Aufgabe 1
Erörterung eines literarischen Textes
Thema: Juli Zeh (* 1974): Corpus Delicti. Ein Prozess (2009) Aufgabenstellung:- Stelle die wesentlichen Aussagen des Textauszugs von Jan Wittmann dar und formuliere schlussfolgernd den zentralen Interpretationsansatz. (ca. 30 %)
- Erörtere auf der Basis deiner Kenntnisse zum Roman Corpus Delicti. Ein Prozess, ob bzw. inwiefern Wittmanns Aussagen über den Justizapparat im Roman auf dessen Vertreter Sophie Stock und Lutz Rosentreter zutreffen. (ca. 70 %)
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Der Roman zeigt […] eine höchst politische Instrumentalisierung des Rechts, das
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die Kritik als Gefährdung brandmarkt und die Gegner gewaltsam unterdrückt.
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Das Recht ist hier, so zeigt der Text, kein autonomes System, das dem Schutz
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übergeordneter Rechtsgüter, sondern vielmehr dem Erhalt eines Gesellschafts-
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modells dient.
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Insbesondere das am Ende des Romans erzählte Verfahren gegen Mia Holl stellt
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den Inszenierungscharakter und die Performativität einer Strafrechtspflege aus,
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der eine system- und weniger eine rechtssichernde Funktion zukommt. […]
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Kennzeichnend sind zum einen die als „schwarze Puppen“ betitelten Justizfigu-
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ren, zu denen neben den Richtern auch der Staatsanwalt und der Verteidiger
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zählen. Diese Umschreibung hebt auf die schwarzen Roben ab, die als vorge-
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schriebene Kleidung während der Gerichtsverhandlung ihre Träger von der au-
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ßergerichtlichen Welt abgrenzen und markieren, dass sich ihr Handeln außerhalb
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des gewöhnlichen und eigentlichen Lebens bewegt. Zudem dient die Robe der
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sichtbaren Differenzierung der im Gerichtssaal anwesenden Menschen zwischen
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denjenigen, die über die Taten des Angeklagten zu Gericht sitzen, und jenen Au-
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ßenstehenden, die das Verfahren durch Zeugnisse unterstützen oder ihm be-
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obachtend beiwohnen. Allerdings bleibt es im Text nicht bei einer bloßen Refe-
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renz auf die konventionalisierte Berufskleidung, vielmehr ist dem Begriff „Puppe“
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eine Wertung eingeschrieben, die neben dem Spielcharakter des Gericht-Haltens
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die Justizfiguren als marionettenhaft und persönlichkeitslos beschreibt.
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Diese subtextuell vermittelte Charakterisierung von Richtern, Staatsanwälten
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und Verteidigern als fremdgesteuerte Ausführungsorgane einer Staatsideologie
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fügt sich in das vom Roman entworfene Bild der Justiz, die das vermeintliche
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Allgemeininteresse schützt und zugleich die „METHODE“ stützt. […]
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Dass der Roman kein rechtsstaatliches Verfahren zeigt, sondern gerade dieser
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Prozess gegen Mia Holl von der Instrumentalisierung des Rechts durch die
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Staatsideologie erzählt, wird auch bei dem Blick auf die Verteidigung durch die
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Figur Rosentreter erkennbar. Der Anwalt verzichtet nach der Verlesung der An-
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klage durch Staatsanwalt Bell entgegen dem Waffengleichheit garantierenden
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Grundsatz der Pflichtverteidigung „aufgrund der erdrückenden Beweislage […]
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auf einen Gegenantrag“ (JZ CD, 253) und „beruft sich auf den Selbstschutz
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von Justizorganen im Strafprozess“ (JZ CD, 254). Die Wahrung der Rechte des
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Angeklagten durch einen hierzu bestellten Verteidiger stellt eine zentrale Errun-
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genschaft des modernen Prozessrechts dar, in dem Anklage, Verteidigung und
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Urteilsfindung nicht mehr im Amt des Inquirenten zusammenfallen, sondern in-
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stitutionell getrennt sind. Die Verteidigung des Angeklagten ist somit ein zentrales
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Merkmal einer ausdifferenzierten und demokratischen Rechtspflege, die in der
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erzählten Welt nicht zuletzt durch diese Einlassung Rosentreters aufgehoben
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wird. Der Anwalt verzichtet auf die Vertretung Mia Holls, weil er sich „durch die
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Verteidigung eines Gefährders [nicht] zum Methodenfeind machen“ (JZ CD, 253)
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möchte. Diese Begründung offenbart, dass das Verfahren nicht der Durchset-
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zung des Rechts dient, das die Gemeinschaft ebenso wie den Angeklagten
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schützt, sondern primär dem Schutz der Staatsideologie. Auch hier wird erken-
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nbar, dass das Recht nicht als ein autonomes System verstanden wird, sondern viel-
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mehr als abhängiges Ausführungsorgan eines totalitären Staates.
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Das Richterhandeln weist ebenso auf diese Verschränkung zwischen Staatspo-
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litik und Rechtspflege hin, da die Gerichtsentscheidung ganz im Sinne eines aus-
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schließlich für die Öffentlichkeit inszenierten Prozesses bereits vor der richterli-
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chen Ermittlung feststeht: „‚Ich komme zur Verlesung der Urteilsformel.‘ Er zieht
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einen Zettel aus der Akte, von dem angenommen werden muss, dass er schon
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vor der Verhandlung geschrieben wurde.“ (JZ CD, 258) Das vorab gefasste Urteil
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macht eine Untersuchung der Tatumstände und aller relevanten Fakten überflüs-
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sig, da die richterliche Ermittlung und Entscheidung grundsätzlich aufeinander
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bezogen sind: Der Richter ermittelt, um auf Grundlage dieser Erkenntnisse an-
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schließend die Sache zu entscheiden. Insgesamt kommt der Richterfigur in die-
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sem Gerichtssetting keine ermittelnde Funktion zu, vielmehr ist er Verfahrenslei-
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ter, der die Durchführung des formalen Prozessablaufs sicherstellt, aber selbst
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keine Untersuchung vornimmt.
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Es ist deutlich geworden, dass der Roman einen Strafprozess erzählt, der in ers-
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ter Linie durch die Sicherung des politischen Gemeinziels bestimmt ist. […]
Anmerkungen zum Autor:
Jan Wittmann (* 1983) ist Germanist, Rechtswissenschaftler und Lehrer. Aus: Wittmann, Jan: Recht sprechen. Richterfiguren bei Kleist, Kafka und Zeh. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag 2018, S. 230–233
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Einleitung
- Der vorliegende Textausschnitt von Jan Wittmann beschäftigt sich mit Juli Zehs 2009 erschienenem Roman Corpus Delicti. Ein Prozess. Wittmann legt dar, dass der im Roman geschilderte Strafprozess gegen die Protagonistin Mia Holl nicht als Ausdruck eines funktionierenden Rechtsstaats, sondern als Instrument staatlicher Machtausübung zu verstehen ist.
- Dabei verknüpft er literaturwissenschaftliche und juristische Perspektiven und interpretiert die Darstellung des Verfahrens als exemplarischen Schauprozess, durch den die Abhängigkeit des Rechts von einer autoritären Ideologie sichtbar wird.
Hauptteil
Wittmann entwickelt seine Argumentation in mehreren Schritten:- Instrumentalisierung des Rechts: Der Roman zeige, dass das Recht in der dargestellten Zukunftsgesellschaft kein autonomes System sei, das den Schutz von Rechtsgütern garantiere.
- Stattdessen diene es dem Erhalt der bestehenden Ordnung (Vgl. Z. 1–5). Damit werde es zu einem Machtinstrument der herrschenden Ideologie, die Kritik und Opposition systematisch unterdrücke.
- Schaucharakter des Verfahrens: Besonders das „Verfahren gegen Mia Holl“ (Z. 6) beweise den Inszenierungscharakter der Rechtsprechung (Vgl. Z. 6–8). Es gehe nicht um Wahrheitsfindung oder gerechte Urteile, sondern um die demonstrative Zurschaustellung staatlicher Macht.
- Symbolik der „schwarzen Puppen“ (Z. 9): Wittmann greift die im Roman verwendete Metapher der „schwarzen Puppen“ für die Justizfiguren auf (Vgl. Z. 9–25). Die schwarze Robe markiere eine Distanz zur Lebenswirklichkeit und mache die Träger zu marionettenhaften, persönlichkeitslosen Funktionären.
- Damit würden Richter, Staatsanwälte und Verteidiger zu fremdgesteuerten Vollstreckern degradiert, die nicht mehr als unabhängige Juristen agieren, sondern nur die Staatsideologie reproduzieren.
- Einschränkung der Verteidigungsrechte: Ein zentrales Recht des modernen Strafprozesses, nämlich die Wahrung der Verteidigungsrechte des Angeklagten, werde im Roman faktisch außer Kraft gesetzt. Wittmann zeigt dies am Beispiel der Figur Rosentreter: Der Pflichtverteidiger verzichte auf eine aktive Verteidigung, stelle keinen Gegenantrag und wolle sich nicht „zum Methodenfeind machen“ (Z. 41). Damit werde das Verteidigungsrecht, das eigentlich ein Garant demokratischer Rechtsfindung ist, zur reinen Formalie degradiert.
- Richterliche Rolle als Verfahrensleiter: Auch das Verhalten des Richters verdeutliche die fehlende Rechtsstaatlichkeit. Das Urteil stehe bereits vor der Verhandlung fest (Vgl. Z. 47–53), der Richter verlese lediglich eine vorbereitete „Urteilsformel“ (Z. 50). Damit sei er nicht unabhängiger Ermittler oder Entscheider, sondern bloßer Zeremonienmeister eines Schauprozesses, der nur den Schein rechtsstaatlicher Ordnung wahrt.
- Schlussfolgerung Wittmanns: Aus all diesen Beobachtungen folgert Wittmann, dass das Verfahren gegen Mia Holl kein legitimer Strafprozess sei. Vielmehr handle es sich um eine Inszenierung zur „Sicherung des politischen Gemeinziels“ (Z. 60). Das Recht erscheine im Roman als abhängiges Ausführungsorgan einer totalitären Staatsideologie, nicht als unabhängige und neutrale Instanz.
Schluss
- Zusammenfassend zeigt Wittmann, dass Zehs Roman Corpus Delicti die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien vorführt und das Recht als Instrument autoritärer Herrschaft entlarvt.
- Der zentrale Interpretationsansatz besteht in der Deutung des Strafprozesses als Schauprozess, der weniger der Wahrheitsfindung oder Gerechtigkeit dient, sondern vielmehr der Demonstration staatlicher Macht und der Disziplinierung Andersdenkender.
- Damit verdeutlicht Wittmann, dass das Recht im Roman seine Schutzfunktion verliert und stattdessen zum Herrschaftsmittel einer totalitären Ordnung wird.
Teilaufgabe 2
Überleitung
- Ausgehend von Wittmanns Diagnose, Corpus Delicti zeige „eine höchst politische Instrumentalisierung des Rechts“ (Z. 1) und eine performative Strafrechtspflege, die eher den Erhalt eines Gesellschaftsmodells als individuellen Rechtsschutz bezwecke (Vgl. Z. 3–9), ist zu prüfen, wie angemessen diese Aussagen für den Justizapparat und die Figuren Sophie Stock und Lutz Rosentreter sind.
- Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob Richterin und Pflichtverteidiger als „schwarze Puppen“ bloße Ausführungsorgane der METHODE sind oder ob der Roman die Figuren ambivalenter zeichnet.
Hauptteil
1. Wittmanns Kernthesen zum Justizapparat- Wittmann stützt seine Kritik auf drei miteinander verschränkte Beobachtungen: (1) Recht dient im Roman vorrangig der Staatsideologie (Vgl. Z. 3–5, 43–46, 60 f.). (2) Gericht und Prozess sind inszeniert; die Robe markiert die Rolle, nicht die Person („schwarze Puppen“). (3)
- Die institutionelle Trennung von Ermittlung, Anklage, Verteidigung und Urteil wird unterlaufen; Entscheidungen stehen faktisch vorab fest (Vgl. Z. 37–41; Z. 49–58). Diese Thesen lassen sich an zentralen Prozesskapiteln des Romans („Der Härtefall“, „Der Hammer“) beispielhaft belegen, müssen jedoch bei der Figurenbewertung präzisiert werden.
- Sophie Stock führt den Prozess streng und formalistisch. Ihre prozessleitenden Eingriffe und knappe, an den gesetzlichen Rahmen gebundene Gesprächsführung stützen Wittmanns Befund einer performativen Justiz (Vgl. Z. 6–9): Die Verhandlung folgt Ritualen und Regieanweisungen; Sophie wirkt lange Zeit wie Teil eines Betriebs, der den gesellschaftlichen Nutzen über individuelle Gerechtigkeit stellt (Vgl. Z. 3–5).
- Die (sprechende) Namenssymbolik – „Stock“ mit Assoziationen zu Starrheit/Steifheit – korrespondiert mit der Idee der „Puppen“-Rolle. Wenn sie Mias Härtefall formal eng auslegt und die Beweislage streng würdigt, scheint sie die Logik der METHODE gegen biografische Besonderheiten zu verteidigen – genau jene „enge Auslegung“ und Ritualfixierung, die Wittmann dem System zuschreibt (Vgl. Z. 6–9, 43–46).
- Der Roman zeichnet Sophie aber nicht als reine Marionette. Mehrfach nutzt sie Spielräume der Verhandlungsführung: Sie lässt verfahrensfremdes Material zu, wenn es zur Wahrheitsfindung beitragen kann (Kap. „Der Härtefall“) – ein Schritt, der der von Wittmann behaupteten starren Rollenperformanz zuwiderläuft (Vgl. Z. 54–58, wo die Trennung von Ermittlung und Entscheidung als Prinzip erinnert wird).
- Zudem zeigt sie Empathie und Deeskalationsversuche im Umgang mit Mia; diese Momente rücken die Richterin vom Klischee der „schwarzen Puppe“ ab, weil ihre Person hinter der Robe durchscheint (Gegenakzent zu Z. 9–23). Dass Sophie für ihre prozessuale Mäßigung und Grenzöffnungen später selbst sanktioniert wird (Kap. „Der Härtefall“), bestätigt zwar Wittmanns Systemkritik (das System duldet Abweichung kaum), weist aber zugleich nach, dass Sophie Handlungsspielräume auslotet – und damit nicht vollständig mit der Staatslogik verschmilzt.
- Wittmanns Aussagen treffen die Rahmenbedingungen von Sophies Amt gut (Ritualisierung, Ideologiebindung), überzeichnen jedoch die Figurenzeichnung, weil der Roman durch Ambivalenzen (Empathie, widerspenstige Regieführung, spätere Bestrafung) eine Rest-Autonomie sichtbar macht.
- Wittmann exemplifiziert am Pflichtverteidiger die Aufhebung der Verteidigungsfunktion im autoritären Setting (Vgl. Z. 37–41). Rosentreter unterwirft sich zunächst dem Zwangsrahmen: Er beruft sich auf die erdrückende Beweislage (Vgl. Z. 30–33), verweist auf Selbstschutz in einem strafprozessual politisierten Feld (Vgl. Z. 32–34) und verzichtet zeitweise auf konfrontatives Verteidigen.
- Diese Haltung stützt Wittmanns Lesart, die Verteidigung sei zur „Alibifunktion“ verkommen (Vgl. Z. 25 f.). Auch die Inszeniertheit des Prozesses – das vorab feststehende Urteil, das der Richter gleichsam „abliest“ (Vgl. Z. 49–53) – erklärt, warum Rosentreter sich taktisch anpasst: Der Erfolg rechtsstaatlicher Verteidigung ist systemisch verunmöglicht, die Rollenlogik zwingt zur Konformität.
- Der Roman lässt Rosentreter zugleich mehrfach ausbrechen. Persönlich von staatlichen Eingriffen in Privatbeziehungen betroffen (Kap. „Unzulässig“), entwickelt er eine eigene Agenda gegen Missstände des Systems. Seine später offensive Prozessstrategie („Was Sie da planen, ist keine Verteidigung. Sondern ein Feldzug.“ – Kap. „Which side are you on“) widerspricht dem von Wittmann skizzierten reinen Alibi-Verteidiger (Vgl. Gegenakzent zu Z. 25–34).
- Auch das medienwirksame Aufdecken des Justizskandals (Kap. „Der Härtefall“) dient – bei aller Selbstprofilierung – nicht nur persönlichem Nutzen, sondern löst die Überprüfung methodenstaatlicher Praktiken vor dem „Höchsten Methodengericht“ aus. Damit bestätigt der Roman zwar Wittmanns Systemkritik (es braucht Skandal und Öffentlichkeit, Vgl. Z. 48–53), zeigt aber zugleich, dass individuelle Handlungsoptionen existieren. Rosentreter ist ambivalent: zeitweise opportun, am Ende konfrontativ; er schwankt zwischen Selbstschutz (Vgl. Z. 32–34) und Solidarisierung mit Mia.
- Wittmanns Befund einer ideologisch verformten Strafrechtspflege (Vgl. Z. 43–46, 60 f.) ist an Rosentreter plausibel; unzureichend bleibt jedoch der Blick auf seine Wandlungsdynamik: Der Roman nutzt ihn als Kippfigur zwischen Anpassung und Widerstand und macht damit Akteursgrenzen und -möglichkeiten im autoritären System sichtbar.
- Über die Figuren hinaus weist der Roman – im Sinne Wittmanns – strukturelle Entkopplungen nach: Ermittlungen finden nicht statt, der Richter „sichert“ nur noch den Prozessverlauf (Vgl. Z. 54–58); die Urteilsfindung fällt nicht mehr im Amt des Inquirenten zusammen, sondern wird inszeniert und vorentschieden (Vgl. Z. 37–41, 49–53).
- Gleichzeitig zeigt die Bestrafung von Abweichungen bei Sophie und die Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten von Rosentreter, wie das System jede Selbstkorrektur verhindert. Dennoch macht die erzählerische Figurenzeichnung (Sophie: Nachsicht und Empathie; Rosentreter: Aktivismus und Skandal) deutlich, dass trotz der inszenierten Abläufe Bereiche ethischer Handlungsspielräume bestehen.
Schluss
- In der Summe sind Wittmanns Systemaussagen hoch angemessen: Corpus Delicti entwirft eine Justiz, die performativ und ideologisch auf die METHODE ausgerichtet ist, die Rollen in schwarzen Roben inszeniert und die Trennung rechtsstaatlicher Funktionen faktisch aufhebt (Vgl. Z. 1–9, 37–41, 49–61). Für die Figurenzeichnung greift die pauschale „Puppen“-Metapher jedoch zu kurz.
- Sophie Stock agiert im Korsett eines ritualisierten Apparats, nutzt aber Ermessensspielräume und zeigt Empathie, weshalb sie gerade wegen dieser Mäßigung sanktioniert wird. Lutz Rosentreter verkörpert die Ambivalenz zwischen Anpassung und Widerstand: anfänglicher Selbstschutz (Vgl. Z. 32–34) schlägt in offensives Anklagen und Öffentlichkeitssuche um.
- Der Roman bestätigt damit Wittmanns Kritik am System, kompliziert sie aber durch mehrdeutige Figuren, die die Grenzen des Justizapparats von innen austesten. Genau diese Ambivalenz macht die Aussage angemessen, sofern man sie figurenbezogen differenziert: Der Apparat funktioniert wie von Wittmann beschrieben – die Menschen darin bleiben dennoch handelnde Subjekte.