A1 Lebewesen in Wald und Flur
Hinweis: Der Fachausschuss wählt jeweils eine Aufgabe aus den Aufgabenblöcken A, B und C zur Bearbeitung aus.
Waldgebiete, die an unterschiedliche landwirtschaftlich genutzte Flächen wie Äcker oder Grünland grenzen, sind Biotope, die eine Vielzahl einheimischer Tiere beheimaten.
1
Das Europäische Reh (Capreolus capreolus) ist vor allem in lichtungsreichen Waldgebieten beheimatet, ist aber auch ganzjährig auf offenen Feldern anzutreffen. Innerhalb der Art wird zwischen Wald- und Feld-Rehen unterschieden. Während Wald-Rehe das ganze Jahr über meist einzeln bzw. in kleinen Muttergeiß-Kitz-Gruppen leben, schließen sich Feld-Rehe oft zu größeren Verbänden, sogenannten Sprüngen, zusammen, deren Mitglieder sich kennen und verwandt sein können.
1.1
Beschreibe je zwei Vor- und Nachteile, die sich aus der Bildung solcher Sprünge ergeben.
[4 BE]
1.2
Beim Ruhen und Wiederkäuen nehmen Feld-Rehe Positionen ein, die einen guten Rundumblick gewährleisten. Dabei ist ihre Fluchtbereitschaft sehr hoch. Zwei, vorwiegend erfahrene Mitglieder der Gruppe sichern sitzend mit erhobenem Kopf. Sobald eines dieser Wächtertiere eine Gefahr in Form eines Geräusches oder Geruchs bemerkt, steht es auf und dreht den Kopf mit gespitzten Ohren in Richtung der Gefahrenquelle. Daraufhin legt es einige Meter im Stechschritt zurück und stampft auf den Boden.
1.2.1
Interpretiere diese Verhaltensweise der Wächtertiere als erbkoordiniertes Verhalten.
[6 BE]
1.2.2
Analysiere, wie sich das Verhalten der Wächtertiere auf deren Fitness auswirkt.
[5 BE]
1.3
Rehe weisen einen zeitlich ungewöhnlichen Trächtigkeitsverlauf auf, denn während der sogenannten Keimruhe wächst der Embryo nicht weiter (Tab.).
Tab: Zeitverläufe im Zusammenhang mit der Fortpflanzung; Punkte stellen Abweichungen vom typischen Zeitraum dar 1
Erläutere unter Bezug auf die Tabelle, wie die Keimruhe die Überlebenswahrscheinlichkeit von Geiß und Kitz erhöhen kann.

[5 BE]
2
Eine große in Deutschland vorkommende Hirschart ist das Rotwild (Cervus elaphus), bei der nur die Männchen Geweihe tragen. Während der Paarungszeit versucht der sogenannte Platzhirsch, auch durch Einsatz seines Geweihs, sein Rudel aus weiblichen Tieren vor Konkurrenten abzuschirmen. Dadurch paart sich meistens nur ein einziges männliches Tier mit allen Hirschkühen des Rudels. Ältere Weibchen haben vorrangig Zugang zu proteinreicher Nahrung in großer Menge, was sich vielfälitig (Abb. 1a, 1b, 1c), u. a. auch auf den Proteingehalt der Milch auswirkt.
Wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass ältere Hirschkühe einen größeren Anteil an männlichen, jüngere einen größeren Anteil an weiblichen Nachkommen zur Welt bringen. Erkläre, weshalb dies eine evolutionsstabile Strategie ist.

Abb. 1a: Durchschnittliches Geburtsgewicht von Kälbern bei unterschiedlich alten Müttern als Maß der vorgeburtlichen Investition in die Nachkommen2

Abb. 1b: Durchschnittliche pro Saison produzierte Milchmenge von Hirschkühen unterschiedliche Alters2

Abb. 1c: Zusammenhang zwischen der Größe des Erstlingsgeweihs von Hirschen und dem Proteingehalt der als Kitz aufgenommenen Milch 2
[6 BE]
3
Das Nahrungsspektrum waldbewohnender Tiere ist sehr unterschiedlich. So gibt es Tiere, die Pflanzen und Pilze fressen können, deren Inhaltsstoffe bei anderen Waldtieren schwere Vergiftungserscheinungen, z. B. durch Beeinflussung der Erregungsübertragung im Nervensystem, hervorrufen würden.
Bei der Erregung des Herzmuskels spielt eine Gruppe von spezialisierten Herzmuskelzellen, der Sinusknoten, eine wichtige Rolle. Diese Zellen erzeugen ständig spontane Aktionspotentiale, die zur Erregung des gesamten Herzmuskels führen. Abbildung 2 zeigt einen Ausschnitt aus dieser Serie an Aktionspotentialen im Sinusknoten.

Abb. 2: Aktionspotenziale im Sinusknoten
3.1
Nenne drei Unterschiede der Aktionspotentiale im Sinusknoten zu einem Aktionspotential an einem Axon.
[3 BE]
3.2
Die Zellen des Sinusknotens werden auch durch Nerven des Parasympathikus angesteuert, deren Einfluss zu einer Verringerung der Herzschlagfrequenz führt. Sie sind über spezielle Synapsen mit den Sinusknotenzellen verbunden, die Rezeptoren vom Typ M2 in der Zellmembran besitzen. Als Transmitter wirkt an diesen Synapsen Acetylcholin.

Abb. 3: Einfluss des Parasympathikus auf rezeptorgesteuerte Kalium-Ionenkanäle in der Membran von Sinusknotenzellen4
3.2.1
Erkläre mithilfe von Abbildung 3 den Einfluss der Nerven des Parasympathikus auf die Herzfrequenz.
[6 BE]
3.2.2
Auch Muscarin, das Gift des Fliegenpilzes, und Atropin, das Gift der Tollkirsche, wirken auf den M2-Rezeptor. Während jedoch Muscarin den Einfluss des Parasympathikus noch verstärkt und für eine weitere Verringerung der Schlagfrequenz des Herzens sorgt, wirkt Atropin dem Parasympathikus entgegen (Abb. 4).
Entwickle unter Bezug auf die Abbildungen 3 und 4 jeweils eine begründete Hypothese zum Wirkmechanismus von Muscarin bzw. Atropin.

Abb. 4: Modelle der Acetylcholin-, Muscarin- und Atropin-Moleküle5
[5 BE]
[40 BE]
Quellen:
1
Börner, K.: Gut Ding braucht Weile - Diapause beim Rehwild. In: PIRSCH. 2016, Nr. 22, S. 40-43.
2
https://www.jaegermagazin.de/wildarten/rotwild/stangenlaenge-als-veranlagung-geweihentwicklung-beim-rotwild/, 24.07.23.
3
Silbernagl, S.; A. Despopoulos; A. Draguhn (2018): Taschenatlas Physiologie, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 9. Auflage, S. 77 und S. 101.
4
Silbernagl, S.; A. Despopoulos; A. Draguhn (2018): Taschenatlas Physiologie, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 9. Auflage, S. 101.
5
Wiedmann, F.: Muscarin und Atropin - Tödliche Gifte im Wechselspiel, https://www.chemie-imalltag.de/articles/0099/index.htm; 23.03.23.
2
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4
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1.1
Bildung von Sprüngen:
Vorteile:
- In einer größeren Gruppe ist die Wahrscheinlichkeit einer Attacke durch Raubtiere geringer, da mehr Tiere Wache halten können. In einem Sprung können so auch Jungtiere besser geschützt werden.
- In einem Sprung kennen sich die Individuen. Dieses soziale Gefüge erleichtert das Auffinden eines Partners, und der Fortpflanzungserfolg der Art steigt.
- In einem Sprung ist die Konkurrenz um bestimmte Ressourcen wie Futter oder Schlafplätze erhöht, da sich mehr Tiere an einem Platz aufhalten.
- In Sprüngen können Krankheiten und Parasiten schneller übertragen werden, was die Gesundheit der gesamten Gruppe gefährden kann.
1.2.1
Verhaltensweise der Wächtertiere:
Die Verhaltensweise der Wächtertiere ist nicht erlernt, sondern an bestimmte Schlüsselreize, wie das Erspähen eines Räubertieres geknüpft. Sobald dieser Schlüsselreiz auftritt, wird eine genetisch programmierte Signalkaskade ausgelöst, die dazu führt, dass das beschriebene Verhalten vom Tier ausgeführt wird. Dabei löst der Reiz des Beutetiers unabhängig von vorherigen Erfahrungen im Wächtertier das Warnverhalten aus. Gleichzeitig hat auch das Warnverhalten eine eindeutige Bedeutung für die anderen Tiere in der Gruppe. So können die Tiere effektiv kommunizieren und vor potenziellen Raubtieren flüchten.
1.2.2
Erhöhung der Fitness durch Verhalten der Wächtertiere:
Erbkoordiniertes Verhalten hat den Vorteil, dass es nicht durch Erfahrungen erlernt werden muss. Das stellt für die Rehe einen Vorteil dar, da so sichergestellt wird, dass das Erkennen eines Räubertiers die Warnung der Gruppe auslöst. Dadurch wird die reproduktive Fitness der Gruppe erhöht. Das liegt daran, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit der Tiere erhöht ist, wenn die Kommunikation in der Gruppe reibungslos abläuft, und die Tiere bei einem potenziellen Angriff rechtzeitig flüchten.
1.3
Auswirkung der Keimruhe auf die Überlebenswahrscheinlichkeit von Geiß und Kitz:
Im Juli und August befinden sich die Tiere in der Paarungszeit. Nach erfolgreicher Paarung beginnt die Schwangerschaft der Tiere. Diese dauert etwa von Ende August bis Anfang Mai, je nachdem wann die Paarung stattfand, beginnt oder endet der Zeitraum etwas früher oder später. Direkt nach der Befruchtung beginnt die Keimruhe, die etwa die ersten vier Schwangerschaftsmonate andauert. Die Kitze werden zwischen Mai und Juni geboren, und anschließend zwei Monate gesäugt. Die Keimruhe, die direkt auf diese Phase folgt, hat den Vorteil, dass sich die Mutter in Ruhe um die Aufzucht des neugeborenen Kitzes kümmern kann. In den Herbstmonaten kann sie genügend Energiereserven aufbauen, um sich und ihr Kitz gut durch den Winter zu bringen, ohne den zusätzlichen Energieaufwand einer Schwangerschaft aufbringen zu müssen. Außerdem wird durch die Keimruhe die Geburt der Jungtiere ins Frühjahr verschoben, wenn die Umweltbedingungen günstig für die Aufzucht sind.
2
Erhöhung männlicher Nachkommen mit zunehmendem Alter der Hirschkühe:
Aus Abbildung 1a geht hervor, dass das durchschnittliche Geburtsgewicht der Kälber ausgehend von etwa 7,5 kg um etwa ein halbes Kilo in den ersten drei Lebensjahren der Hirschkuh steigt. Auch die produzierte Milchmenge pro Saison steigt mit dem Alter der Hirschkühe (Abbildung 1b). Während zwei Jahre alte Hirschkühe knapp über 200 L Milch in einer Saison produzieren, schaffen es 3 Jahre alte Kühe schon auf etwa 220 L. Bei Hirschkühen, die älter als 3 Jahre sind, ist Milchmenge mit etwa 250 L noch höher. Abbildung 1c zeigt, dass die Länge des Erstlingsgeweihs in cm proportional zum Proteingehalt der Milch ist. Dabei ist das Geweih umso Länger, je höher der Proteingehalt der als Kitz aufgenommenen Milch war. Ältere Hirschkühe produzieren mehr Milch, und ihre Nachkommen sind tendenziell schwerer. Da altere Tiere einen besseren Zugang zu proteinreicher Nahrung haben, als jüngere Tiere ist auch der Proteingehalt ihrer Milch ist mit zunehmendem Alter höher.
Die Tatsache, dass ältere Kühe eher männliche Nachkommen und jüngere Tiere eher weibliche Nachkommen haben, ist eine evolutionsstabile Strategie, da in einer Gruppe mehr weibliche Tiere anwesend sind, und es nur ein dominantes Männchen gibt, dass für den Fortbestand der Gruppe sorgt. Es ist daher sinnvoll, dass zunächst viele Weibchen geboren werden, um deren Fortbestand zu sichern. Nicht viele Rehe erreichen ein hohes Alter und bekommen männliche Nachkommen. Aus evolutionsbiologischer Sicht, ist das eine gute Strategie, da es in der Gruppe ohnehin nur wenige Männchen gibt. Außerdem ist es von Vorteil, wenn Rehe in einem hohen Alter Männchen bekommen, da dann mehr Milch produziert wird, die Kitze mehr wiegen, und der Proteingehalt in der Milch höher ist. Die jungen Männchen haben so eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit, und ein größeres Geweih. Ein großes Geweih ist insofern vorteilhaft, da sich Jungtiere so besser zu dominanten Platzhirschen entwickeln können, da ein großes Geweih vermutlich einen Vorteil im Abwehren potenzieller Konkurrenten bietet.
3.1
Unterschiede zwischen einem Aktionspotenzial am Herzmuskel und im Axon:
- Der Schwellenwert an einer Herzmuskelzelle liegt bei -40 mV, am Axon befindet er sich bei etwa -55 mV.
- Der Höhepunkt des Membranpotenzials ist an der Herzmuskelzelle niedriger, als am Axon. An der Herzmuskelzelle depolarisiert die Membran auf etwa 15 mV, am Axon sind es ca. 30 mV.
- Ein Aktionspotenzial im Sinusknoten dauert länger als ein Aktionspotenzial am Axon.
3.2.1
Einfluss des Parasympathikus auf die Herzfrequenz:
Abbildung 3A zeigt die Membran einer Sinusknotenzelle im Ausgangszustand. In der Membran befindet sich der M2-Rezeptor, der eine Bindestelle für Acetylcholin aufweist. An den M2-Rezeptor ist ein G-Protein gekoppelt, das an der Membraninnenseite liegt. Außerdem befindet sich ein Kalium-Ionenkanal in der Zellmembran, der im Ruhezustand geschlossen ist.
Die Zellen des Sinusknotens sind mit Synapsen der Nervenzellen des Parasympatikus verbunden. Dort löst ein ankommendes Aktionspotenzial das Ausschütten von dem Neurotransmitter Acetylcholin in den synaptischen Spalt aus.
In Abbildung 3B hat Acetylcholin an den M2-Rezeptor der Sinusknotenzelle gebunden. Daraufhin dissoziiert das G-Protein vom Rezeptor, und löst die Öffnung des Kalium-Ionenkanals aus. Dadurch können Kalium-Ionen aus der Zelle hinaus diffundieren.
Das Ausströmen von positiv geladenen Kalium-Ionen aus der Zelle hat zufolge, dass die Spannung im Zellinneren verringert wird. Durch räumliche Summation mit der spontanen Depolarisation der Zellen verringert sich, durch den Einfluss des Parasympathikus, die Aktionspotenzialfrequenz am Sinusknoten, und der Herzschlag sinkt.
3.2.2
Wirkmechanismus von Muscarin und Atropin:
Betrachtet man die Struktur von Muscarin, so sieht diese recht ähnlich zu der von Acetylcholin aus. Vermutlich wirkt Muscarin am M2-Rezeptor daher als Agonist zu Acetylcholin. Es löst im synaptischen Spalt also ebenfalls die Öffnung von Kalium-Ionenkanälen in der Membran von Sinusknotenzellen aus. Dass die Wirkung von Acetylcholin verstärkt wird, liegt daran, dass mehr M2-Rezeptoren besetzt werden, und damit auch mehr Kalium-Ionen aus der Zelle ausströmen können.
Die Strukur von Atropin ist der von Acetylcholin ebenfalls ähnlich. Allerdings muss Atropin als Antagonist von Acetylcholin wirken. Möglicherweise blockiert Atropin die Bindungsstelle von Acetylcholin am M2-Rezeptor, ohne aber ein Öffnen der Kalium-Ionenkanäle hervorzurufen. Diese Konkurrenz zwischen Acetylcholin und Atropin führt dazu, dass in Summe weniger Kalium-Kanäle öffnen, und die Herzfrequenz nicht durch die Nervenzellen des Parasympathikus verringert werden kann.