Abschnitt 8
     2
     
    
      Inzwischen war auch der Junker seiner Haft in Wittenberg entlassen, und
     
    
     3
     
    
      nach Herstellung von einer gefährlichen Rose, die seinen Fuß entzündet
     
    
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      hatte, von dem Landesgericht unter peremtorischen Bedingungen
     
    
     5
     
    
      aufgefordert worden, sich zur Verantwortung auf die von dem Roßhändler
     
    
     6
     
    
      Kohlhaas gegen ihn eingereichte Klage, wegen widerrechtlich
     
    
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      abgenommener und zu Grunde gerichteter Rappen, in Dresden zu stellen.
     
    
     8
     
    
      Die Gebrüder Kämmerer und Mundschenk von Tronka, Lehnsvettern des
     
    
     9
     
    
      Junkers, in deren Hause er abtrat, empfingen ihn mit der größesten
     
    
     10
     
    
      Erbitterung und Verachtung; sie nannten ihn einen Elenden und
     
    
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      Nichtswürdigen, der Schande und Schmach über die ganze Familie bringe,
     
    
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      kündigten ihm an, daß er seinen Prozeß nunmehr unfehlbar verlieren
     
    
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      würde, und forderten ihn auf, nur gleich zur Herbeischaffung der Rappen,
     
    
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      zu deren Dickfütterung er, zum Hohngelächter der Welt, verdammt werden
     
    
     15
     
    
      werde, Anstalt zu machen. Der Junker sagte, mit schwacher, zitternder
     
    
     16
     
    
      Stimme: er sei der bejammernswürdigste Mensch von der Welt. Er
     
    
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      verschwor sich, daß er von dem ganzen verwünschten Handel, der ihn ins
     
    
     18
     
    
      Unglück stürze, nur wenig gewußt, und daß der Schloßvogt und der
     
    
     19
     
    
      Verwalter an allem schuld wären, indem sie die Pferde, ohne sein
     
    
     20
     
    
      entferntestes Wissen und Wollen, bei der Ernte gebraucht, und durch
     
    
     21
     
    
      unmäßige Anstrengungen, zum Teil auf ihren eigenen Feldern, zu Grunde
     
    
     22
     
    
      gerichtet hätten. Er setzte sich, indem er dies sagte, und bat ihn nicht durch
     
    
     23
     
    
      Kränkungen und Beleidigungen in das Übel, von dem er nur soeben erst
     
    
     24
     
    
      erstanden sei, mutwillig zurückzustürzen. Am andern Tage schrieben die
     
    
     25
     
    
      Herren Hinz und Kunz, die in der Gegend der eingeäscherten Tronkenburg
     
    
     26
     
    
      Güter besaßen, auf Ansuchen des Junkers, ihres Vetters, weil doch nichts
     
    
     27
     
    
      anders übrig blieb, an ihre dort befindlichen Verwalter und Pächter, um
     
    
     28
     
    
      Nachricht über die an jenem unglücklichen Tage abhanden gekommenen
     
    
     29
     
    
      und seitdem gänzlich verschollenen Rappen einzuziehn. Aber alles, was sie
     
    
     30
     
    
      bei der gänzlichen Verwüstung des Platzes, und der Niedermetzelung fast
     
    
     31
     
    
      aller Einwohner, erfahren konnten, war, daß ein Knecht sie, von den flachen
     
    
     32
     
    
      Hieben des Mordbrenners getrieben, aus dem brennenden Schuppen, in
     
    
     33
     
    
      welchem sie standen, gerettet, nachher aber auf die Frage, wo er sie
     
    
     34
     
    
      hinführen, und was er damit anfangen solle, von dem grimmigen Wüterich
     
    
     35
     
    
      einen Fußtritt zur Antwort erhalten habe. Die alte, von der Gicht geplagte
     
    
     36
     
    
      Haushälterin des Junkers, die sich nach Meißen geflüchtet hatte,
     
    
     37
     
    
      versicherte demselben, auf eine schriftliche Anfrage, daß der Knecht sich,
     
    
     38
     
    
      am Morgen jener entsetzlichen Nacht, mit den Pferden nach der
     
    
     39
     
    
      brandenburgischen Grenze gewandt habe; doch alle Nachfragen, die man
     
    
     40
     
    
      daselbst anstellte, waren vergeblich, und es schien dieser Nachricht ein
     
    
     41
     
    
      Irrtum zum Grunde zu liegen, indem der Junker keinen Knecht hatte, der im
     
    
     42
     
    
      Brandenburgischen, oder auch nur auf der Straße dorthin, zu Hause war.
     
    
     43
     
    
      Männer aus Dresden, die wenige Tage nach dem Brande der Tronkenburg
     
    
     44
     
    
      in Wilsdruf gewesen waren, sagten aus, daß um die benannte Zeit ein
     
    
     45
     
    
      Knecht mit zwei an der Halfter gehenden Pferden dort angekommen, und
     
    
     46
     
    
      die Tiere, weil sie sehr elend gewesen wären, und nicht weiter fort gekonnt
     
    
     47
     
    
      hätten, im Kuhstall eines Schäfers, der sie wieder hätte aufbringen wollen,
     
    
     48
     
    
      stehen gelassen hätte. Es schien mancherlei Gründe wegen sehr
     
    
     49
     
    
      wahrscheinlich, daß dies die in Untersuchung stehenden Rappen waren;
     
    
     50
     
    
      aber der Schäfer aus Wilsdruf hatte sie, wie Leute, die dorther kamen,
     
    
     51
     
    
      versicherten, schon wieder, man wußte nicht an wen, verhandelt; und ein
     
    
     52
     
    
      drittes Gerücht, dessen Urheber unentdeckt blieb, sagte gar aus, daß die
     
    
     53
     
    
      Pferde bereits in Gott verschieden, und in der Knochengrube zu Wilsdruf
     
    
     54
     
    
      begraben wären. Die Herren Hinz und Kunz, denen diese Wendung der
     
    
     55
     
    
      Dinge, wie man leicht begreift, die erwünschteste war, indem sie dadurch,
     
    
     56
     
    
      bei des Junkers ihres Vetters Ermangelung eigener Ställe, der
     
    
     57
     
    
      Notwendigkeit, die Rappen in den ihrigen aufzufüttern, überhoben waren,
     
    
     58
     
    
      wünschten gleichwohl, völliger Sicherheit wegen, diesen Umstand zu
     
    
     59
     
    
      bewahrheiten. Herr Wenzel von Tronka erließ demnach, als Erb-, Lehnsund
     
    
     60
     
    
      Gerichtsherr, ein Schreiben an die Gerichte zu Wilsdruf, worin er
     
    
     61
     
    
      dieselben, nach einer weitläufigen Beschreibung der Rappen, die, wie er
     
    
     62
     
    
      sagte, ihm anvertraut und durch einen Unfall abhanden gekommen wären,
     
    
     63
     
    
      dienstfreundlichst ersuchte, den dermaligen Aufenthalt derselben zu
     
    
     64
     
    
      erforschen, und den Eigner, wer er auch sei, aufzufordern und anzuhalten,
     
    
     65
     
    
      sie, gegen reichliche Wiedererstattung aller Kosten, in den Ställen des
     
    
     66
     
    
      Kämmerers, Herrn Kunz, zu Dresden abzuliefern. Dem gemäß erschien
     
    
     67
     
    
      auch wirklich, wenige Tage darauf, der Mann an den sie der Schäfer aus
     
    
     68
     
    
      Wilsdruf verhandelt hatte, und führte sie, dürr und wankend, an die Runge
     
    
     69
     
    
      seines Karrens gebunden, auf den Markt der Stadt; das Unglück aber Herrn
     
    
     70
     
    
      Wenzels, und noch mehr des ehrlichen Kohlhaas wollte, daß es der
     
    
     71
     
    
      Abdecker aus Döbbeln war.
     
    
     72
     
    
      Sobald Herr Wenzel, in Gegenwart des Kämmerers, seines Vetters, durch
     
    
     73
     
    
      ein unbestimmtes Gerücht vernommen hatte, daß ein Mann mit zwei
     
    
     74
     
    
      schwarzen aus dem Brande der Tronkenburg entkommenen Pferden in der
     
    
     75
     
    
      Stadt angelangt sei, begaben sich beide, in Begleitung einiger aus dem
     
    
     76
     
    
      Hause zusammengerafften Knechte, auf den Schloßplatz, wo er stand, um
     
    
     77
     
    
      sie demselben, falls es die dem Kohlhaas zugehörigen wären, gegen
     
    
     78
     
    
      Erstattung der Kosten abzunehmen, und nach Hause zu führen. Aber wie
     
    
     79
     
    
      betreten waren die Ritter, als sie bereits einen, von Augenblick zu
     
    
     80
     
    
      Augenblick sich vergrößernden Haufen von Menschen, den das Schauspiel
     
    
     81
     
    
      herbeigezogen, um den zweirädrigen Karren, an dem die Tiere befestigt
     
    
     82
     
    
      waren, erblickten; unter unendlichem Gelächter einander zurufend, daß die
     
    
     83
     
    
      Pferde schon, um derenthalben der Staat wanke, an den Schinder
     
    
     84
     
    
      gekommen wären! Der Junker, der um den Karren herumgegangen war, und
     
    
     85
     
    
      die jämmerlichen Tiere, die alle Augenblicke sterben zu wollen schienen,
     
    
     86
     
    
      betrachtet hatte, sagte verlegen: das wären die Pferde nicht, die er dem
     
    
     87
     
    
      Kohlhaas abgenommen; doch Herr Kunz, der Kämmerer, einen Blick
     
    
     88
     
    
      sprachlosen Grimms voll auf ihn werfend, der, wenn er von Eisen gewesen
     
    
     89
     
    
      wäre, ihn zerschmettert hätte, trat, indem er seinen Mantel, Orden und Kette
     
    
     90
     
    
      entblößend, zurückschlug, zu dem Abdecker heran, und fragte ihn: ob das
     
    
     91
     
    
      die Rappen wären, die der Schäfer von Wilsdruf an sich gebracht, und der
     
    
     92
     
    
      Junker Wenzel von Tronka, dem sie gehörten, bei den Gerichten daselbst
     
    
     93
     
    
      requiriert hätte? Der Abdecker, der, einen Eimer Wasser in der Hand,
     
    
     94
     
    
      beschäftigt war, einen dicken, wohlbeleibten Gaul, der seinen Karren zog,
     
    
     95
     
    
      zu tränken, sagte: »die schwarzen?« – Er streifte dem Gaul, nachdem er
     
    
     96
     
    
      den Eimer niedergesetzt, das Gebiß aus dem Maul, und sagte: »die Rappen,
     
    
     97
     
    
      die an die Runge gebunden wären, hätte ihm der Schweinehirte von
     
    
     98
     
    
      Hainichen verkauft. Wo der sie her hätte, und ob sie von dem Wilsdrufer
     
    
     99
     
    
      Schäfer kämen, das wisse er nicht. Ihm hätte«, sprach er, während er den
     
    
     100
     
    
      Eimer wieder aufnahm, und zwischen Deichsel und Knie anstemmte: »ihm
     
    
     101
     
    
      hätte der Gerichtsbote aus Wilsdruf gesagt, daß er sie nach Dresden in das
     
    
     102
     
    
      Haus derer von Tronka bringen solle; aber der Junker, an den er gewiesen
     
    
     103
     
    
      sei, heiße Kunz.« Bei diesen Worten wandte er sich mit dem Rest des
     
    
     104
     
    
      Wassers, den der Gaul im Eimer übrig gelassen hatte, und schüttete ihn auf
     
    
     105
     
    
      das Pflaster der Straße aus. Der Kämmerer, der, von den Blicken der
     
    
     106
     
    
      hohnlachenden Menge umstellt, den Kerl, der mit empfindungslosem Eifer
     
    
     107
     
    
      seine Geschäfte betrieb, nicht bewegen konnte, daß er ihn ansah, sagte:
     
    
     108
     
    
      daß er der Kämmerer, Kunz von Tronka, wäre; die Rappen aber, die er an
     
    
     109
     
    
      sich bringen solle, müßten dem Junker, seinem Vetter, gehören; von einem
     
    
     110
     
    
      Knecht, der bei Gelegenheit des Brandes aus der Tronkenburg entwichen,
     
    
     111
     
    
      an den Schäfer zu Wilsdruf gekommen, und ursprünglich zwei dem
     
    
     112
     
    
      Roßhändler Kohlhaas zugehörige Pferde sein! Er fragte den Kerl, der mit
     
    
     113
     
    
      gespreizten Beinen dastand, und sich die Hosen in die Höhe zog: ob er
     
    
     114
     
    
      davon nichts wisse? Und ob sie der Schweinehirte von Hainichen nicht
     
    
     115
     
    
      vielleicht, auf welchen Umstand alles ankomme, von dem Wilsdrufer
     
    
     116
     
    
      Schäfer, oder von einem Dritten, der sie seinerseits von demselben gekauft,
     
    
     117
     
    
      erstanden hätte? – Der Abdecker, der sich an den Wagen gestellt und sein
     
    
     118
     
    
      Wasser abgeschlagen hatte, sagte: »er wäre mit den Rappen nach Dresden
     
    
     119
     
    
      bestellt, um in dem Hause derer von Tronka sein Geld dafür zu empfangen.
     
    
     120
     
    
      Was er da vorbrächte, verstände er nicht; und ob sie, vor dem
     
    
     121
     
    
      Schweinehirten aus Hainichen, Peter oder Paul besessen hätte, oder der
     
    
     122
     
    
      Schäfer aus Wilsdruf, gelte ihm, da sie nicht gestohlen wären, gleich.« Und
     
    
     123
     
    
      damit ging er, die Peitsche quer über seinen breiten Rücken, nach einer
     
    
     124
     
    
      Kneipe, die auf dem Platze lag, in der Absicht, hungrig wie er war, ein
     
    
     125
     
    
      Frühstück einzunehmen. Der Kämmerer, der auf der Welt Gottes nicht
     
    
     126
     
    
      wußte, was er mit Pferden, die der Schweinehirte von Hainichen an den
     
    
     127
     
    
      Schinder in Döbbeln verkauft, machen solle, falls es nicht diejenigen wären,
     
    
     128
     
    
      auf welchen der Teufel durch Sachsen ritt, forderte den Junker auf, ein Wort
     
    
     129
     
    
      zu sprechen; doch da dieser mit bleichen, bebenden Lippen erwiderte: das
     
    
     130
     
    
      Ratsamste wäre, daß man die Rappen kaufe, sie möchten dem Kohlhaas
     
    
     131
     
    
      gehören oder nicht: so trat der Kämmerer, Vater und Mutter, die ihn
     
    
     132
     
    
      geboren, verfluchend, indem er sich den Mantel zurückschlug, gänzlich
     
    
     133
     
    
      unwissend, was er zu tun oder zu lassen habe, aus dem Haufen des Volks
     
    
     134
     
    
      zurück. Er rief den Freiherrn von Wenk, einen Bekannten, der über die
     
    
     135
     
    
      Straße ritt, zu sich heran, und trotzig, den Platz nicht zu verlassen, eben
     
    
     136
     
    
      weil das Gesindel höhnisch auf ihn einblickte, und, mit vor dem Mund
     
    
     137
     
    
      zusammengedrückten Schnupftüchern, nur auf seine Entfernung zu warten
     
    
     138
     
    
      schien, um loszuplatzen, bat er ihn, bei dem Großkanzler, Grafen Wrede,
     
    
     139
     
    
      abzusteigen, und durch dessen Vermittelung den Kohlhaas zur
     
    
     140
     
    
      Besichtigung der Rappen herbeizuschaffen. Es traf sich, daß Kohlhaas
     
    
     141
     
    
      eben, durch einen Gerichtsboten herbeigerufen, in dem Gemach des
     
    
     142
     
    
      Großkanzlers, gewisser, die Deposition in Lützen betreffenden
     
    
     143
     
    
      Erläuterungen wegen, die man von ihm bedurfte, gegenwärtig war, als der
     
    
     144
     
    
      Freiherr, in der eben erwähnten Absicht, zu ihm ins Zimmer trat; und
     
    
     145
     
    
      während der Großkanzler sich mit einem verdrießlichen Gesicht vom
     
    
     146
     
    
      Sessel erhob, und den Roßhändler, dessen Person jenem unbekannt war,
     
    
     147
     
    
      mit den Papieren, die er in der Hand hielt, zur Seite stehen ließ, stellte der
     
    
     148
     
    
      Freiherr ihm die Verlegenheit, in welcher sich die Herren von Tronka
     
    
     149
     
    
      befanden, vor. Der Abdecker von Döbbeln sei, auf mangelhafte Requisition
     
    
     150
     
    
      der Wilsdrufer Gerichte, mit Pferden erschienen, deren Zustand so heillos
     
    
     151
     
    
      beschaffen wäre, daß der Junker Wenzel anstehen müsse, sie für die dem
     
    
     152
     
    
      Kohlhaas gehörigen anzuerkennen; dergestalt, daß, falls man sie
     
    
     153
     
    
      gleichwohl dem Abdecker abnehmen solle, um in den Ställen der Ritter, zu
     
    
     154
     
    
      ihrer Wiederherstellung, einen Versuch zu machen, vorher eine
     
    
     155
     
    
      Okular-Inspektion des Kohlhaas, um den besagten Umstand außer Zweifel
     
    
     156
     
    
      zu setzen, notwendig sei. »Habt demnach die Güte, schloß er, den
     
    
     157
     
    
      Roßhändler durch eine Wache aus seinem Hause abholen und auf den
     
    
     158
     
    
      Markt, wo die Pferde stehen, hinführen zu lassen.« Der Großkanzler, indem
     
    
     159
     
    
      er sich eine Brille von der Nase nahm, sagte: daß er in einem doppelten
     
    
     160
     
    
      Irrtum stünde; einmal, wenn er glaube, daß der in Rede stehende Umstand
     
    
     161
     
    
      anders nicht, als durch eine Okular-Inspektion des Kohlhaas auszumitteln
     
    
     162
     
    
      sei; und dann, wenn er sich einbilde, er, der Kanzler, sei befugt, den
     
    
     163
     
    
      Kohlhaas durch eine Wache, wohin es dem Junker beliebe, abführen zu
     
    
     164
     
    
      lassen. Dabei stellte er ihm den Roßhändler, der hinter ihm stand, vor, und
     
    
     165
     
    
      bat ihn, indem er sich niederließ und seine Brille wieder aufsetzte, sich in
     
    
     166
     
    
      dieser Sache an ihn selbst zu wenden. – Kohlhaas, der mit keiner Miene,
     
    
     167
     
    
      was in seiner Seele vorging, zu erkennen gab, sagte: daß er bereit wäre,
     
    
     168
     
    
      ihm zur Besichtigung der Rappen, die der Abdecker in die Stadt gebracht,
     
    
     169
     
    
      auf den Markt zu folgen. Er trat, während der Freiherr sich betroffen zu ihm
     
    
     170
     
    
      umkehrte, wieder an den Tisch des Großkanzlers heran, und nachdem er
     
    
     171
     
    
      demselben noch, aus den Papieren seiner Brieftasche, mehrere, die
     
    
     172
     
    
      Deposition in Lützen betreffende Nachrichten gegeben hatte, beurlaubte er
     
    
     173
     
    
      sich von ihm; der Freiherr, der, über das ganze Gesicht rot, ans Fenster
     
    
     174
     
    
      getreten war, empfahl sich ihm gleichfalls; und beide gingen, begleitet von
     
    
     175
     
    
      den drei durch den Prinzen von Meißen eingesetzten Landsknechten, unter
     
    
     176
     
    
      dem Troß einer Menge von Menschen, nach dem Schloßplatz hin. Der
     
    
     177
     
    
      Kämmerer, Herr Kunz, der inzwischen den Vorstellungen mehrerer Freunde,
     
    
     178
     
    
      die sich um ihn eingefunden hatten, zum Trotz, seinen Platz, dem Abdecker
     
    
     179
     
    
      von Döbbeln gegenüber, unter dem Volke behauptet hatte, trat, sobald der
     
    
     180
     
    
      Freiherr mit dem Roßhändler erschien, an den letzteren heran, und fragte
     
    
     181
     
    
      ihn, indem er sein Schwert, mit Stolz und Ansehen, unter dem Arm hielt: ob
     
    
     182
     
    
      die Pferde, die hinter dem Wagen stünden, die seinigen wären? Der
     
    
     183
     
    
      Roßhändler, nachdem er, mit einer bescheidenen Wendung gegen den die
     
    
     184
     
    
      Frage an ihn richtenden Herrn, den er nicht kannte, den Hut gerückt hatte,
     
    
     185
     
    
      trat, ohne ihm zu antworten, im Gefolge sämtlicher Ritter, an den
     
    
     186
     
    
      Schinderkarren heran; und die Tiere, die, auf wankenden Beinen, die
     
    
     187
     
    
      Häupter zur Erde gebeugt, dastanden, und von dem Heu, das ihnen der
     
    
     188
     
    
      Abdecker vorgelegt hatte, nicht fraßen, flüchtig, aus einer Ferne von zwölf
     
    
     189
     
    
      Schritt, in welcher er stehen blieb, betrachtet: gnädigster Herr! wandte er
     
    
     190
     
    
      sich wieder zu dem Kämmerer zurück, der Abdecker hat ganz recht; die
     
    
     191
     
    
      Pferde, die an seinen Karren gebunden sind, gehören mir! Und damit,
     
    
     192
     
    
      indem er sich in dem ganzen Kreise der Herren umsah, rückte er den Hut
     
    
     193
     
    
      noch einmal, und begab sich, von seiner Wache begleitet, wieder von dem
     
    
     194
     
    
      Platz hinweg. Bei diesen Worten trat der Kämmerer, mit einem raschen,
     
    
     195
     
    
      seinen Helmbusch erschütternden Schritt zu dem Abdecker heran, und
     
    
     196
     
    
      warf ihm einen Beutel mit Geld zu; und während dieser sich, den Beutel in
     
    
     197
     
    
      der Hand, mit einem bleiernen Kamm die Haare über die Stirn
     
    
     198
     
    
      zurückkämmte, und das Geld betrachtete, befahl er einem Knecht, die
     
    
     199
     
    
      Pferde abzulösen und nach Hause zu führen! Der Knecht, der auf den Ruf
     
    
     200
     
    
      des Herrn, einen Kreis von Freunden und Verwandten, die er unter dem
     
    
     201
     
    
      Volke besaß, verlassen hatte, trat auch, in der Tat, ein wenig rot im Gesicht,
     
    
     202
     
    
      über eine große Mistpfütze, die sich zu ihren Füßen gebildet hatte, zu den
     
    
     203
     
    
      Pferden heran; doch kaum hatte er ihre Halftern erfaßt, um sie loszubinden,
     
    
     204
     
    
      als ihn Meister Himboldt, sein Vetter, schon beim Arm ergriff, und mit den
     
    
     205
     
    
      Worten: du rührst die Schindmähren nicht an! von dem Karren
     
    
     206
     
    
      hinwegschleuderte. Er setzte, indem er sich mit ungewissen Schritten über
     
    
     207
     
    
      die Mistpfütze wieder zu dem Kämmerer, der über diesen Vorfall sprachlos
     
    
     208
     
    
      dastand, zurück wandte, hinzu: daß er sich einen Schinderknecht
     
    
     209
     
    
      anschaffen müsse, um ihm einen solchen Dienst zu leisten! Der Kämmerer,
     
    
     210
     
    
      der, vor Wut schäumend, den Meister auf einen Augenblick betrachtet
     
    
     211
     
    
      hatte, kehrte sich um, und rief über die Häupter der Ritter, die ihn
     
    
     212
     
    
      umringten, hinweg, nach der Wache; und sobald, auf die Bestellung des
     
    
     213
     
    
      Freiherrn von Wenk, ein Offizier mit einigen kurfürstlichen Trabanten, aus
     
    
     214
     
    
      dem Schloß erschienen war, forderte er denselben unter einer kurzen
     
    
     215
     
    
      Darstellung der schändlichen Aufhetzerei, die sich die Bürger der Stadt
     
    
     216
     
    
      erlaubten, auf, den Rädelsführer, Meister Himboldt, in Verhaft zu nehmen.
     
    
     217
     
    
      Er verklagte den Meister, indem er ihn bei der Brust faßte: daß er seinen,
     
    
     218
     
    
      die Rappen auf seinen Befehl losbindenden Knecht von dem Karren
     
    
     219
     
    
      hinwegeschleudert und mißhandelt hätte. Der Meister, indem er den
     
    
     220
     
    
      Kämmerer mit einer geschickten Wendung, die ihn befreiete, zurückwies,
     
    
     221
     
    
      sagte: gnädigster Herr! einem Burschen von zwanzig Jahren bedeuten, was
     
    
     222
     
    
      er zu tun hat, heißt nicht, ihn verhetzen! Befragt ihn, ob er sich gegen
     
    
     223
     
    
      Herkommen und Schicklichkeit mit den Pferden, die an die Karre gebunden
     
    
     224
     
    
      sind, befassen will; will er es, nach dem, was ich gesagt, tun: sei's!
     
    
     225
     
    
      Meinethalb mag er sie jetzt abludern und häuten! Bei diesen Worten wandte
     
    
     226
     
    
      sich der Kämmerer zu dem Knecht herum, und fragte ihn: ob er irgend
     
    
     227
     
    
      Anstand nähme, seinen Befehl zu erfüllen, und die Pferde, die dem
     
    
     228
     
    
      Kohlhaas gehörten, loszubinden, und nach Hause zu führen? und da dieser
     
    
     229
     
    
      schüchtern, indem er sich unter die Bürger mischte, erwiderte: die Pferde
     
    
     230
     
    
      müßten erst ehrlich gemacht werden, bevor man ihm das zumute; so folgte
     
    
     231
     
    
      ihm der Kämmerer von hinten, riß ihm den Hut ab, der mit seinem
     
    
     232
     
    
      Hauszeichen geschmückt war, zog, nachdem er den Hut mit Füßen
     
    
     233
     
    
      getreten, von Leder, und jagte den Knecht mit wütenden Hieben der Klinge
     
    
     234
     
    
      augenblicklich vom Platz weg und aus seinen Diensten. Meister Himboldt
     
    
     235
     
    
      rief: schmeißt den Mordwüterich doch gleich zu Boden! und während die
     
    
     236
     
    
      Bürger, von diesem Auftritt empört, zusammentraten, und die Wache
     
    
     237
     
    
      hinwegdrängten, warf er den Kämmerer von hinten nieder, riß ihm Mantel,
     
    
     238
     
    
      Kragen und Helm ab, wand ihm das Schwert aus der Hand, und schleuderte
     
    
     239
     
    
      es, in einem grimmigen Wurf, weit über den Platz hinweg. Vergebens rief
     
    
     240
     
    
      der Junker Wenzel, indem er sich aus dem Tumult rettete, den Rittern zu,
     
    
     241
     
    
      seinem Vetter beizuspringen; ehe sie noch einen Schritt dazu getan hatten,
     
    
     242
     
    
      waren sie schon von dem Andrang des Volks zerstreut, dergestalt, daß der
     
    
     243
     
    
      Kämmerer, der sich den Kopf beim Fallen verletzt hatte, der ganzen Wut der
     
    
     244
     
    
      Menge preis gegeben war. Nichts, als die Erscheinung eines Trupps
     
    
     245
     
    
      berittener Landsknechte, die zufällig über den Platz zogen, und die der
     
    
     246
     
    
      Offizier der kurfürstlichen Trabanten zu seiner Unterstützung herbeirief,
     
    
     247
     
    
      konnte den Kämmerer retten. Der Offizier, nachdem er den Haufen verjagt,
     
    
     248
     
    
      ergriff den wütenden Meister, und während derselbe durch einige Reuter
     
    
     249
     
    
      nach dem Gefängnis gebracht ward, hoben zwei Freunde den
     
    
     250
     
    
      unglücklichen mit Blut bedeckten Kämmerer vom Boden auf, und führten
     
    
     251
     
    
      ihn nach Hause. Einen so heillosen Ausgang nahm der wohlgemeinte und
     
    
     252
     
    
      redliche Versuch, dem Roßhändler wegen des Unrechts, das man ihm
     
    
     253
     
    
      zugefügt, Genugtuung zu verschaffen. Der Abdecker von Döbbeln, dessen
     
    
     254
     
    
      Geschäft abgemacht war, und der sich nicht länger aufhalten wollte, band,
     
    
     255
     
    
      da sich das Volk zu zerstreuen anfing, die Pferde an einen Laternenpfahl,
     
    
     256
     
    
      wo sie, den ganzen Tag über, ohne daß sich jemand um sie bekümmerte,
     
    
     257
     
    
      ein Spott der Straßenjungen und Tagediebe, stehen blieben; dergestalt, daß
     
    
     258
     
    
      in Ermangelung aller Pflege und Wartung die Polizei sich ihrer annehmen
     
    
     259
     
    
      mußte, und gegen Einbruch der Nacht den Abdecker von Dresden
     
    
     260
     
    
      herbeirief, um sie, bis auf weitere Verfügung, auf der Schinderei vor der
     
    
     261
     
   
      Stadt zu besorgen.