Das Frauenbild im 19. Jh.
Um einen umfassenden Eindruck über das Frauenbild im 19. Jahrhundert zu ermöglichen, wenden wir uns zunächst einmal der Position einer Frau in der Gesellschaft des Realismus zu, bevor wir uns explizit mit der Frauenfigur in Fontanes Effi Briest beschäftigen. Im Zuge dieser Analyse werden wir ein besonderes Augenmerk auf die Thematik Ehebruch im 19. Jahrhundert legen, wobei die Folgen für Frauen und Männer einander gegenüber gestellt werden.
Frauenbild im 19. Jahrhundert
- Zwangsehen gehören im Realismus noch zu der Tagesordnung und zahlreiche junge Frauen ereilt ein vergleichbares Schicksal wie die Protagonistin im vorliegenden Roman.
- Idealerweise sollte die Frau als Ehepartnerin und Haushälterin fungieren, wobei ihr zusätzlich noch die Rolle Erzieherin zufällt, sofern sie sich kein Kindermädchen zu leisten vermag.
- Vorrangig wird von einer Ehegattin erwartet, ihren Mann in allen Belangen moralisch zu unterstützen, es wird jedoch nicht von ihr verlangt, für das materielle Wohl der Familie zu sorgen. Letzteres wird, wenn von der Dame erwünscht, prinzipiell eher abgelehnt.
- Anhand der oben genannten Aspekt erfährt man bereits, dass das Verhältnis zwischen Frau und Mann von einer starken Abhängigkeit gekennzeichnet ist und sich das weibliche Geschlecht in jedem Fall den Bedürfnissen ihres Gatten unterzuordnen hat.
- Eine Lebensgefährtin sollte den Partner aufbauen und für seine Entspannung sorgen, sobald er von einem anstrengenden Arbeitstag heimkehrt. Keineswegs ist es erwünscht, dass die Dame des Hauses ihre Launen, negative Gefühle oder sonstige Unstimmigkeiten mit ihrem Partner teilt
- Hinsichtlich der Bildung einer Dame wird erwartet, dass sie sich in den gepflogenen Umgangsformen auskennt, jedoch darüber hinaus kein Interesse für Bildendes oder Akademisches zeigt.
- Generell sieht man im 19. Jahrhundert Frauen noch als schwächeres Geschlecht, „sexus sequior“ an. Dies bedeutet, dass sowohl die Bedürfnisse als auch die Rechte einer Dame grundsätzlich immer hinter die eines Mannes zu stellen sind.
- Ehebruch bei Männern: Wenn sich ein Ehemann an einer beispielsweise jüngeren Frau vergeht oder ein Verhältnis mit einer Dame außerhalb seiner eigenen Ehe beginnt, so werden ihm die Eigenschaften Stärke, Willenskraft, körperliche Fitness und energetisches Auftreten zugesprochen. Betrügt ein Mann seine Frau, so muss sie dies hinnehmen und darüber schweigen, sogar dann, wenn es weiterhin regelmäßig geschieht.
- Ehebruch bei Frauen: Geht eine Frau ihrem Mann fremd, so werden ihr weitaus weniger wohlwollendere Charaktermerkmale erteilt, als wenn ein Mann dieselbe Tat vollzieht. Frauen, die ihren Mann betrügen, gelten zu Zeiten des Realismus als schwach, unterwürfig, nachgiebig, labil und kränklich. Mit dem Betrug einer Frau an ihrem Ehemann wird unweigerlich die Ehre des Mannes beschädigt und die Frau ihrer Rechte als Mutter beraubt. Der Mann entscheidet also über das Handhaben der Affäre und die Frau hat sich dem zu beugen.
- Es existieren im 19. Jahrhundert außerdem Unterschiede in der Erziehung von jungen Frauen, je nachdem, in welchen sozialen Stand sie hineingeboren werden. Töchter in Arbeiterfamilien etwa sind zwar obligiert, ebenso mühsame Arbeit wie ihr späterer Mann zu verrichten. Allerdings erhalten sie dafür auf der anderen Seite auch mehr Mitspracherecht, wenn es um die Partnerwahl geht.
- Beispielsweise Töchter aus der adligen Schicht wachsen zwar sehr behütet auf und es wird nicht von ihnen erwartet, harte Arbeit zu verrichten. Dennoch birgt dieser goldene Käfig auch den Nachteil, dass ihre Eltern sie vollständig aus der Entscheidung, wen sie einmal heiraten sollen heraushalten und zudem die meisten Mädchen bereits in sehr jungen Jahren, meist unter 20 Jahren verheiratet werden.
Frauenbild bei Fontane am Beispiel des Romans Effi Briest
- Fontane schafft es, anhand subtil eingestreuter Kommentare und Stellungnahmen seiner Figuren in Effi Briest, die im Realismus vorherrschende Meinung über die Stellung der Frau kritisch darzustellen. Mit Bemerkungen Effis Vaters wie „Geert [...] habe die Bedeutung von einem schlank aufgeschossenem Stamm, und Effi sei dann also der Efeu, der sich darum zu ranken habe“ (Kap. 3, Z. 26 f.) wird die Abhängigkeit der Frau vom Mann verdeutlicht. Oder mit anderen Worten: Die Protagonistin als Efeu kann ohne den Stamm nicht ranken, ergo nicht leben.
- So kindlich, verspielt und naiv wie die Hauptfigur bereits am Anfang der Handlung beschrieben wird, fällt dem Leser bereits zum Zeitpunkt der Verkündigung der Verlobung von Effi und Geert auf, dass das Mädchen viel zu jung zum Heiraten ist. Es erscheint fast, als ob sie von der Kinderstube beim Spielen mit ihren Freundinnen vor den Traualtar gezogen wird. Zusätzlich suspekt wirkt der Umstand, dass es sich bei dem verlobten der Protagonistin um einen ehemaligen Verehrer ihrer Mutter handelt. Man könnte nahezu spekulieren, ob Luise Briest nicht ihre eigenen, längst unerreichbaren Sehnsüchte erfüllt sieht in der Hochzeit zwischen Geert und ihrer Tochter.
- Der Chinesenspuk, welcher in dieser Lektürehilfe ebenfalls ausführlich analysiert wird, stellt ein Manipulationsobjekt für Instetten dar, mit dem er seine leichtgläubige junge Frau bei Laune hält, sodass sie sich nicht anderweitig umsieht. Die Angst vor dem Chinesen wiederum schwächt Effi und Instettens Ziel, seine Frau unmündig zu machen, wird erreicht. Dass der Baron seine Frau vernachlässigt, mehr Zeit auf der Arbeit anstatt zu Hause verbringt und obwohl er sie liebt, die gesellschaftlichen Normen wichtiger als seine Ehe erachtet, lässt ebenso Effis Gefühle zu ihrem Mann erkalten.
- Die Folgen ihres Ehebruchs erfährt Effi am eigenen Leib, als ihre Eltern ihr zwar noch ihre finanzielle Unterstützung versprechen, sie jedoch in Zukunft vom Zuhause in Hohen-Cremmen ausschließen. Erst als ihr Kind kurz vor dem Tod steht und Geheimrat Schummschüttel strengstens zur Heimkehr rät, vergessen Luise und Herr Briest die Sorge vor den gesellschaftlichen Konsequenzen und nehmen ihre Tochter zu sich.
- Betrachtet man das Schicksal der Protagonistin aus nächster Nähe, so ist erkennbar, dass Effi Zeit ihres Lebens als Spielball für die Menschen in ihrem Leben fungiert. Zwar existieren Einzelfiguren wie Gieshübler oder Roswitha, die sie in ihrem Wesen nicht verändern oder manipulieren wollen, doch der Großteil der Menschen in ihrem Leben nutzt die junge Frau aus. Ihre Eltern beispielsweise sehen in dem hübschen Kind ein beliebtes Geschöpf, welches einfach und schnell zu verheiraten ist. Welche eigenen Wünsche die Mutter Luise Briest in ihrer Tochter realisiert, wurde bereits genannt. Instetten zwängt die junge Frau in die Rolle der unterwürfigen und unselbstständigen Ehegattin, die von Wiedersehen zu Wiedersehen lebt, da sie ansonsten kaum etwas erlebt. Crampas etwa spielt ebenso mit der Hauptfigur, die vom Alter her seine Tochter sein könnte. Effi wird für den Major nicht die erste Affäre während seiner Ehe sein und er präpariert die junge Frau so lange, bis sie sich, geblendet von seiner Dichtkunst und seinem heldenhaften Auftreten auf die Liebschaft einlässt.