Der Nachbarin Haus
     2
     
    
      Marthe allein.
     
    
     3
     
    
    
     4
     
    
      Marthe:
     
    
     5
     
    
      Gott verzeih's meinem lieben Mann,
     
    
     6
     
    
      Er hat an mir nicht wohl getan!
     
    
     7
     
    
      Geht da stracks in die Welt hinein
     
    
     8
     
    
      Und läßt mich auf dem Stroh allein.
     
    
     9
     
    
      Tät ihn doch wahrlich nicht betrüben,
     
    
     10
     
    
      Tät ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
     
    
     11
     
    
    
     12
     
    
      (Sie weint.)
     
    
     13
     
    
    
     14
     
    
      Vielleicht ist er gar tot!- O Pein!-
     
    
     15
     
    
      Hätt ich nur einen Totenschein!
     
    
     16
     
    
    
     17
     
    
      (Margarete kommt.)
     
    
     18
     
    
    
     19
     
    
      Margarete:
     
    
     20
     
    
      Frau Marthe!
     
    
     21
     
    
    
     22
     
    
      Marthe:
     
    
     23
     
    
      Gretelchen, was soll's?
     
    
     24
     
    
    
     25
     
    
      Margarethe:
     
    
     26
     
    
      Fast sinken mir die Kniee nieder!
     
    
     27
     
    
      Da find ich so ein Kästchen wieder
     
    
     28
     
    
      In meinem Schrein, von Ebenholz,
     
    
     29
     
    
      Und Sachen herrlich ganz und gar,
     
    
     30
     
    
      Weit reicher, als das erste war.
     
    
     31
     
    
    
     32
     
    
      Marthe:
     
    
     33
     
    
      Das muß Sie nicht der Mutter sagen;
     
    
     34
     
    
      Tät's wieder gleich zur Beichte tragen.
     
    
     35
     
    
    
     36
     
    
      Margarete:
     
    
     37
     
    
      Ach seh Sie nur! ach schau Sie nur!
     
    
     38
     
    
    
     39
     
    
      Marthe (putzt sie auf):
     
    
     40
     
    
      O du glücksel'ge Kreatur!
     
    
     41
     
    
    
     42
     
    
      Margarete:
     
    
     43
     
    
      Darf mich, leider, nicht auf der Gassen
     
    
     44
     
    
      Noch in der Kirche mit sehen lassen.
     
    
     45
     
    
    
     46
     
    
      Marthe:
     
    
     47
     
    
      Komm du nur oft zu mir herüber,
     
    
     48
     
    
      Und leg den Schmuck hier heimlich an;
     
    
     49
     
    
      Spazier ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
     
    
     50
     
    
      Wir haben unsre Freude dran;
     
    
     51
     
    
      Und dann gibt's einen Anlaß, gibt's ein Fest,
     
    
     52
     
    
      Wo man's so nach und nach den Leuten sehen läßt.
     
    
     53
     
    
      Ein Kettchen erst, die Perle dann ins Ohr;
     
    
     54
     
    
      Die Mutter sieht's wohl nicht, man macht ihr auch was vor.
     
    
     55
     
    
    
     56
     
    
      Margarete:
     
    
     57
     
    
      Wer konnte nur die beiden Kästchen bringen?
     
    
     58
     
    
      Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
     
    
     59
     
    
    
     60
     
    
      (Es klopft.)
     
    
     61
     
    
    
     62
     
    
      Ach Gott! mag das meine Mutter sein?
     
    
     63
     
    
    
     64
     
    
      Marthe (durchs Vorhängel guckend):
     
    
     65
     
    
      Es ist ein fremder Herr- Herein!
     
    
     66
     
    
    
     67
     
    
      (Mephistopheles tritt auf.)
     
    
     68
     
    
    
     69
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     70
     
    
      Bin so frei, grad hereinzutreten,
     
    
     71
     
    
      Muß bei den Frauen Verzeihn erbeten.
     
    
     72
     
    
    
     73
     
    
      (Tritt ehrerbietig vor Margareten zurück.)
     
    
     74
     
    
    
     75
     
    
      Wollte nach Frau Marthe Schwerdtlein fragen!
     
    
     76
     
    
    
     77
     
    
      Marthe:
     
    
     78
     
    
      Ich bin's, was hat der Herr zu sagen?
     
    
     79
     
    
    
     80
     
    
      Mephistopheles (leise zu ihr):
     
    
     81
     
    
      Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
     
    
     82
     
    
      Sie hat da gar vornehmen Besuch.
     
    
     83
     
    
      Verzeiht die Freiheit, die ich genommen,
     
    
     84
     
    
      Will Nachmittage wiederkommen.
     
    
     85
     
    
    
     86
     
    
      Marthe (lacht):
     
    
     87
     
    
      Denk, Kind, um alles in der Welt!
     
    
     88
     
    
      Der Herr dich für ein Fräulein hält.
     
    
     89
     
    
    
     90
     
    
      Margarete:
     
    
     91
     
    
      Ich bin ein armes junges Blut;
     
    
     92
     
    
      Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:
     
    
     93
     
    
      Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.
     
    
     94
     
    
    
     95
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     96
     
    
      Ach, es ist nicht der Schmuck allein;
     
    
     97
     
    
      Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
     
    
     98
     
    
      Wie freut mich's, daß ich bleiben darf.
     
    
     99
     
    
    
     100
     
    
      Marthe:
     
    
     101
     
    
      Was bringt Er denn? Verlange sehr-
     
    
     102
     
    
    
     103
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     104
     
    
      Ich wollt, ich hätt eine frohere Mär!-
     
    
     105
     
    
      Ich hoffe, Sie läßt mich's drum nicht büßen:
     
    
     106
     
    
      Ihr Mann ist tot und läßt Sie grüßen.
     
    
     107
     
    
    
     108
     
    
      Marthe:
     
    
     109
     
    
      Ist tot? das treue Herz! O weh!
     
    
     110
     
    
      Mein Mann ist tot! Ach ich vergeh!
     
    
     111
     
    
    
     112
     
    
      Margarete:
     
    
     113
     
    
      Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!
     
    
     114
     
    
    
     115
     
    
      Mephistoteles:
     
    
     116
     
    
      So hört die traurige Geschicht!
     
    
     117
     
    
    
     118
     
    
      Margarethe:
     
    
     119
     
    
      Ich möchte drum mein' Tag' nicht lieben,
     
    
     120
     
    
      Würde mich Verlust zu Tode betrüben.
     
    
     121
     
    
    
     122
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     123
     
    
      Freud muß Leid, Leid muß Freude haben.
     
    
     124
     
    
    
     125
     
    
      Marthe:
     
    
     126
     
    
      Erzählt mir seines Lebens Schluß!
     
    
     127
     
    
    
     128
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     129
     
    
      Er liegt in Padua begraben
     
    
     130
     
    
      Beim heiligen Antonius
     
    
     131
     
    
      An einer wohlgeweihten Stätte
     
    
     132
     
    
      Zum ewig kühlen Ruhebette.
     
    
     133
     
    
    
     134
     
    
      Marthe:
     
    
     135
     
    
      Habt Ihr sonst nichts an mich zu bringen?
     
    
     136
     
    
    
     137
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     138
     
    
      Ja, eine Bitte, groß und schwer:
     
    
     139
     
    
      Laß Sie doch ja für ihn dreihundert Messen singen!
     
    
     140
     
    
      Im übrigen sind meine Taschen leer.
     
    
     141
     
    
    
     142
     
    
      Marthe:
     
    
     143
     
    
      Was! nicht ein Schaustück? kein Geschmeid?
     
    
     144
     
    
      Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,
     
    
     145
     
    
      Zum Angedenken aufbewahrt,
     
    
     146
     
    
      Und lieber hungert, lieber bettelt!
     
    
     147
     
    
    
     148
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     149
     
    
      Madam, es tut mir herzlich leid;
     
    
     150
     
    
      Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
     
    
     151
     
    
      Auch er bereute seine Fehler sehr,
     
    
     152
     
    
      Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.
     
    
     153
     
    
    
     154
     
    
      Margarete:
     
    
     155
     
    
      Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
     
    
     156
     
    
      Gewiß, ich will für ihn manch Requiem noch beten.
     
    
     157
     
    
    
     158
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     159
     
    
      Ihr wäret wert, gleich in die Eh zu treten:
     
    
     160
     
    
      Ihr seid ein liebenswürdig Kind.
     
    
     161
     
    
    
     162
     
    
      Margarete:
     
    
     163
     
    
      Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.
     
    
     164
     
    
    
     165
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     166
     
    
      Ist's nicht ein Mann, sei's derweil ein Galan.
     
    
     167
     
    
      s ist eine der größten Himmelsgaben,
     
    
     168
     
    
      So ein lieb Ding im Arm zu haben.
     
    
     169
     
    
    
     170
     
    
      Margarete:
     
    
     171
     
    
      Das ist des Landes nicht der Brauch.
     
    
     172
     
    
    
     173
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     174
     
    
      Brauch oder nicht! Es gibt sich auch.
     
    
     175
     
    
    
     176
     
    
      Marthe:
     
    
     177
     
    
      Erzählt mir doch!
     
    
     178
     
    
    
     179
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     180
     
    
      Ich stand an seinem Sterbebette, Es war was besser als von Mist,
     
    
     181
     
    
      Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ
     
    
     182
     
    
      Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.
     
    
     183
     
    
      Wie, rief er, "muß ich mich von Grund aus hassen,
     
    
     184
     
    
      So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
     
    
     185
     
    
      Ach, die Erinnrung tötet mich
     
    
     186
     
    
      Vergäb sie mir nur noch in diesem Leben!"
     
    
     187
     
    
    
     188
     
    
      Marthe (weinend):
     
    
     189
     
    
      Der gute Mann! ich hab ihm längst vergeben.
     
    
     190
     
    
    
     191
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     192
     
    
      Allein, weiß Gott! sie war mehr schuld als ich.
     
    
     193
     
    
    
     194
     
    
      Marthe:
     
    
     195
     
    
      Das lügt er! Was! am Rand des Grabs zu lügen!
     
    
     196
     
    
    
     197
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     198
     
    
      Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
     
    
     199
     
    
      Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
     
    
     200
     
    
      Ich hatte, sprach er, "nicht zum Zeitvertreib zu gaffen
     
    
     201
     
    
      Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
     
    
     202
     
    
      Und Brot im allerweitsten Sinn,
     
    
     203
     
    
      Und konnte nicht einmal mein Teil in Frieden essen."
     
    
     204
     
    
    
     205
     
    
      Marthe:
     
    
     206
     
    
      Hat er so aller Treu, so aller Lieb vergessen,
     
    
     207
     
    
      Der Plackerei bei Tag und Nacht!
     
    
     208
     
    
    
     209
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     210
     
    
      Nicht doch, er hat Euch herzlich dran gedacht.
     
    
     211
     
    
      Er sprach: "Als ich nun weg von Malta ging
     
    
     212
     
    
      Da betet ich für Frau und Kinder brünstig;
     
    
     213
     
    
      Uns war denn auch der Himmel günstig,
     
    
     214
     
    
      Daß unser Schiff ein türkisch Fahrzeug fing,
     
    
     215
     
    
      Das einen Schatz des großen Sultans führte.
     
    
     216
     
    
      Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
     
    
     217
     
    
      Und ich empfing denn auch, wie sich's gebührte,
     
    
     218
     
    
      Mein wohlgemeßnes Teil davon."
     
    
     219
     
    
    
     220
     
    
      Marthe:
     
    
     221
     
    
      Ei wie? Ei wo? Hat er's vielleicht vergraben?
     
    
     222
     
    
    
     223
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     224
     
    
      Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
     
    
     225
     
    
      Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
     
    
     226
     
    
      Als er in Napel fremd umherspazierte;
     
    
     227
     
    
      Sie hat an ihm viel Liebs und Treus getan,
     
    
     228
     
    
      Daß er's bis an sein selig Ende spürte.
     
    
     229
     
    
    
     230
     
    
      Marthe:
     
    
     231
     
    
      Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!
     
    
     232
     
    
      Auch alles Elend, alle Not
     
    
     233
     
    
      Konnt nicht sein schändlich Leben hindern!
     
    
     234
     
    
    
     235
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     236
     
    
      Ja seht! dafür ist er nun tot.
     
    
     237
     
    
      Wär ich nun jetzt an Eurem Platze,
     
    
     238
     
    
      Betraurt ich ihn ein züchtig Jahr,
     
    
     239
     
    
      Visierte dann unterweil nach einem neuen Schatze.
     
    
     240
     
    
    
     241
     
    
      Marthe:
     
    
     242
     
    
      Ach Gott! wie doch mein erster war,
     
    
     243
     
    
      Find ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
     
    
     244
     
    
      Es konnte kaum ein herziger Närrchen sein.
     
    
     245
     
    
      Er liebte nur das allzuviele Wandern
     
    
     246
     
    
      Und fremde Weiber und fremden Wein
     
    
     247
     
    
      Und das verfluchte Würfelspiel.
     
    
     248
     
    
    
     249
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     250
     
    
      Nun, nun, so konnt es gehn und stehen,
     
    
     251
     
    
      Wenn er Euch ungefähr so viel
     
    
     252
     
    
      Von seiner Seite nachgesehen.
     
    
     253
     
    
      Ich schwör Euch zu, mit dem Beding
     
    
     254
     
    
      Wechselt ich selbst mit Euch den Ring!
     
    
     255
     
    
    
     256
     
    
      Marthe:
     
    
     257
     
    
      O es beliebt dem Herrn zu scherzen!
     
    
     258
     
    
    
     259
     
    
      Mephistopheles (für sich):
     
    
     260
     
    
      Nun mach ich mich beizeiten fort!
     
    
     261
     
    
      Die hielte wohl den Teufel selbst beim Wort.
     
    
     262
     
    
    
     263
     
    
      (Zu Gretchen.)
     
    
     264
     
    
    
     265
     
    
      Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?
     
    
     266
     
    
    
     267
     
    
      Margarete:
     
    
     268
     
    
      Was meint der Herr damit?
     
    
     269
     
    
    
     270
     
    
      Mephistopheles (für sich):
     
    
     271
     
    
      Du guts, unschuldigs Kind! (Laut.) Lebt wohl, ihr Fraun!
     
    
     272
     
    
    
     273
     
    
      Margarete:
     
    
     274
     
    
      Lebt wohl!
     
    
     275
     
    
    
     276
     
    
      Marthe:
     
    
     277
     
    
      O sagt mir doch geschwind! Ich möchte gern ein Zeugnis haben,
     
    
     278
     
    
      Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.
     
    
     279
     
    
      Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
     
    
     280
     
    
      Möcht, ihn auch tot im Wochenblättchen lesen.
     
    
     281
     
    
    
     282
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     283
     
    
      Ja, gute Frau, durch zweier Zeugen Mund
     
    
     284
     
    
      Wird allerwegs die Wahrheit kund;
     
    
     285
     
    
      Habe noch gar einen feinen Gesellen,
     
    
     286
     
    
      Den will ich Euch vor den Richter stellen.
     
    
     287
     
    
      Ich bring ihn her.
     
    
     288
     
    
    
     289
     
    
      Marthe:
     
    
     290
     
    
      O tut das ja!
     
    
     291
     
    
    
     292
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     293
     
    
      Und hier die Jungfrau ist auch da?
     
    
     294
     
    
      Ein braver Knab! ist viel gereist,
     
    
     295
     
    
      Fräuleins alle Höflichkeit erweist.
     
    
     296
     
    
    
     297
     
    
      Margarete:
     
    
     298
     
    
      Müßte vor dem Herren schamrot werden.
     
    
     299
     
    
    
     300
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     301
     
    
      Vor keinem Könige der Erden.
     
    
     302
     
    
    
     303
     
    
      Marthe:
     
    
     304
     
    
      Da hinterm Haus in meinem Garten
     
    
     305
     
   
      Wollen wir der Herren heut abend warten.