Verwandtschaft
Abstammungsverhältnisse
Es besteht nicht immer eine direkte Verbindung zwischen dem äußeren Erscheinungsbild von Arten und ihrer genetischen Verwandtschaft. Bei der Untersuchung der Abstammungsverhältnisse und Verwandtschaftsbeziehungen verschiedener Arten wird unterschieden, ob Ähnlichkeiten auf gemeinsame Vorfahren zurückzuführen sind oder ob sie das Ergebnis einer ähnlichen Anpassung an vergleichbare Umweltbedingungen darstellen. Homologie Homologie bezieht sich auf die grundlegende strukturelle Ähnlichkeit zwischen Organen oder Körperteilen verschiedener Wirbeltiere, auch wenn ihre äußere Erscheinung und Funktion variieren. Die Vordergliedmaßen verschiedener Wirbeltiere weisen unterschiedliche Formen auf und erfüllen verschiedene Zwecke. Die Skelettstruktur der Gliedmaßen verschiedener Arten stimmen jedoch überein.Ein Oberarmknochen, zwei Unterarmknochen, Handwurzelknochen, Mittelhandknochen und Fingerknochen bilden das gemeinsame Grundmuster.
Abb. 1: Vordergliedmaßen verschiedener Wirbeltiere
- Kriterium der Lage: Strukturen im Körper der Individuen weisen die gleiche Lagebeziehung auf. Beispielsweise ist die Reihenfolge der Knochen der Vordergliedmaßen der oben aufgeführten Wirbeltiere identisch.
- Kriterium der spezifischen Qualität: Die Feinstruktur der untersuchten Organe stimmt überein. So bestehen auch die Vordergliedmaßen der beschriebenen Wirbeltiere aus den gleichen Schichten.
- Kriterium der Kontinuität: Die Struktur der Organe sowie mögliche Zwischenformen lassen sich stammesgeschichtlich nachverfolgen. Für die Skelettstruktur der genannten Wirbeltiere gibt es beispielsweise Fossilfunde, die diese Strukturen ebenfalls zeigen.
Analogie tritt auf, wenn biologische Strukturen bei verschiedenen Lebewesen ähnliche Funktionen und äußere Erscheinungsbilder haben, obwohl ihre Grundstrukturen völlig unterschiedlich sind. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung ähnlicher Graborgane bei Maulwurf und Maulwurfsgrille, obwohl ihre Insektenbeine und Säugetierhände grundlegend verschieden sind.
Die Ähnlichkeit in Funktion und Aussehen besteht nur oberflächlich. Bei genauer Betrachtung zeigen sich zahlreiche Unterschiede: Die Grabschaufel der Maulwurfsgrille besteht aus Chitin und hat offene Hämolymphräume, während die Maulwurfshand ein knöchernes Skelett und ein geschlossenes Blutgefäßsystem aufweist.

Abb. 2: Graborgan von Maulwurf und Maulwurfsgrille
Rudimente und Atavismen
Rudimente Rudimente sind Merkmale von Lebewesen, die teilweise oder vollständig ihre ursprüngliche Funktion eingebüßt haben, oft aufgrund von evolutionären Veränderungen in ihrer Umgebung oder Lebensweise. Diese Merkmale können einst wichtige Organe oder Organteile gewesen sein, die im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verloren haben, aber dennoch in veränderter Form im Körper verbleiben. Sie sind oft Relikte vergangener evolutionärer Entwicklungen und können Hinweise auf die Geschichte und die Anpassungsfähigkeit einer Spezies geben. Beispiele- Blinddarm mit Wurmfortsatz: Rest eines größeren Darmanhangs zum Verdauen schwer abbaubarer pflanzlicher Nahrung
- Steißbein: Reste der Schwanzwirbelsäule, die bei anderen Säugetieren noch vorhanden ist
- Reste von Schulter- und Beckengürtel bei Schlangen
- zusätzliche Brustwarzen beim Menschen
- Halsfisteln als Überbleibsel der während der Embryonalentwicklung angelegten Kiemenbögen
- wollige Körperbehaarung
- die Ausbildung eines Schwanzes mit ausgeprägter Schwanzwirbelsäule durch ein herausgewachsenes Steißbein
Darstellung der evolutionären Verwandtschaft
Phylogenetik In der Phylogenetik werden durch den Vergleich von Merkmalen die verwandtschaftlichen Beziehungen erforscht und in einem Stammbaum visualisiert. Die heutigen lebenden Arten werden dabei auf ihre fossilen Vorfahren zurückgeführt. Ziel ist es, den Verlauf der Evolution im Laufe der Geschichte nachzuvollziehen. Eine Darstellungsform von Stammbäumen, das Kladogramm, konzentriert sich darauf, welche Merkmale eine neue Gruppe (Taxon) definieren und wie sie sich im Laufe der Zeit aufgeteilt hat.Das Kladogramm
Ein Ast in einem Kladogramm verzweigt sich immer nur in zwei Äste. Der letzte gemeinsame Vorfahr der neu aufgespalteten Arten liegt dann vor dem Verzweigungspunkt.
Im Kladogramm wird unterschieden, ob homologe Merkmale ursprünglich oder abgeleitet sind. Ursprüngliche Merkmale kommen bei allen Lebewesens eines Taxons vor und sind nicht charakteristisch für eine bestimmte Gruppe innerhalb dieses Taxons. Beim Vergleich verschiedener Wirbeltiere ist das homologe Merkmal „Wirbelsäule“ nicht aussagekräftig, da es sich nicht um ein charakteristisches Merkmal für bestimmte Wirbeltiergruppen handelt.

Abb. 3: Aufbau eines Kladogramms
Phyletische Gruppen
Das Ziel eines phylogenetisches Klassifizierungssystem ist es, Arten auf der Grundlage ihrer evolutionären Herkunft und Verwandtschaft in verschiedene Gruppen einzuteilen. In einem hierarchischen System werden kleinere Gruppen innerhalb größerer Gruppen platziert, ohne dass Überschneidungen zwischen den Gruppen auftreten.- Monophyletische Gruppe: Umfasst alle Arten, die aus dem letzten gemeinsamen Verzweigungspunkt im Stammbaum hervorgehen.
- Paraphyletische Gruppe: Umfasst die Arten einer monophyletischen Gruppe und die Arten, bei denen ein betrachtetes Merkmal sekundär ebenfalls entstanden ist.
- Polyphyletische Gruppe: Umfasst die Arten einer monophyletischen Gruppe und einen Teil ihrer Nachkommen.
Moderne Untersuchungsmethoden
- DNA-Vergleich: Die genetischen Sequenzen von Individuen und Arten weisen Unterschiede auf, die für Verwandtschaftsanalysen genutzt werden können. Mutationen treten in der DNA in regelmäßigen Abständen auf und werden von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Je länger zwei Arten evolutionär voneinander getrent sind, desto mehr Unterschiede zeigen sich in den homologen DNA-Abschnitten.
- Protein-Vergleich: Cytochrom-c war eines der ersten Proteine, das für die Analyse stammesgeschichtlicher Verwandtschaft verwendet wurde. Aufgrund seiner weit verbreiteten Existenz in verschiedenen Organismen und seiner Rolle in der Zellatmung bietet es wertvolle Einblicke in die evolutionären Beziehungen zwischen Arten. Die Struktur des Cytochrom-c ist über die Zeit konserviert geblieben, aber einige Bereiche sind variabel und dienen als Marker für genetische Unterschiede, was es Wissenschaftlern ermöglicht, Stammbäume zu erstellen und die evolutionäre Geschichte des Lebens zu rekonstruieren.