Aufgabe 1 - Literarische Texterörterung
Erörterung eines literarischen Textes
Thema: Michael Jaeger (* 1961): Margaretes Grauen Johann Wolfgang von Goethe (* 1749 - † 1832): Faust. Der Tragödie erster Teil Aufgabenstellung:- Arbeite die Argumentation heraus und bestimme die Position des Verfassers. (30 %)
- Setze dich mit der Position Jaegers auseinander. (70 %)
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Als Ablenkungssüchtiger ist Faust gefesselt an den Unterhaltungskünstler Mephisto-
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pheles. Das entgeht am allerwenigsten Margarete, die ahnt, daß sie zum schieren
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Stoff dieser Unterhaltung herabgewürdigt werden soll. Margarete zu Faußt: „Der
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Mensch, den du da bei dir hast,/Ist mir in tiefer inn'rer Seele verhaßt“ (Sz. 15, Z. 102), will
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sagen - um Mephistos Modernisierung in einem Satz zusammenzufassen - , Faust
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hat Mephistopheles und damit das Mephistophelische immer schon bei sich, hinter
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der idealistischen Fassade scheint immer schon der unbedingte Materialismus, die
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Gier allein nach dem Körper hindurch. Der Idealismus der pathetischen Rede Fausts
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und sein Herzensgefühl sind immer schon imprägniert von der Angst und zugleich
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von der frivolen Körpersucht, die die Angst übertäuben soll und zu diesem Zweck
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Margaretes Opfer - das „affenjunge Blut“ - braucht. Die Sucht nach diesem Opfer-
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und Konsumritual der mephistophelischen Unterhaltungskunst korrumpiert in Marga-
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retes Wahrnehmung auch noch Fausts letzte flehentliche Bitte, sie möge mit ihm
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gemeinsam dem Kerker entfliehen.
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Margarete im Kerker, hinter Faust, der gekommen ist, sie zu befreien, Mephisto be-
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merkend: „Was steigt aus dem Boden herauf?/Der! der! Schick' ihn fort!/Was will der
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an dem heiligen Ort?/Er will mich!“ (Sz. 24, Z. 295 ff.).
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Faust kann Mephistopheles gar nicht wegschicken, weil er ihn in seinem Wunsch, in
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seiner Angst, in seiner Sucht immer schon bei sich hat. Und dieser Faust-
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Mephistopheles „will“ Margarete in der Tat, der will sie, getrieben von seinem „Appetit“
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auf ihren Körper aus, als Opfer verschlingen. Vor einem Sein, das beherrscht würde von
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diesem profanen Opferritual, flüchtet sich Margarete im Angesicht des „Blutstuhls“
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auf dem Richtplatz (Sz. 24, Z. 280) ins „Gericht Gottes“ und mithin in die Transzendenz, ein
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Bewußtsein als letzte Rettung in extremis, in der Todesangst. In dieser ultimativen
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Perspektive unterscheidet sich das Grauen, das von Faust-Mephisto ausgeht, nicht
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mehr von dem Entsetzen, das die ‚zuckende Schärfe ‘ des Beils auf dem weltlichen
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Gerichtsplatz verbreitet (vgl. Sz. 24, Z. 282). Margarete zu Faust und über diesen hinweg:
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„Dein bin ich Vater! Rette mich!/Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,/Lagert euch umher,
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mich zu bewahren!/Heinrich! Mir graut’s vor dir.“ (Sz. 24, Z. 310 ff.).
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„Heinrich! Mir graut’s vor dir“ – das sind die letzten Worte Margaretes über Faust,
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vernichtende Worte! Das Grauen aber, das Heinrich Faust verbreitet, geht hervor aus
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seiner Angst, aus Mephistos Disposition, die ihn dazu zwingt, jedes Da-Sein zu ver-
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schlingen, wie es ein Geist tun muß, der stets und alles verneint, um nicht im ersten
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Augenblick des Einverständnisses, des Innehaltens, der Bewunderung, wenn er aus-
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riefe: „Verweile doch! du bist so schön!“, um nicht in diesem Augenblick selbst zu-
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grunde zu gehen. Alles, was in dieser Tragödie des modernen Bewußtseins ge-
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schieht – Ausnahmen bestätigen die Regel –, steht im Dienste der zwanghaften Ver-
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suche Fausts, seine Todesangst vor dem Verweilen, die „Zeit der Angst“, durch die
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Negation des Seienden zu verdrängen.
Aus: Michael Jaeger: Global Player Faust oder Das Verschwinden der Gegenwart. Zur Aktualität Goethes.
Würzburg 2019, S. 49–51. Primärliteratur: Johann Wolfgang v. Goethe: Faust I, SchulLV 2021, Karlsruhe.
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Teilaufgabe 1
Einleitung
- Michael Jaeger veröffentlicht. den Textausschnitt Margaretes Grauen 2019 in Würzburg.
- Dieser Ausschnitt ist Bestandteil des im selben Jahr publizierten Werks Global Player Faust oder Das Verschwinden der Gegenwart. Zur Aktualität Goethes. aus der Feder Michael Jaegers.
- Es folgt ein Umreißen der Position des Autors sowie eine Darstellung des argumentativen Hergangs.
Michael Jaegers Thesen
- Hauptbestandteil Jaegers Textausschnitts ist das „Grauen“ (Z. 31), welches Margarete am Ende der Tragödie gegenüber Faust empfindet.
- Dieses „Grauen“ (Z. 31) zeigt sich darin, dass Faust von Mephistos diabolischem Geist erfasst ist und infolgedessen eine „Disposition [an den Tag legt], die ihn dazu zwingt, jedes Da-Sein zu verschlingen“ (Z. 32 f.).
- Fausts Angst vor dem Tod äußert sich in einer Angst „vor dem Verweilen“ (Z. 38). Dieser Angst wirkt Faust entgegen, indem er sich mit materiellen Vergnügungen ablenkt: „Opfer- und Konsumritual“ (Z. 11 f.), „Unterhaltung“ (Z. 1, 3, 12).
- Letzterer Sturz in die Genusswelt geht mit einer „Negation des Seienden“ (Z. 39) einher.
- Margarete fällt Fausts exzessiver Suche nach Ablenkung zum „Opfer“ (Z. 11, 21). Gretchen antizipiert, „daß sie zum schieren Stoff dieser Unterhaltung herabgewürdigt werden soll“ (Z. 2 f.).
- Aufgrund des unerträglichen „Grauen[s]“ (Z. 31), unter welchem Margarete die ganze Zeit über leidet, empfindet sie ihren Tod eher als eine Art Erlösung in die „Transzendenz“ (Z. 23).
Fazit
- Peter Strassers Text Der Selbstbetrug in der digitalen Selbstverwirklichung – über das Elend des Nicht-vergessen-Könnens stellt eine scharfe Kritik an der Veröffentlichung privater Inhalte in sozialen Netzwerken dar.
- Er argumentiert, dass die ständige Präsenz und Unvergänglichkeit von Informationen im digitalen Raum zu einer Art Selbstbetrug führt, da sie die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung und Vergessen von Fehlern oder peinlichen Momenten einschränkt.
Teilaufgabe 2
Erörterung von Margaretes Grauen anhand Faust I
- Margarete kann dahingehend als Opfer Fausts gesehen werden, als dass er sie auf der exzessiven Suche nach körperlichen Genüssen als Vergnügungsquelle benutzt. Dass Gretchen sich selbst in die Opferrolle drängt, kann nicht belegt werden.
- Obwohl Gretchen sehr gläubig ist, raubt ihr die Frömmigkeit nicht ihren klaren Blick auf die Realität. Sie kann als gutgläubig, nicht aber als leichtgläubig beschrieben werden.
- Beweis für die ehrliche und direkte Manier Gretchens ist, dass sie sich bereits bei ihrer ersten Begegnung mit Mephisto in der Szene „Garten“ ihre Abneigung gegen den Bekannten Fausts unverhohlen kundtut.
- Auch steht Margarete von Beginn an dazu, sich zu Faust hingezogen zu fühlen und nimmt demzufolge trotz ihrer Treue zu Gott an, auch körperliche Bedürfnisse zu besitzen. Außerdem sieht sie in dem Wohlstand des Doktors eine Flucht aus ihrem eigenen kleinbürgerlichen Dasein. Diese ehrliche Erkenntnis spricht dagegen, dass sich Gretchen als reines Opfer, sondern auch als Teilnehmende in Beziehung zu Faust sieht.
- Faust selbst besitzt eine ambivalente Meinung zum Thema, ob Margarete ein Opfer seiner Handlungen ist oder nicht. Zum einen gibt er zu, sie aus reiner „Begierde“ (Sz. 13, Z. 38) zu umwerben und sie zu verführen, doch nicht allein seine Lust, sondern auch sein tiefes emotionales Empfinden gegenüber der jungen Frau treibt ihn dazu an.
- Zwar vermag Faust es nicht, die Bedürfnisse Gretchens seinen eigenen Trieben voranzustellen, doch seine Intention besteht nicht einzig aus Begierde. Er erkennt auch die Fragilität und Unschuld Gretchens und möchte ihr eine entsprechend harmonische Liebeserfahrung ermöglichen sowie Erfüllung im Zusammensein mit ihr erfahren.
- Höchstwahrscheinlich ist es Gretchen im Wirrwarr ihrer Gefühle nicht möglich, das „Grauen“ (Z. 31), welches sie in der Gegenwart Fausts empfindet, klar und deutlich an der „Konsumwut“ oder „Triebgesteuerheit“ des Protagonisten festzumachen.
- Ob das exzessive Konsumverhalten weltlichen Vergnügens Fausts Charakter adäquat beschreibt, sei zusätzlich infrage zu stellen. Ebenso denkbar wäre, dass Fausts innere Unruhe auf die Suche nach innerer, viel profunderer Wahrheit zurückzuführen ist, nämlich auf die Suche nach dem, was die Welt „[i]m Innersten zusammenhält“ (Sz. 1, Z. 34 f.).
- Dass Jaeger davon ausgeht, Faust würde eine tiefe Todesfurcht treiben ist dahingehend nicht nachvollziehbar, als dass er sich sowohl in der Gegenwart des Teufels (Mephistos) angstfrei aufhält, als auch bereit wäre, für seine innere Freiheit sein eigenes Leben zu opfern.
- Jaegers Ansicht, Fausts Konsumverhalten würde sich besonders im Genuss weltlicher Annehmlichkeiten zeigen, kann widerlegt werden: In der Szene „Auerbachs Keller“ empfindet Faust das Treiben und das gesellschaftliche Amüsement eher als ermüdend als inspirierend.
- Den „unbedingte[n] Materialismus“ (Z. 7), welchem Michael Jaeger im Zuge von Fausts Charakter erwähnt, spricht außerdem gegen die tiefen Fragen des Lebens, die die Hauptfigur quälen und beschäftigen. Viel eher ist es die innere Zerrissenheit darüber, wie oberflächlich die materiellen Genüsse sind, welcher sich die Gesellschaft bedient, um vom wahren Kern der Sinnhaftigkeit abzulenken.
- Faust strebt entgegen Jaegers Beobachtungen nicht nach der Erfüllung materiellen, sondern intellektuellen und emotionalen Reichtums. So äußert der Protagonist etwa das Bedürfnis danach „was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, [...] in [s]einem innern Selbst [zu] genießen“ (Sz. 3, Z. 308).