahn mit.
c) Die Ochsen werden von den Passanten mit grünen Zweigen aus den Vororten gefüttert.
d) In der Stadtzeitung wird regelmäßig über das Unternehmen berichtet.
(4 BE)
3.

Der Kunde spricht von „Teilnahmslosigkeit“ (Zeile 6).

Erläutere diesen Begriff mit eigenen Worten.

(2 BE)
4.
Der Kunde wird im Text charakterisiert.
a)

Der Berater schätzt den Kunden ein: „Er sah nicht unbemittelt aus, außerdem nach frischer Luft und freier Zeit“ (Zeilen 7 – 8).

Formuliere den Gesamteindruck, den der Kunde beim Berater hinterlässt. Begründe.

(2 BE)
b)

Der Kunde lehnt Uniformen für das Personal seiner Bahn ab. Er bezeichnet diese als „[...] zugeschnittene, genähte, gebügelte Befehle.“ (Zeile 54)

Erkläre, was mit dieser Metapher ausgesagt wird.

(2 BE)
c)

Leite eine Wertvorstellung ab, die der Kunde als besonders wichtig für die Menschen erachtet.

(1 BE)
5.

Der Berater geht im Gespräch sehr geschickt vor.

Entscheide dich für eine Textstelle und beschreiben Sie, wie der Berater mit den Einwänden des Kunden umgeht.

Lies zunächst beide Textabschnitte genau.

Kreuze deinen gewählten Textabschnitt an.

Zeilen 19-28: Einwand des Kunden: Leider habe ich etwas gegen Straßenbahnen ...
Zeilen 36-46: Einwand des Kunden: Ich habe etwas gegen Gesichter...

Beschreibung:
(3 BE)
6.

Beurteile, inwiefern das Ziel des Kunden durch die Einführung der Ochsenbahn erfüllt wurde.

(2 BE)
7.

Im Text wird ausgesagt, dass das Angebot der Bahn im Laufe der Zeit erweitert wird.

Nenne jeweils ein nicht im Text genanntes Tier, das für einen weiteren Anhänger ausgewählt werden könnte bzw. nicht ausgewählt werden sollte.

Begründe deine Vorschläge.

Tier, das für einen weiteren Anhänger ausgewählt werden könnte. Tier, das für einen weiteren Anhänger nicht ausgewählt werden sollte.
Begründung Begründung
(2 BE)
8.

Erkläre, wie folgende Wörter und Wortgruppen im Text zu verstehen sind.

„den [...] Trott unterbrechen“ (Zeile 12)

„sich unbeobachtet wähnen“ (Zeile 37)

„unvermittelt“ (Zeile 66)

„schwache[r] Hall“ (Zeile 67)

(4 BE)
9.

Kunde und Verkäufer benutzen das Stilmittel des Vergleichs.

Zitiere zwei Vergleiche aus dem Abschnitt Zeilen 17-24.

Erkläre die Wirkung.

Kunde:
Wirkung:
Berater:
Wirkung:
(6 BE)
10.

Die Aufregung des Kunden zu Beginn des Gesprächs zeigt sich in einzelnen kurzen Sätzen, mit denen er sein Anliegen vorträgt:

„[...] es kann doch so auf der Straße nicht mehr bleiben. Die Teilnahmslosigkeit unserer Mitmenschen ist doch erschreckend. Und ich möchte etwas dagegen tun.“ (Zeilen 5-7)

a)

Formuliere das Anliegen des Kunden ohne Informationsverlust in einen zusammengesetzten Satz um.

(2 BE)
b)

Was den Kunden bewegt, zeigt sich in einem komplexen Satz (Zeilen 36-38): „Die unverhüllten Schicksale, die durch Gesichter, die sich unbeobachtet wähnen, hindurchblicken, haben oft etwas erschütternd Hoffnungsloses.“

Rahme alle finiten Verbformen ein.

Schreibe den Hauptsatz auf.

Hauptsatz:
(2 BE)
11.

Stell dir sich vor, bei einem Ausflug in die im Text beschriebene Stadt einem solchen Ochsengespann zu begegnen. Ein Reporter der Zeitung „Morgen-Stimme“ fragt dich: „Wie gefällt dir ,Hauensteins Unternehmen gegen die Teilnahmslosigkeit in der Öffentlichkeit‘?“

Antworte dem Reporter. Lege dabei deine Meinung begründet dar. Verwende dabei vier Textinformationen.

(6 BE)

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