B1 Hühner
Das Haushuhn (Gallus gallus domesticus) spielt eine wichtige Rolle bei der Welternährung und wird seit langer Zeit für verschiedene Nutzungsformen gezüchtet.
1
In einem besonderen Zuchtstamm des Haushuhns (Zwerg-Cochin) treten neben normal gefiederten Individuen auch solche mit gestruppten Federn auf. Hierbei sind die Schäfte der Federn stark gebogen (Abb. 1A).
Vögel besitzen im Gegensatz zum Menschen statt den Gonosomen X und Y die Gonosomen Z und W. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass bei Vögeln die Weibchen in Bezug auf die Gonosomen hemizygot (ZW) und die Männchen homozygot (ZZ) sind.
Leite aus dem Stammbaum in Abbildung 1B nachvollziehbar ab, ob das Struppgefieder nach einem

Abb. 1 A: Phänotyp des Struppgefieders
Abb. 1B: Stammbaum einer Zwerg-Cochin-Zucht
Abb. 1B: Stammbaum einer Zwerg-Cochin-Zucht
a)
autosomal dominanten,
b)
Z-chromosomal dominanten,
c)
Z-chromosomal rezessiven oder
d)
autosomal rezessiven Erbgang vererbt wird.
Gib auf dieser Grundlage alle möglichen Genotypen der Hühner 1, 2 und 6 an.
(7 BE)
2
Im Rahmen einer genetischen Untersuchung wurde herausgefunden, dass die Ursache des Struppgefieders eine Mutation im Gen KRT75 ist. Nach der DNA-Sequenzierung des Gens KRT75 bei einem für das Merkmal Struppgefieder heterozygoten Individuums liegen folgende Ausschnitte aus den codogenen DNA-Strängen vor:

Abb. 2: Ausschnitt aus dem codogenen DNA-Strang des KRT75-Gens in nicht-mutierter (Allel 1) bzw. mutierter Variante (Allel 2)
nach: Ng, C. S., Wu, P., Foley, J., Foley, A., McDonald, M. L., Juan, W. T., ... & Chuong, C. M. (2012). The chicken frizzle feather is due to an α-keratin (KRT75) mutation that causes a defective rachis. PLoS genetics, 8(7).

Abb. 3: Code-Sonne
2.1
Leite mithilfe der Sequenzierungsdaten aus Abbildung 2 die Art der vorliegenden Mutation ab und bestimme mithilfe der Code-Sonne (Abb. 3) die Aminosäuresequenz für Codon 8, 9 und 10 des Allels für das Merkmal normales Gefieder.
(5 BE)
2.2
Beschreibe drei Merkmale des in Abbildung 3 dargestellten genetischen Codes.
(3 BE)
2.3
In einer genetischen Untersuchung wurde das Gen KRT75 von drei männlichen Individuen mithilfe einer Gelelektrophorese verglichen:
a)
Individuum mit normalem Gefieder; homozygoter Genotyp
b)
Individuum mit bezogen auf das Merkmal Gefieder heterozygotem Genotyp
c)
Individuum mit gestrupptem Gefieder; homozygoter Genotyp
2.3.1
Beschreibe das Prinzip einer DNA-Gelelektrophorese.
(5 BE)
2.3.2
Stelle die zu erwartenden Ergebnisse der Gelelektrophorese in einer beschrifteten Skizze dar, in der die relativen Lagen und Intensitäten der einzelnen Banden ersichtlich sind. Ordne die jeweiligen Genotypen den Bandenmustern begründet zu.
(8 BE)
3
Es sind vier verschiedene Kammhuhnarten (Gattung: Gallus) in unterschiedlichen Verbreitungsgebieten bekannt (Abb. 4). Sie haben alle ein eindeutig anderes Aussehen und verschiedene Kämme. Zur Untersuchung der Verwandtschaft wurden auch Kreuzungsexperimente durchgeführt. Es sind fruchtbare Nachkommen aus den Kreuzungen von Bankivahuhn (Gallus gallus) und Ceylonhuhn (Gallus lafayettii), sowie Ceylonhuhn und Sonnerathuhn (Gallus sonneratii) bekannt. Die Nachkommen aus Kreuzungen von Bankivahuhn und der vierten Kammhuhnart, dem Gabelschwanzhuhn (Gallus varius), sind nicht fruchtbar.

Abb. 4: Verbreitung der verschiedenen Kammhuhnarten
Donkey shot/Wikipedia, CC BY-SA 4.0
3.1
Grenze anhand der gegebenen Informationen zu den Kammhuhnarten den morphologischen und den biologischen Artbegriff voneinander ab.
(4 BE)
3.2
Erläutere auf der Grundlage der synthetischen Evolutionstheorie die Entstehung des Ceylonhuhns unter Verwendung von Abbildung 4.
(8 BE)
(40 BE)
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1
Bestimmung des Erbgangs
- Rezessiver Erbgang: Ein autosomal-rezessiver und ein Z-chromosomal rezessiver Erbgang kann ausgeschlossen werden. In diesem Fall könnte Henne 10 nicht merkmalsfrei sein.
- Z-chromosomal dominanter Erbgang: Auch dieser Erbgang kann ausgeschlossen werden. Um das Merkmal auszuprägen, müsste Henne 3 ein mutiertes Z-Chromosom vererbt bekommen haben. Dieses muss vom Vater kommen, da von der Mutter das W-Chromosom vererbt wird. Allerdings ist der Hahn 2 merkmalsfrei.
- Autosomal-dominanter Erbgang: Der Erbgang muss autosomal-dominant sein. Nur so können die betroffene Henne 1 und der merkmalsfreie Hahn 2 auch merkmalsfreie Nachkommen (Hahn 4 und Henne 5) haben.
- Huhn 1 Aa
- Huhn 2 aa
- Huhn 6 Aa oder AA
2.1
Art der vorliegenden Mutation
Es handelt sich um die Deletion der Codons 10-23. Dieser Allel-Abschnitt fehlt auf dem mutierten Allel. Daher ist das mutierte Allel deutlich kürzer.
Aminosäuresequenz für Codon 8-10 des nicht-mutierten Allels
- DNA-Abschnitt: 3' ... GCC – CGA – CTT ... 5'
- mRNA: 5' ... CGG – GCU – GAA ... 3'
- Aminosäuresequenz: ... Arg – Ala – Glu ...
2.2
Merkmale des genetischen Codes
- Triplett-Code: Der genetische Code besteht aus Tripletts. Das bedeutet, dass immer drei Basen für eine Aminosäure codieren.
- Universell: Der genetische Code ist universell, also bei fast allen Organismen identisch.
- Eindeutig: Der genetische Code ist eindeutig. Ein Basentriplett codiert immer für eine Aminosäure.
- Komma- und überlappungsfrei: Basentripletts werden ununterbrochen abgelesen. Es gibt keine Trennzeichen und auch keine Überlappungen zwischen den Codons.
- Degeneriert: Der genetische Code ist degeneriert. Das bedeutet, dass mehrere Codons für eine Aminosäure codieren können.
2.3.1
Prinzip einer DNA-Gelelektrophorese
Das Verfahren der Gelelektrophorese dient der Unterscheidung geladener Teilchen (wie zum Beispiel DNA-Fragmente) nach ihrer Größe. Durch eine anschließende Färbung des Gels können diese Fragmente sichtbar gemacht werden. Die Gelelektrophorese besteht aus einer Kammer, in der sich ein Agarose-Gel befindet. Das Gel ist strukturell wie ein engmaschiges Netz aufgebaut, wodurch größere Fragmente langsamer wandern als kleinere. Auf der Kathodenseite des Gels werden die zu untersuchenden Proben gemeinsam mit einem Ladepuffer in dafür vorgesehene Taschen im Gel gegeben. In der Regel wird in eine äußere Tasche ein Größenmarker gegeben, um die DNA-Fragmente später zuordnen zu können. Im Anschluss wird eine elektrische Spannung angelegt, und die Fragmente beginnen zu wandern. Da die DNA polar und durch ihr Phosphatrückgrat negativ geladen ist, wandert sie im Gel von der Kathode in Richtung Anode. Nach einer definierten Zeitspanne, wird das Gel von der Spannungsquelle getrennt, und mit einem Farbstoff eingefärbt, der die Banden im UV-Licht sichtbar macht. Dadurch und durch den Vergleich mit dem Größenmarker kann die Länge und Häufigkeit der erhaltenen DNA Fragmente ermittelt werden.
2.3.2
Skizze der Gelektrophorese mit Ergebnissen
Begründung

- Individuum a: Dieses Huhn besitzt einen homozygoten Genotyp für normales Gefieder. Das bedeutet, dass es zwei Allele mit normaler Länge aufweist. Beide Allele können daher im Gel nicht so weit wandern. Sie überlagern sich zu einer dickeren Bande.
- Individuum b: Bei Huhn b liegt ein heterozygoter Genotyp vor, das heißt es gibt ein längeres, normales und ein kürzeres, mutiertes Allel. Daher kann ein Allel weiter wandern, als das andere. Das gesunde Allel wandert genauso weit wie die Allele von Individuum a, und das mutierte Allel wandert genauso weit wie die Allele von Individuum c.
- Individuum c: Huhn c weist einen homozygoten Genotyp bezüglich des mutierten Allels auf. Beide Allele sind kurz und wandern genauso weit, wie das mutierte Allel von Individuum b. Da beide Allele mutiert sind, überlappen sie zu einer dicken Bande.
3.1
Verschiedene Artbegriffe
- Morphologischer Artbegriff: Individuen werden zu einer Art gezählt, wenn sie in bestimmten Körpermerkmalen übereinstimmen. Da die vier genannten Kammhuhnarten unterschiedlich aussehen, würden sie nach diesem Artbegriff in vier unterschiedliche Arten aufgeteilt werden.
- Biologischer Artbegriff: Können Individuen untereinander fruchtbare Nachkommen erzeugen, so gehören sie zu der selben Art. Dieses Merkmal trifft auf Bankivahuhn und Ceylonhuhn, sowie Ceylonhuhn und Sonnerathuhn zu. Nach dem biologischen Artbegriff handelt es sich hier um die gleiche Art. Nur bei Bankivahuhn und dem Gabelschwanzhuhn handelt es sich um unterschiedliche Arten.
3.2
Entstehung des Ceylonhuhns
Das Ceylonhuhn kommt auf der Insel Sri Lanka im Indischen Ozean vor. Vermutlich wurde diese Insel durch wenige, zufällig ausgewählte Individuen besiedelt. Durch diese Gründerpopulation kann sich die Allelfrequenz der Population auf der Insel im Vergleich zu den Hühnern auf dem Festland verschieben. Durch diesen sogenannten Gründereffekt kommt es zur Gendrift. Aufgrund der geografischen Isolation zum Festland konnte sich der Genpool der Inselpopulation nicht länger mit dem Genpool der Festland-Population vermischen. Der Genfluss wurde dadurch unterbrochen. In beiden Populationen wirkt ein unterschidlicher Selektionsdruck, und spontane Mutations- und Rekombinationsereignisse tragen zu einer unterschiedlichen Evolution der beiden Populationen bei. Dadurch kann genetische Variabilität entstehen, und bestimmte Merkmale können in einer Population häufiger auftreten oder reduziert werden. Durch diese allopatrische Artbildung kam es vermutlich zuerst zur Bildung von Unterarten, die sich dann im Laufe der Evolution zu eigenständigen Arten entwickelten.