Nacht. Straße vor Gretchens Tür
     2
     
    
      Valentin, Soldat, Gretchens Bruder.
     
    
     3
     
    
    
     4
     
    
      Valentin:
     
    
     5
     
    
      Wenn ich so saß bei einem Gelag,
     
    
     6
     
    
      Wo mancher sich berühmen mag,
     
    
     7
     
    
      Und die Gesellen mir den Flor
     
    
     8
     
    
      Der Mägdlein laut gepriesen vor,
     
    
     9
     
    
      Mit vollem Glas das Lob verschwemmt,
     
    
     10
     
    
      Den Ellenbogen aufgestemmt,
     
    
     11
     
    
      Saß ich in meiner sichern Ruh,
     
    
     12
     
    
      Hört all dem Schwadronieren zu
     
    
     13
     
    
      Und streiche lächelnd meinen Bart
     
    
     14
     
    
      Und kriege das volle Glas zur Hand
     
    
     15
     
    
      Und sage: "Alles nach seiner Art!
     
    
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      Aber ist eine im ganzen Land,
     
    
     17
     
    
      Die meiner trauten Gretel gleicht,
     
    
     18
     
    
      Die meiner Schwester das Wasser reicht?"
     
    
     19
     
    
      Topp! Topp! Kling! Klang! das ging herum;
     
    
     20
     
    
      Die einen schrieen: "Er hat recht,
     
    
     21
     
    
      Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht."
     
    
     22
     
    
      Da saßen alle die Lober stumm.
     
    
     23
     
    
      Und nun!- um's Haar sich auszuraufen
     
    
     24
     
    
      Und an den Wänden hinaufzulaufen!-
     
    
     25
     
    
      Mit Stichelreden, Naserümpfen
     
    
     26
     
    
      Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
     
    
     27
     
    
      Soll wie ein böser Schuldner sitzen
     
    
     28
     
    
      Bei jedem Zufallswörtchen schwitzen!
     
    
     29
     
    
      Und möcht ich sie zusammenschmeißen
     
    
     30
     
    
      Könnt ich sie doch nicht Lügner heißen.
     
    
     31
     
    
    
     32
     
    
      Was kommt heran? Was schleicht herbei?
     
    
     33
     
    
      Irr ich nicht, es sind ihrer zwei.
     
    
     34
     
    
      Ist er's, gleich pack ich ihn beim Felle
     
    
     35
     
    
      Soll nicht lebendig von der Stelle!
     
    
     36
     
    
    
     37
     
    
      Faust. Mephistopheles.
     
    
     38
     
    
    
     39
     
    
      Faust:
     
    
     40
     
    
      Wie von dem Fenster dort der Sakristei
     
    
     41
     
    
      Aufwärts der Schein des Ew'gen Lämpchens flämmert
     
    
     42
     
    
      Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
     
    
     43
     
    
      Und Finsternis drängt ringsum bei!
     
    
     44
     
    
      So sieht's in meinem Busen nächtig.
     
    
     45
     
    
    
     46
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     47
     
    
      Und mir ist's wie dem Kätzlein schmächtig,
     
    
     48
     
    
      Das an den Feuerleitern schleicht,
     
    
     49
     
    
      Sich leis dann um die Mauern streicht;
     
    
     50
     
    
      Mir ist's ganz tugendlich dabei,
     
    
     51
     
    
      Ein bißchen Diebsgelüst, ein bißchen Rammelei.
     
    
     52
     
    
      So spukt mir schon durch alle Glieder
     
    
     53
     
    
      Die herrliche Walpurgisnacht.
     
    
     54
     
    
      Die kommt uns übermorgen wieder,
     
    
     55
     
    
      Da weiß man doch, warum man wacht.
     
    
     56
     
    
    
     57
     
    
      Faust:
     
    
     58
     
    
      Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh,
     
    
     59
     
    
      Den ich dort hinten flimmern seh?
     
    
     60
     
    
    
     61
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     62
     
    
      Du kannst die Freude bald erleben,
     
    
     63
     
    
      Das Kesselchen herauszuheben.
     
    
     64
     
    
      Ich schielte neulich so hinein,
     
    
     65
     
    
      Sind herrliche Löwentaler drein.
     
    
     66
     
    
    
     67
     
    
      Faust:
     
    
     68
     
    
      Nicht ein Geschmeide, nicht ein Ring,
     
    
     69
     
    
      Meine liebe Buhle damit zu zieren?
     
    
     70
     
    
    
     71
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     72
     
    
      Ich sah dabei wohl so ein Ding,
     
    
     73
     
    
      Als wie eine Art von Perlenschnüren.
     
    
     74
     
    
    
     75
     
    
      Faust:
     
    
     76
     
    
      So ist es recht! Mir tut es weh,
     
    
     77
     
    
      Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh.
     
    
     78
     
    
    
     79
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     80
     
    
      Es sollt Euch eben nicht verdrießen,
     
    
     81
     
    
      Umsonst auch etwas zu genießen.
     
    
     82
     
    
      Jetzt, da der Himmel voller Sterne glüht,
     
    
     83
     
    
      Sollt Ihr ein wahres Kunststück hören:
     
    
     84
     
    
      Ich sing ihr ein moralisch Lied,
     
    
     85
     
    
      Um sie gewisser zu betören. (Singt zur Zither.) Was machst du mir
     
    
     86
     
    
      Vor Liebchens Tür,
     
    
     87
     
    
      Kathrinchen, hier
     
    
     88
     
    
      Bei frühem Tagesblicke?
     
    
     89
     
    
      Laß, laß es sein!
     
    
     90
     
    
      Er läßt dich ein
     
    
     91
     
    
      Als Mädchen ein,
     
    
     92
     
    
      Als Mädchen nicht zurücke.
     
    
     93
     
    
    
     94
     
    
      Nehmt euch in acht!
     
    
     95
     
    
      Ist es vollbracht,
     
    
     96
     
    
      Dann gute Nacht'
     
    
     97
     
    
      Ihr armen, armen Dinger!
     
    
     98
     
    
      Habt ihr euch lieb,
     
    
     99
     
    
      Tut keinem Dieb
     
    
     100
     
    
      Nur nichts zulieb
     
    
     101
     
    
      Als mit dem Ring am Finger.
     
    
     102
     
    
    
     103
     
    
      Valentin(tritt vor):
     
    
     104
     
    
      Wen lockst du hier? beim Element!
     
    
     105
     
    
      Vermaledeiter Rattenfänger!
     
    
     106
     
    
      Zum Teufel erst das Instrument!
     
    
     107
     
    
      Zum Teufel hinterdrein den Sänger!
     
    
     108
     
    
    
     109
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     110
     
    
      Die Zither ist entzwei! an der ist nichts zu halten.
     
    
     111
     
    
    
     112
     
    
      Valentin:
     
    
     113
     
    
      Nun soll es an ein Schädelspalten!
     
    
     114
     
    
    
     115
     
    
      Mephistopheles (zu Faust):
     
    
     116
     
    
      Herr Doktor, nicht gewichen! Frisch!
     
    
     117
     
    
      Hart an mich an, wie ich Euch führe.
     
    
     118
     
    
      Heraus mit Eurem Flederwisch!
     
    
     119
     
    
      Nur zugestoßen! ich pariere.
     
    
     120
     
    
    
     121
     
    
      Valentin:
     
    
     122
     
    
      Pariere den!
     
    
     123
     
    
    
     124
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     125
     
    
      Warum denn nicht?
     
    
     126
     
    
    
     127
     
    
      Valentin:
     
    
     128
     
    
      Auch den!
     
    
     129
     
    
    
     130
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     131
     
    
      Gewiß!
     
    
     132
     
    
    
     133
     
    
      Valentin:
     
    
     134
     
    
      Ich glaub, der Teufel ficht! Was ist denn das? Schon wird die Hand mir
     
    
     135
     
    
      lahm.
     
    
     136
     
    
    
     137
     
    
      Mephistopheles (zu Faust):
     
    
     138
     
    
      Stoß zu!
     
    
     139
     
    
    
     140
     
    
      Valentin (fällt):
     
    
     141
     
    
      O weh!
     
    
     142
     
    
    
     143
     
    
      Mephistopheles:
     
    
     144
     
    
      Nun ist der Lümmel zahm! Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden
     
    
     145
     
    
      Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrei.
     
    
     146
     
    
      Ich weiß mich trefflich mit der Polizei,
     
    
     147
     
    
      Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.
     
    
     148
     
    
    
     149
     
    
      Marthe (am Fenster):
     
    
     150
     
    
      Heraus! Heraus!
     
    
     151
     
    
    
     152
     
    
      Gretchen (am Fenster):
     
    
     153
     
    
      Herbei ein Licht!
     
    
     154
     
    
    
     155
     
    
      Marthe (wie oben):
     
    
     156
     
    
      Man schilt und rauft, man schreit und ficht.
     
    
     157
     
    
    
     158
     
    
      Volk:
     
    
     159
     
    
      Da liegt schon einer tot!
     
    
     160
     
    
    
     161
     
    
      Marthe (heraustretend):
     
    
     162
     
    
      Die Mörder, sind sie denn entflohn?
     
    
     163
     
    
    
     164
     
    
      Gretchen (heraustretend):
     
    
     165
     
    
      Wer liegt hier?
     
    
     166
     
    
    
     167
     
    
      Volk:
     
    
     168
     
    
      Deiner Mutter Sohn.
     
    
     169
     
    
    
     170
     
    
      Gretchen:
     
    
     171
     
    
      Allmächtiger! welche Not!
     
    
     172
     
    
    
     173
     
    
      Valentin:
     
    
     174
     
    
      Ich sterbe! das ist bald gesagt
     
    
     175
     
    
      Und balder noch getan.
     
    
     176
     
    
      Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
     
    
     177
     
    
      Kommt her und hört mich an!
     
    
     178
     
    
      (Alle treten um ihn.)
     
    
     179
     
    
      Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,
     
    
     180
     
    
      Bist gar noch nicht gescheit genung,
     
    
     181
     
    
      Machst deine Sachen schlecht.
     
    
     182
     
    
      Ich sag dir's im Vertrauen nur:
     
    
     183
     
    
      Du bist doch nun einmal eine Hur,
     
    
     184
     
    
      So sei's auch eben recht!
     
    
     185
     
    
    
     186
     
    
      Gretchen:
     
    
     187
     
    
      Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?
     
    
     188
     
    
    
     189
     
    
      Valentin:
     
    
     190
     
    
      Laß unsern Herrgott aus dem Spaß!
     
    
     191
     
    
      Geschehn ist leider nun geschehn
     
    
     192
     
    
      Und wie es gehn kann, so wird's gehn.
     
    
     193
     
    
      Du fingst mit einem heimlich an
     
    
     194
     
    
      Bald kommen ihrer mehre dran,
     
    
     195
     
    
      Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
     
    
     196
     
    
      So hat dich auch die ganze Stadt.
     
    
     197
     
    
    
     198
     
    
      Wenn erst die Schande wird geboren,
     
    
     199
     
    
      Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
     
    
     200
     
    
      Und man zieht den Schleier der Nacht
     
    
     201
     
    
      Ihr über Kopf und Ohren;
     
    
     202
     
    
      Ja, man möchte sie gern ermorden.
     
    
     203
     
    
      Wächst sie aber und macht sich groß,
     
    
     204
     
    
      Dann geht sie auch bei Tage bloß
     
    
     205
     
    
      Und ist doch nicht schöner geworden.
     
    
     206
     
    
      Je häßlicher wird ihr Gesicht,
     
    
     207
     
    
      Je mehr sucht sie des Tages Licht.
     
    
     208
     
    
    
     209
     
    
      Ich seh wahrhaftig schon die Zeit,
     
    
     210
     
    
      Daß alle brave Bürgersleut,
     
    
     211
     
    
      Wie von einer angesteckten Leichen,
     
    
     212
     
    
      Von dir, du Metze! seitab weichen.
     
    
     213
     
    
      Dir soll das Herz im Leib verzagen,
     
    
     214
     
    
      Wenn sie dir in die Augen sehn!
     
    
     215
     
    
      Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
     
    
     216
     
    
      In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
     
    
     217
     
    
      In einem schönen Spitzenkragen
     
    
     218
     
    
      Dich nicht beim Tanze wohlbehagen!
     
    
     219
     
    
      In eine finstre Jammerecken
     
    
     220
     
    
      Unter Bettler und Krüppel dich verstecken,
     
    
     221
     
    
      Und, wenn dir dann auch Gott verzeiht,
     
    
     222
     
    
      Auf Erden sein vermaledeit!
     
    
     223
     
    
    
     224
     
    
      Marthe:
     
    
     225
     
    
      Befehlt Eure Seele Gott zu Gnaden!
     
    
     226
     
    
      Wollt Ihr noch Lästrung auf Euch laden?
     
    
     227
     
    
    
     228
     
    
      Valentin:
     
    
     229
     
    
      Könnt ich dir nur an den dürren Leib,
     
    
     230
     
    
      Du schändlich kupplerisches Weib!
     
    
     231
     
    
      Da hofft ich aller meiner Sünden
     
    
     232
     
    
      Vergebung reiche Maß zu finden.
     
    
     233
     
    
    
     234
     
    
      Gretchen:
     
    
     235
     
    
      Mein Bruder! Welche Höllenpein!
     
    
     236
     
    
    
     237
     
    
      Valentin:
     
    
     238
     
    
      Ich sage, laß die Tränen sein!
     
    
     239
     
    
      Da du dich sprachst der Ehre los,
     
    
     240
     
    
      Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
     
    
     241
     
    
      Ich gehe durch den Todesschlaf
     
    
     242
     
    
      Zu Gott ein als Soldat und brav.
     
    
     243
     
   
      (Stirbt.)