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Tag und Nacht, Himmel und Hölle

Als Motive durchziehen Tag und Nacht, das Verborgene und das Entdeckte, der Himmel und die Hölle die gesamte Novelle. So, wie die Novelle den Kampf zwischen Gut und Böse anhand eines Kriminalfalls erzählt, lassen sich auch die meisten ihrer Charaktere in eine Tag- und eine Nachtseite der Gesellschaft einordnen.
Besondere Faszination gilt der Nacht. Die Nacht steht für das Geheimnis und die Kräfte, die unter der Oberfläche brodeln, für das Tierische im Menschen und das Verbrechen. Vor allem die Mitternacht hat eine tragende Rolle inne: Mit einer Mitternacht beginnt die Novelle, hier werden erste Fragen aufgeworfen. In einer Mitternacht beobachtet Olivier Brusson zum ersten Mal, wie Cardillac einen Menschen anfällt. In einer Mitternacht stirbt Cardillac schließlich. Olivier wird in einer Mitternacht zum Fräulein von Scuderi gebracht, um sein Geständnis abzulegen. Die Nacht ängstigt den Menschen, da das zutage kommt, was er sonst verbirgt. Auch wird die Nacht in der Novelle oft in Verbindung mit dem Verbrechen gebracht. Cardillac begeht seine Verbrechen stets in der Nacht, wenn er sicher ist vor den Ordnungshütern, denen er immer einen Schritt voraus zu sein scheint. Die Heimlichkeit schützt ihn, er entwickelt animalische Kräfte, er kann in der Dunkelheit sehen „wie der Tiger“ (S. 54). Der Gegensatz von Cardillacs Psyche zeigt sich in zwei verschiedenen Persönlichkeiten. Bei Tag ist er ein angesehener und respektierter Bürger, bei Nacht ein Verbrecher. Cardillacs Haus steht symbolisch für seine innere Verfassung: Es besitzt einen Geheimgang, durch den er ungesehen entweichen kann. In einem "geheime[n] Gewölbe" (S. 58) bewahrt er die Andenken an seine Verbrechen auf. Dies zeigt die Modernität Hoffmanns: Analytisch zeigt er die Psyche anhand von Symbolen. Cardillac verbirgt den bösen Teil seiner Persönlichkeit im Geheimnis. Die Psyche ist wie ein Gebäude beschaffen: Hinter der Fassade verbergen sich dem Menschen unbekannte Ahnungen, Wünsche, Begierden. Cardillac versucht, seine Verbrechen im Dunkel zu verstecken.
Nacht und Tag symbolisieren also auch seelische Zustände wie den Zustand der Gesellschaft. Bei Nacht schleichen nicht nur Verbrecher durch die Straßen, sondern auch heimliche Liebhaber, die ihren Geliebten Geschenke bringen möchten. Wie bereits oben erwähnt, müssen sich die Menschen der Nachtseite stellen, um sie zu besiegen. Von Scuderi wird mit den Mächten der Nacht vertraut und entdeckt so ihre Geheimnisse, der König lässt Nachforschungen anstellen, wobei seine Beauftragten Cardillacs Haus bei Nacht untersuchen. So wird die Brücke gespannt zu der Tagseite: Die mit der Entdeckung des Verborgenen verbundenen Charaktere wie von Scuderi und Olivier Brusson - welcher am Anfang der Novelle noch irrtümlich zur Nachtseite gezählt wird - bringen wahrhaftig "Licht ins Dunkel". Olivier Brusson erkennt durch das Licht einer Lampe, dass es Cardillac ist, der nachts durch die Gassen Paris‘ schleicht. Am nächsten Morgen geht ihm die Tat „hell auf“ (S. 51). Nach Oliviers Geständnis bei von Scuderi brechen „die hellen Strahlen des Morgens [...] durch die Fenster“ (S. 63).
Licht und Erkenntnis hängen somit zusammen. Immer, wenn von Scuderi etwas gewahr wird, ist dies mit dem Licht verbunden. Dies zeigt sich bereits bei ihrem ersten Auftritt im Buch. Es ist Morgen, ein Unbekannter hat ihr in der vergangenen Nacht ein Kästchen hinterlassen. Die Wahrheit hinter dem kostbaren Schmuck offenbart sich durch das Licht der Sonne, geschickt verbindet Hoffmann die Lichtmotivik mit der Farbe:
„Die Sonne schien hell durch die Fenstergardinen von hochroter Seide, und so kam es, dass die Brillanten, welche auf dem Tische neben dem offenen Kästchen lagen, in rötlichem Schimmer aufblitzten“ (S. 20)
Dass gewissermaßen Blut an den Diamanten klebt, wird durch die Sonne offenbar. Während in der Nacht das Verbrechen abseits aller Augen erforscht wird, kommt es mit dem Licht zutage. Olivier wird durch die Fronttür des Hauses abgeführt, Cardillacs Tod am Morgen entdeckt.
Das Licht steht aber auch generell für das Gute. Die Elite der Gesellschaft trifft sich am Tage, Licht wird mit der Wahrheit, der Ehrlichkeit und der Hoffnung verbunden. Olivier bekennt, dass er bei der Nennung von Fräulein Scuderis Namen durch den von ihren Versen beeindruckten Cardillac meinte, es würden ihm „schwarze Schleier weggezogen“ (S. 59), ein "Hoffnungsstrahl" (S. 60) geht ihm auf.
Licht und Klarheit bilden ein Motiv, Nacht und Geheimnis das andere. In diesem Zusammenhang ist auch die Engels- und Teufelsmotivik zu lesen. Madelon besitzt laut dem Fräulein „Himmelsaugen“ (S. 41), ist ein „Engel Gottes“ (ebd.). Ihre Schönheit leuchtet beim König, ihre Augen „[glänzen] von hellen Tränenperlen“ (S. 72). Sie ist stets ehrlich, täuscht niemanden. Im Gegensatz dazu ist der teuflische Cardillac ein Täuscher. Paradox ist, dass Madelon, der Engel, die Tochter eines Mannes ist, den man für den Teufel hält, da er spurlos in den Wänden zu verschwinden vermag.

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