Lerninhalte in Deutsch
Abi-Aufgaben LF
Lektürehilfen
Lektüren
Basiswissen
Inhaltsverzeichnis

Aufgabe 4 - Materialgestütztes Verfassen eines argumentierenden Textes

Materialgestütztes Verfassen eines argumentierenden Textes (Kommentar)

Thema:
Geschlechtergerechte Sprache
Aufgabenstellung:
Eine überregionale Tageszeitung hat einen Schreibwettbewerb zum Thema Geschlechtergerechte Sprache ausgeschrieben.
  • Verfasse auf der Grundlage der Materialien 1 bis 6 sowie deines eigenen Wissens zu diesem Thema einen Beitrag in Form eines Kommentars (Umfang ca. 1000–1500 Wörter).
  • Formuliere eine geeignete Überschrift.
Material 1
Definition: ‚Gender‘
1
Der Begriff gender wird mittlerweile in den verschiedensten Bereichen der Gesell-
2
schaft genutzt. Doch was ist damit gemeint? [...]
3
In der Linguistik bezeichnet das Wort gender zunächst im Englischen das Genus
4
bzw. das grammatikalische Geschlecht – d. h. die Unterscheidung zwischen weiblich,
5
männlich und sächlich. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch wird gender als Be-
6
zeichnung für das soziale Geschlecht und in Abgrenzung dazu sex als biologisches
7
Geschlecht definiert.
8
Als Begrifflichkeit wurde gender erstmals in der Medizin in der Forschung mit Interse-
9
xuellen in den 1960er Jahren verwendet, um die Annahme zu verdeutlichen, dass die
10
Sozialisation der Individuen für die Geschlechterzugehörigkeit bzw. Geschlechtsiden-
11
tität verantwortlich ist. So wurde das soziale Geschlecht (gender) im weiteren Verlauf
12
als unabhängig vom biologischen Geschlecht (sex) betrachtet. [...] Geschlechterrol-
13
len sind kein biologisches Phänomen, sondern stellen soziale Zuschreibungen dar.
14
Sie werden in sozialen Interaktionen und
15
symbolischen Ordnungen konstruiert und sind damit veränderbar. [...]

Aus: Definition: ‚Gender‘, letzter Zugriff am 19.03.2020.
Material 2
Gendergerechte Sprache – Eins mit Sternchen
Ronald Düker
1
Ende der 1970er Jahre etablierte sich, vor allem durch die Arbeiten der Sprachwis-
2
senschaftlerin Luise Pusch, die akademische feministische Linguistik. Pusch hatte es
3
auf das generische Maskulinum abgesehen, eine bislang nicht im Sinne des Sexus
4
verstandene maskuline Form, die sowohl das männliche als auch das weibliche bio-
5
logische Geschlecht unter sich versammeln kann. Zur sprachlichen Gleichberechti-
6
gung von Frauen schwebte Luise Pusch ein Stufenmodell vor, das auf die Abschaf-
7
fung der weiblichen Endung „-in“ hinauslief. „Die Professor, der Professor, das Pro-
8
fessor“: Natürlich polarisierte dieser Traum von der Egalisierung der Geschlechter
9
durch eine neutrale Gattungsbezeichnung. Dabei wären solche Eingriffe ja noch
10
zaghaft gewesen [...].
11
Und jetzt? Am 8. Juni, also in zwei Wochen, trifft sich in Wien der Rat für deutsche
12
Rechtschreibung, was unter gewöhnlichen Umständen kaum ein Datum wäre, das
13
die Öffentlichkeit elektrisiert, sondern eher etwas für die sprachwissenschaftliche
14
Fachwelt. Die Umstände sind aber nun einmal nicht gewöhnlich. Es trifft sich nämlich
15
bei dieser Gelegenheit auch die „AG Geschlechtergerechtes Schreiben“: Weil
16
im Rechtschreibrat diesmal nicht nur über Zeichensetzung, Schuldidaktik und linguisti-
17
sche Textkorpora verhandelt werden soll, sondern – zum ersten Mal in seiner Ge-
18
schichte – auch über die Rolle der Rechtschreibung im Geschlechterverhältnis, ist
19
das Gremium in die Genderdebatte geraten. Für die hier versammelten Fachwissen-
20
schaftler ein Problem: Sie haben es nun nicht bloß mit einer orthografischen, sondern
21
vor allem mit einer politischen Angelegenheit zu tun.
22
Aus der Politik kam jedenfalls der Anstoß, sich überhaupt mit dem neuen Diskussi-
23
onspunkt zu befassen. Die Gleichbehandlungsstelle der Berliner Senatsverwaltung
24
für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung hatte den Rechtschreibrat um
25
Formulierungshilfen gebeten. Die Frage lautete: Wie sollen Personen angeredet
26
werden, die sich nicht anhand der Kategorien von Mann und Frau identifizieren las-
27
sen?

Aus: Gendergerechte Sprache – Eins mit Sternchen, letzter Zugriff am 23.03.2020.
Material 3
„Wir müssen unsere Sprache ändern“
Anatol Stefanowitsch
1
Gendergerechte Sprache ist eine gesellschaftliche Forderung, mit der man sich aus-
2
einandersetzen muss – egal ob man ihr zustimmt oder nicht. Je weiter die Gleichstel-
3
lung voranschreitet, desto lauter werden auch die Stimmen, die sich eine Änderung
4
der Sprache wünschen. Und das ist berechtigt, wie Studien belegen.
5
Das sogenannte generische Maskulinum, die männliche Form im Plural wie bei ‚die
6
Studenten‘ oder ‚die Beamten‘, wird meist als ein tatsächliches Maskulinum gelesen,
7
also eben nicht geschlechtsneutral. Man liest es, und vor dem inneren Auge er-
8
scheint eine Gruppe Männer. Das zeigen Dutzende wissenschaftliche Experimente.
9
Aus ihnen geht hervor, dass maskuline Formen, selbst mit der generischen Intention,
10
häufiger männlich interpretiert werden. Bis erkannt wird, dass nur oder auch Frauen
11
im entsprechenden Kontext gemeint sind, braucht es Zeit. Ob sich Frauen vom gene-
12
rischen Maskulinum angesprochen fühlen, ist zweitrangig. Tatsache ist, dass sie
13
nicht angesprochen werden.
14
Wir müssen also unsere Sprache ändern. Wie das gehen soll, darüber müssen wir
15
diskutieren. Am neutralsten ist wohl die Doppelform – also das Ausschreiben beider
16
Geschlechterbezeichnungen, ‚Studentinnen und Studenten‘. Dass die Texte damit
17
lang werden, ist meiner Meinung nach ein Scheinargument, weil die Form verhält-
18
nismäßig selten vorkommt.
19
Zudem gibt es verschiedene Formen der Verkürzung: Schrägstrich, Binnen-I, Gen-
20
dersternchen, Gendergap. Das sieht in belletristischen Texten meist unschön aus,
21
das gebe ich zu. Aber auch da lässt sich das Problem relativ einfach mit der Aus-
22
schreibung oder einer anderen Wortwahl umgehen. [...]

Aus: „Wir müssen unsere Sprache ändern“, letzter Zugriff am 23.03.2020.
Material 4
Gender-Debatte: Geschlechtergerechtes Deutsch? Grammatikalisch unmöglich!
Thomas Steinfeld
1
Veränderungen in der Sprachstruktur sind nicht nur ungleich folgenrei-
2
cher und beständiger als Veränderungen im Wortschatz. Vielmehr
3
setzt die Grammatik dem Willen zum Umbau der Sprache einen viel
4
größeren Widerstand entgegen. [...]
5
Die Forderung nach einer geschlechtergerechten oder geschlechter-
6
neutralen Sprache ist ein idealistisches Vorhaben. [...]
7
Im Deutschen führt diese Forderung zu einem Widerspruch, der so
8
allgemein und elementar ist, dass er sich durch die gesamte Debatte
9
um die geschlechtergerechte Sprache zieht: Denn die „Wählerinnen
10
und Wähler“, von denen die Politiker sprechen, die „Leserinnen und
11
Leser“, die „Polizistinnen und Polizisten“ sind einander keineswegs
12
gleichgestellt, so freundlich oder höflich die Formel auch manchmal
13
gemeint sein mag. Das liegt daran, dass die „Bäckerin“ eine Ableitung
14
aus dem „Bäcker“ ist und auch gar nichts anderes sein kann: Gram-
15
matisch ist die männliche Variante die Grundform, die weibliche En-
16
dung tritt hinzu – wohlgemerkt: nicht biologisch, sondern grammatisch.
17
Wer „ich gehe zum Bäcker sagt“, denkt dabei nicht notwendig an ei-
18
nen Mann. [...]
19
Der Widerspruch zwischen dem Wunsch, im Verhältnis der Ge-
20
schlechter in der Sprache Gleichheit zu schaffen, und der grammati-
21
schen Notwendigkeit, die Vorherrschaft des Männlichen zu wiederho-
22
len, ist eine Kleinigkeit gegenüber dem zweiten Widerspruch, der in
23
der geschlechtergerechten Sprache steckt: Denn Gleichheit ist eine
24
kulturelle Errungenschaft. Als solche aber geht sie, wie man die Sache
25
auch dreht und wendet, mit der Emanzipation des Menschen von der
26
Natur einher (wobei man hinzufügen muss, dass die Lasten dieser
27
Emanzipation sehr ungleich verteilt waren). Und tatsächlich: wäre es
28
nicht tatsächlich das Beste für den intellektuellen Umgang miteinan-
29
der, wenn man sich in einer Gemeinschaft freier Geister bewegen
30
könnte, unbeschwert den Gedanken folgend, ohne Rücksicht auf bio-
31
logische Voraussetzungen? So aber ist die geschlechtergerechte
32
Sprache, wie sie bislang propagiert wird, nicht beschaffen. Stattdes-
33
sen stößt sie jeden Mann und jede Frau auf seine oder ihre biologi-
34
sche Bedingtheit zurück. Und schlimmer noch: Viele Anhänger der ge-
35
schlechtergerechten Sprache bestehen darauf, das Geschlecht sei
36
etwas „konstruiertes“ oder kulturell „gemachtes“. Wenn ausgerechnet
37
Verfechter solcher Lehren den Menschen mit allem Nachdruck in die
38
Bedingtheit des natürlichen Geschlechtes zurückdrängen wollen, ver-
39
wandeln sich Fragen nach Wahrheit oder Unwahrheit in der Sprache
40
in Konflikte um eine kulturelle Hegemonie.

Aus: Gender-Debatte: Geschlechtergerechtes Deutsch? Grammatikalisch unmöglich!,
letzter Zugriff am 23.03.2020.
Material 5
Linguist kritisiert geschlechtergerechte Sprache „Ein Säugling ist nicht das-
selbe wie ein Gesäugter“
[...] Peter Eisenberg im Gespräch mit Britta Fecke
1
Britta Fecke: [...] Herr Eisenberg, wie lässt sich denn die Existenz der weiblichen
2
Form in unserer Sprache elegant verankern?
3
Peter Eisenberg: Frauen sollten hörbar oder sichtbar in der Sprache sein, am besten
4
beides. Es gibt zwei Strategien: Das eine ist, dass man überhaupt das grammatische
5
Geschlecht vermeidet. Das ist so was, wie wenn man sagt, hier ist eine Professur zu
6
besetzen. Oder indem man Formen verwendet, die Frauen besonders thematisieren.
7
Das ist die berühmte Professorin.
8
Fecke: Es gibt aber Nomen, die können sich nicht in die weibliche Form umwandeln
9
lassen, wenn ich zum Beispiel an Flüchtling denke. Die Flüchtlingin gibt es ja nicht.
10
Was dann?
11
Eisenberg: Ja. Wenn man das Wort Flüchtling verwendet, dann meint man damit
12
Männer und Frauen. Das ist die logische Konsequenz. Der Ausweg über Geflüchtete
13
ist nicht gangbar. Das ist eine Sprachmanipulation, die nicht hingenommen werden
14
kann, jedenfalls nicht von einem Sprachwissenschaftler. Ein Flüchtling ist was voll-
15
kommen anderes als ein Geflüchteter.
16
[...] es ist immer etwas anderes, wenn Sie das Partizip nehmen als die suffigierte
17
Form, wie wir sagen, also die Form mit „-er“ hinten wie Bäcker oder mit „-ling“ wie
18
Flüchtling oder Säugling. Ein Säugling ist auch nicht dasselbe wie ein Gesäugter.
19
Dann ist es eben so und jemand, der sich erdreistet, in einer der größten Sprachen
20
Europas Formen einzuführen, die es nicht gibt und sie dann zu verordnen, der hat
21
doch irgendwie ein schräges Verhältnis zur Demokratie. Das sind Leute, die sind ge-
22
wählt worden, um den Willen ihrer Wähler zu verwirklichen. Und was machen sie als
23
Erstes: Sie wollen die erziehen.
24
Es gibt niemanden, der das Recht hat, in eine Sprache einzugreifen. Das ist das
25
Credo, was ich hier gleich mal zum besten geben möchte. Das hat aber nichts damit
26
zu tun, dass man nicht Frauen sichtbar machen will.

Aus: „Ein Säugling ist nicht dasselbe wie ein Gesäugter“, letzter Zugriff am 23.03.2020.
Material 6
Wir lernen Gumbuzi
Reto U. Schneider
1
Manchmal können einfache Fragen zu überraschenden Antworten führen, wenn man
2
sie nur den richtigen Leuten stellt, so wie die Psychologin Lera Boroditsky von der
3
Standford University in Palo Alto es 2003 tat. Boroditsky bat Versuchspersonen deut-
4
scher Muttersprache, die ersten drei Adjektive aufzuschreiben, die ihnen zum Begriff
5
Brücke einfielen. Dann stellte sie dieselbe Aufgabe spanischsprechenden Proban-
6
den. Die Auswahl der Adjektive unterschied sich dramatisch.
7
Lera Boroditsky beschäftigt sich mit dem Problem, wie die Sprache unser Denken
8
beeinflusst. Sehen Leute, die unterschiedliche Sprachen sprechen, die Welt auch un-
9
terschiedlich? Darüber wird seit langem heftig gestritten. [...].
10
In Boroditskys Experiment ordneten deutsche Muttersprachler der Brücke Adjektive
11
wie elegant, schön, friedlich oder fragil zu, spanische hingegen stark, lang, gross o-
12
der gefährlich. Der Grund für diesen auffälligen Unterschied liegt für Boroditsky auf
13
der Hand. Er liegt in einem scheinbar unbedeutenden sprachlichen Detail: die Brücke
14
heisst el puente; das grammatische Geschlecht ist im Deutschen weiblich, im Spani-
15
schen männlich. [...]

Aus: Wir lernen Gumbuzi, letzter Zugriff am 18.07.2020.

Weiter lernen mit SchulLV-PLUS!

monatlich kündbarSchulLV-PLUS-Vorteile im ÜberblickDu hast bereits einen Account?