Dritter Auftritt
     2
     
    
    
      Nathan und der Derwisch.
     
    
     3
     
    
      Derwisch:
     
    
     4
     
    
    
      Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!
     
    
     5
     
    
      Nathan:
     
    
     6
     
    
      Bist du's? Bist du es nicht? – In dieser Pracht,
     
    
     7
     
    
    
      Ein Derwisch! ...
     
    
     8
     
    
      Derwisch:
     
    
     9
     
    
      Nun? warum denn nicht? Läßt sich
     
    
     10
     
    
    
      Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?
     
    
     11
     
    
      Nathan:
     
    
     12
     
    
      Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,
     
    
     13
     
    
      Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll'
     
    
     14
     
    
    
      Aus sich nichts machen lassen.
     
    
     15
     
    
      Derwisch:
     
    
     16
     
    
      Beim Propheten
     
    
     17
     
    
      Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
     
    
     18
     
    
    
      Zwar wenn man muß –
     
    
     19
     
    
      Nathan:
     
    
     20
     
    
      Muß! Derwisch! – Derwisch muß?
     
    
     21
     
    
      Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte?
     
    
     22
     
    
    
      Was müßt' er denn?
     
    
     23
     
    
      Derwisch:
     
    
     24
     
    
      Warum man ihn recht bittet,
     
    
     25
     
    
    
      Und er für gut erkennt: das muß ein Derwisch
     
    
     26
     
    
      Nathan:
     
    
     27
     
    
      Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Laß dich
     
    
     28
     
    
    
      Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?
     
    
     29
     
    
      Derwisch:
     
    
     30
     
    
    
      Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?
     
    
     31
     
    
      Nathan:
     
    
     32
     
    
    
      Trotzdem, was du geworden!
     
    
     33
     
    
      Derwisch:
     
    
     34
     
    
      Könnt' ich nicht
     
    
     35
     
    
      Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
     
    
     36
     
    
    
      Euch ungelegen wäre?
     
    
     37
     
    
      Nathan:
     
    
     38
     
    
      Wenn dein Herz
     
    
     39
     
    
      Noch Derwisch ist, so wag ich's drauf. Der Kerl
     
    
     40
     
    
    
      Im Staat, ist nur dein Kleid.
     
    
     41
     
    
      Derwisch:
     
    
     42
     
    
      Das auch geehrt
     
    
     43
     
    
      Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär' ich
     
    
     44
     
    
    
      An Eurem Hofe?
     
    
     45
     
    
      Nathan:
     
    
     46
     
    
      Derwisch; weiter nichts.
     
    
     47
     
    
    
      Doch nebenher, wahrscheinlich – Koch.
     
    
     48
     
    
      Derwisch:
     
    
     49
     
    
      Nun ja!
     
    
     50
     
    
      Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. – Koch!
     
    
     51
     
    
      Nicht Kellner auch? – Gesteht, daß Saladin
     
    
     52
     
    
      Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei –
     
    
     53
     
    
    
      Ihm worden.
     
    
     54
     
    
      Nathan:
     
    
     55
     
    
    
      Du? – bei ihm?
     
    
     56
     
    
      Derwisch:
     
    
     57
     
    
      Versteht:
     
    
     58
     
    
      Des kleinern Schatzes, – denn des größern wartet
     
    
     59
     
    
    
      Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.
     
    
     60
     
    
      Nathan:
     
    
     61
     
    
    
      Sein Haus ist groß.
     
    
     62
     
    
      Derwisch:
     
    
     63
     
    
      Und größer, als Ihr glaubt;
     
    
     64
     
    
    
      Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.
     
    
     65
     
    
      Nathan:
     
    
     66
     
    
    
      Doch ist den Bettlern Saladin so feind –
     
    
     67
     
    
      Derwisch:
     
    
     68
     
    
      Daß er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen
     
    
     69
     
    
      Sich vorgesetzt, – und sollt' er selbst darüber
     
    
     70
     
    
    
      Zum Bettler werden.
     
    
     71
     
    
      Nathan:
     
    
     72
     
    
    
      Brav! – So mein ich's eben.
     
    
     73
     
    
      Derwisch:
     
    
     74
     
    
      Er ist's auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz
     
    
     75
     
    
      Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
     
    
     76
     
    
      Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch
     
    
     77
     
    
      Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst
     
    
     78
     
    
    
      Verlaufen –
     
    
     79
     
    
      Nathan:
     
    
     80
     
    
      Weil Kanäle sie zum Teil
     
    
     81
     
    
      Verschlingen, die zu füllen oder zu
     
    
     82
     
    
    
      Verstopfen, gleich unmöglich ist.
     
    
     83
     
    
      Derwisch:
     
    
     84
     
    
    
      Getroffen!
     
    
     85
     
    
      Nathan:
     
    
     86
     
    
    
      Ich kenne das!
     
    
     87
     
    
      Derwisch:
     
    
     88
     
    
      Es taugt nun freilich nichts,
     
    
     89
     
    
      Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
     
    
     90
     
    
      Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt's
     
    
     91
     
    
    
      Noch zehnmal weniger.
     
    
     92
     
    
      Nathan:
     
    
     93
     
    
      O nicht doch, Derwisch!
     
    
     94
     
    
    
      Nicht doch!
     
    
     95
     
    
      Derwisch:
     
    
     96
     
    
      Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:
     
    
     97
     
    
      Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell'
     
    
     98
     
    
    
      Euch ab.
     
    
     99
     
    
      Nathan:
     
    
     100
     
    
    
      Was bringt dir deine Stelle?
     
    
     101
     
    
      Derwisch:
     
    
     102
     
    
      Mir?
     
    
     103
     
    
      Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.
     
    
     104
     
    
      – Denn ist es Ebb' im Schatz, – wie öfters ist,
     
    
     105
     
    
      So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,
     
    
     106
     
    
    
      Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.
     
    
     107
     
    
      Nathan:
     
    
     108
     
    
    
      Auch Zins vom Zins der Zinsen?
     
    
     109
     
    
      Derwisch:
     
    
     110
     
    
    
      Freilich!
     
    
     111
     
    
      Nathan:
     
    
     112
     
    
      Bis
     
    
     113
     
    
    
      Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.
     
    
     114
     
    
      Derwisch:
     
    
     115
     
    
      Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer Freundschaft
     
    
     116
     
    
      Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab
     
    
     117
     
    
    
      Ich sehr auf Euch gerechnet.
     
    
     118
     
    
      Nathan:
     
    
     119
     
    
      Wahrlich? Wie
     
    
     120
     
    
    
      Denn so? wieso denn?
     
    
     121
     
    
      Derwisch:
     
    
     122
     
    
      Daß Ihr mir mein Amt
     
    
     123
     
    
      Mit Ehren würdet führen helfen; daß
     
    
     124
     
    
      Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. –
     
    
     125
     
    
    
      Ihr schüttelt?
     
    
     126
     
    
      Nathan:
     
    
     127
     
    
      Nun, verstehn wir uns nur recht!
     
    
     128
     
    
      Hier gibt's zu unterscheiden. – Du? warum
     
    
     129
     
    
      Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
     
    
     130
     
    
      Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber
     
    
     131
     
    
      Al-Hafi Defterdar des Saladin,
     
    
     132
     
    
    
      Der – dem –
     
    
     133
     
    
      Derwisch:
     
    
     134
     
    
      Erriet ich's nicht? Daß Ihr doch immer
     
    
     135
     
    
      So gut als klug, so klug als weise seid! –
     
    
     136
     
    
      Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,
     
    
     137
     
    
      Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da
     
    
     138
     
    
      Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
     
    
     139
     
    
      Eh' es verschossen ist, eh' es zu Lumpen
     
    
     140
     
    
      Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
     
    
     141
     
    
      Hängt's in Jerusalem am Nagel, und
     
    
     142
     
    
      Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß
     
    
     143
     
    
    
      Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.
     
    
     144
     
    
      Nathan:
     
    
     145
     
    
    
      Dir ähnlich g'nug!
     
    
     146
     
    
      Derwisch:
     
    
     147
     
    
    
      Und Schach mit ihnen spiele.
     
    
     148
     
    
      Nathan:
     
    
     149
     
    
    
      Dein höchstes Gut!
     
    
     150
     
    
      Derwisch:
     
    
     151
     
    
      Denkt nur, was mich verführte! –
     
    
     152
     
    
      Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?
     
    
     153
     
    
      Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?
     
    
     154
     
    
      Vermögend wär' im Hui den reichsten Bettler
     
    
     155
     
    
    
      In einen armen Reichen zu verwandeln?
     
    
     156
     
    
      Nathan:
     
    
     157
     
    
    
      Das nun wohl nicht.
     
    
     158
     
    
      Derwisch:
     
    
     159
     
    
      Weit etwas Abgeschmackters!
     
    
     160
     
    
      Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt;
     
    
     161
     
    
    
      Durch Saladins gutherz'gen Wahn geschmeichelt –
     
    
     162
     
    
      Nathan:
     
    
     163
     
    
    
      Der war?
     
    
     164
     
    
      Derwisch:
     
    
     165
     
    
      »Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern
     
    
     166
     
    
      Zumute sei; ein Bettler habe nur
     
    
     167
     
    
      Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.
     
    
     168
     
    
      Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,
     
    
     169
     
    
      Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab;
     
    
     170
     
    
      Erkundigte so ungestüm sich erst
     
    
     171
     
    
      Nach dem Empfänger; nie zufrieden, daß
     
    
     172
     
    
      Er nur den Mangel kenne, wollt' er auch
     
    
     173
     
    
      Des Mangels Ursach' wissen, um die Gabe
     
    
     174
     
    
      Nach dieser Ursach' filzig abzuwägen.
     
    
     175
     
    
      Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild
     
    
     176
     
    
      Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!
     
    
     177
     
    
      Al-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,
     
    
     178
     
    
      Die ihre klar und still empfangnen Wasser
     
    
     179
     
    
      So unrein und so sprudelnd wiedergeben.
     
    
     180
     
    
      Al-Hafi denkt; Al-Hafi fühlt wie ich!« –
     
    
     181
     
    
      So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis
     
    
     182
     
    
      Der Gimpel in dem Netze war. – Ich Geck!
     
    
     183
     
    
    
      Ich eines Gecken Geck!
     
    
     184
     
    
      Nathan:
     
    
     185
     
    
      Gemach, mein Derwisch,
     
    
     186
     
    
    
      Gemach!
     
    
     187
     
    
      Derwisch:
     
    
     188
     
    
      Ei was! – Es wär' nicht Geckerei,
     
    
     189
     
    
      Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,
     
    
     190
     
    
      Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und
     
    
     191
     
    
      Ein Menschenfreund an einzeln scheinen wollen?
     
    
     192
     
    
      Es wär' nicht Geckerei, des Höchsten Milde,
     
    
     193
     
    
      Die sonder Auswahl über Bös' und Gute
     
    
     194
     
    
      Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein
     
    
     195
     
    
      Und Regen sich verbreitet, – nachzuäffen,
     
    
     196
     
    
      Und nicht des Höchsten immer volle Hand
     
    
     197
     
    
    
      Zu haben? Was? es wär' nicht Geckerei ...
     
    
     198
     
    
      Nathan:
     
    
     199
     
    
    
      Genug! hör auf!
     
    
     200
     
    
      Derwisch:
     
    
     201
     
    
      Laßt meiner Geckerei
     
    
     202
     
    
      Mich doch nur auch erwähnen! – Was? es wäre
     
    
     203
     
    
      Nicht Geckerei, an solchen Geckereien
     
    
     204
     
    
      Die gute Seite dennoch auszuspüren,
     
    
     205
     
    
      Um Anteil, dieser guten Seite wegen,
     
    
     206
     
    
      An dieser Geckerei zu nehmen? He?
     
    
     207
     
    
    
      Das nicht?
     
    
     208
     
    
      Nathan:
     
    
     209
     
    
      Al-Hafi, mache, daß du bald
     
    
     210
     
    
      In deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte,
     
    
     211
     
    
      Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch
     
    
     212
     
    
    
      Zu sein verlernen.
     
    
     213
     
    
      Derwisch:
     
    
     214
     
    
      Recht, das fürcht ich auch.
     
    
     215
     
    
    
      Lebt wohl!
     
    
     216
     
    
      Nathan:
     
    
     217
     
    
      So hastig? – Warte doch, Al-Hafi.
     
    
     218
     
    
      Entläuft dir denn die Wüste? – Warte doch! –
     
    
     219
     
    
      Daß er mich hörte! – He, Al-Hafi! hier! –
     
    
     220
     
    
      Weg ist er; und ich hätt' ihn noch so gern
     
    
     221
     
    
      Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,
     
    
     222
     
   
      Daß er ihn kennt.