4. Aufzug
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Iason: Ich komme, da du riefst. Denn trotz deines Hasses sollst du keine
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Fehlbitte[1] tun. Nein, ich will hören, Weib, was du so plötzlich von mir willst.
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Medeia: Iason, ich bitte dich, verzeih mir, was ich sagte. Es ist aber billig[2],
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daß du mir den Zorn nicht nachträgst, da wir uns beide viel Gutes
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erwiesen. Doch ging ich mit mir ins Gericht und schalt mich selbst:
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Schreckliches Weib! Was rase ich und zürne denen, die für mein Wohl
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besorgt sind, stelle mich feindlich zum Herrscher dieses Landes und zu
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meinem Gatten. Tut er für uns nicht das Beste, da er die Fürstin heiratet
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und meinen Kindern Brüder schenkt? Was fällt mir ein? Will ich vom Groll
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nicht lassen, wo die Götter alles so gut fügen? Habe ich denn nicht Kinder,
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weiß ich nicht, daß ich das Land verlassen muß und ohne Freunde bin? Als
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ich so in mich ging, sah ich ein, daß ich doch töricht bin und grundlos
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zürne. Jetzt nämlich lobe ich dich. Du scheinst mir klug zu handeln, da du
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uns die neue Verwandtschaft gewannst; ich aber war von Sinnen und hätte
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doch an deinem Plan teilnehmen und ihn fördern sollen, beim Brautbett
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stehen und freudig deine Braut umsorgen. Allein wir sind nun einmal, wie
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wir sind, – ich will nichts Schlimmes sagen – Weiber. Vergilt also nicht
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Böses mit Bösem, setze nicht Torheit gegen Torheit. Ich lenke ein und
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gebe zu, daß ich vorhin Unrecht hatte, doch jetzt habe ich es besser
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überlegt.
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Kinder, Kinder! Kommt her! Verlaßt das Haus, kommt, begrüßt den Vater,
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sprecht mit mir zu ihm; laßt von der früheren Feindschaft, werdet wieder
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Freunde wie eure Mutter! Denn nun sind wir versöhnt, verflogen ist der
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Groll. Faßt seine rechte Hand! Ach! Wie kommt mir doch das verborgene
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Unheil in den Sinn! Wie lange, liebe Kinder, werdet ihr noch leben und eure
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lieben Hände ausstrecken? Ich Arme! Wie bin ich plötzlich voller Tränen
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und voll Furcht! Weil ich so spät vom Streit mit eurem Vater ließ, fließen
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nun Tränen über dieses zarte Antlitz.
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Chor: Auch mir fließen helle Tränen aus den Augen. Wenn nur kein Unglück
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geschieht, das größer ist als dieses!
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Iason: Frau, ich lobe deine neue Gesinnung und will die frühere nicht
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tadeln. Natürlich zürnt die Frau dem Gatten, der eine neue Ehe nach der
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ersten schließt. Doch hast du dich eines Besseren besonnen und, wenn
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auch spät, meine überlegene Einsicht anerkannt. So macht es eine
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vernünftige Frau. Für euch aber, liebe Kinder, hat der Vater nicht unbedacht
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eine mächtige Stütze errichtet, und die Götter halfen ihm. Ich glaube
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nämlich, daß ihr mit euren Brüdern einst die Ersten hier im Land Korinth
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sein werdet. Gedeiht nur recht! Das andere wird euer Vater wirken und
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Götter, die uns gnädig sind. Ich möchte gern erleben, daß ihr heranwachst,
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zu Männern reift und meinen Feinden überlegen seid! Doch du, was
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netzest du die Augen mit hellen Tränen und wendest das bleiche Antlitz
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ab? Warum nimmst du meine Worte nicht freudig auf?
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Medeia: Nichts, nichts! Ich dachte nur an die Kinder und -
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Iason: Jetzt kannst du doch beruhigt sein. Ich werde sie gut versorgen.
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Medeia: Ich will ja ruhig sein. Deinen Worten mißtraue ich gewiß nicht. Ein
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Weib ist eben empfindsam und stets den Tränen nah.
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Iason: Was jammerst du denn so haltlos über die Kinder?
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Medeia: Ich bin doch ihre Mutter. Und als du vorhin den Kindern langes
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Leben wünschtest, faßten mich Jammer und Zweifel, ob sich dieser
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Wunsch erfüllt. Doch das, worüber du mit mir reden sollst, ist nur zum Teil
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besprochen, das andere sage ich jetzt. Da es dem Herrscher beliebt, mich
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aus dem Land zu schicken, sehe ich wohl ein, daß es auch für mich das
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Beste ist, nicht hier zu bleiben, dir und dem Landesherrn zur Last; ich gelte
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ja als Feindin des Königshauses. So fliehe ich und gehe außer Landes. Du
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aber bitte Kreon, daß die Kinder das Land nicht verlassen müssen, damit
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sie unter deiner Obhut aufwachsen.
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Iason: Ich weiß nicht, ob ich ihn überreden kann. Doch muß man es
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versuchen.
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Medeia: Dann bitte doch die Gattin, ihren Vater anzuflehen, daß die Kinder
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das Land nicht verlassen müssen.
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Iason: Das tue ich gern und denke, ich kann sie überreden.
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Medeia: Gewiß, wenn sie wie andere Frauen ist. Doch auch ich will dir bei
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dieser Mühe helfen. Ich will die Kinder mit Geschenken zu ihr senden, die,
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das weiß ich gewiß, das Allerschönste sind, was es jetzt auf der Welt gibt,
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ein feines Kleid und ein Kranz aus getriebenem Gold. Eine Dienerin soll den
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Schmuck schleunigst herbringen. Nicht einmal, sondern tausendmal wird
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sie sich glücklich preisen, daß sie dich, den größten Helden, zum Gemahl
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gewann und den Schmuck besitzt, den einst Helios, der Vater meines
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Vaters, seinen Enkeln gab. Nehmt die Gabe hier, Kinder, bringt sie der
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glücklichen Königsbraut, übergebt sie ihr! Sie wird ein unverächtliches[3]
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Geschenk erhalten.
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Iason: Du Törin, was beraubst du dich dieses Schmuckes? Meinst du, dem
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Herrscherhaus fehle es an Gewändern oder Gold? Bewahre die Kleinode
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auf und gib sie nicht weg! Denn wenn meine Frau etwas auf mich hält,
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zieht sie mich den Schätzen vor, das weiß ich gewiß.
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Medeia: Sag das nicht! Es heißt, daß Geschenke sogar Götter gewinnen.
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Gold vermag bei Menschen mehr als tausend Worte. Sie ist jetzt glücklich,
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Gott erhöht ihr Los, sie ist die junge Fürstin. Um die Verbannung meiner
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Kinder abzuwenden, gäbe ich mein Leben, nicht nur Gold. Geht, Kinder, in
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den reichen Palast, fleht die junge Frau eures Vaters, meine Herrin, an!
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Bittet, wenn ihr den Schmuck überreicht, daß ihr das Land nicht verlassen
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müßt! Mit eigener Hand – denn darauf kommt es an – muß sie die Gabe
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nehmen. Geht rasch! Richtet den Auftrag sorgsam aus und bringt der
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Mutter frohe Kunde, daß ihr Wunsch erfüllt ist.
[1] Fehlbitte: vergebliche Bitte
[2] billig: im Sinne von recht und billig
[3] unverächtliches: im Sinne von nicht zu verachten